Aus Sicht des Heidelberger Virologen Hans-Georg Kräusslich wird es Zeit, Corona als "normale Infektionskrankheit" einzustufen, trotz der Situation in China.
SWR Aktuell: Herr Kräusslich, wir schauen wieder einmal nach China, auf die Situation der Infektionen und die Versuche, Reisende zu prüfen. Wie nehmen Sie den Infektionsverlauf in China im Moment wahr?
Hans-Georg Kräusslich: Für mich war es schon überraschend, wie kurzfristig und vollständig die chinesische Regierung nach fast drei Jahren sehr strikter Politik alles gelockert und aufgelöst hat. Damit hat sie im Prinzip das Durchlaufen des Virus durch die Bevölkerung stark beschleunigt. Zunächst sehr restriktiv zu sein und dann mit einem Schlag alles aufzugeben - das ist ein sehr überraschendes und sicherlich kein sehr kluges Vorgehen gewesen.
Wir wissen nicht genau, wie die Quote bei den älteren Menschen ist. Aber natürlich gibt es dort auch sehr viele Krankheitsfälle, Überlastungen der Kliniken, Todesfälle und so weiter. Also all das, was man erwarten würde, wenn eine solche massive Infektionswelle ein großes Land trifft.
Das SWR-Interview mit dem Heidelberger Virologen Hans-Georg Kräusslich können Sie hier in voller Länge hören:
SWR Aktuell: Viele Menschen haben natürlich im Hinblick darauf Angst, dass das, was in China passiert, zeitverzögert auch bei uns wieder passieren kann. Wie blicken Sie da auf die nähere Zukunft?
Kräusslich: Ich sehe jetzt keinen wirklich zwingenden Grund, warum eine massive Infektionswelle in China zu einer anderen Situation bei uns führen sollte. Neue Varianten entstehen an verschiedenen Orten. Was wir bisher beobachtet haben, wird sich auch fortsetzen. Natürlich ist es immer schlecht, wenn wir sehr viele Infektionen haben. Am besten wäre, wir hätten ganz wenige oder gar keine Infektionen. Dann würden wir auch keine Veränderungen am Virus sehen. Aber eine Situation, wo ich sagen würde, da müssen wir uns jetzt große Sorgen machen, kann ich im Moment nicht erkennen. Das Virus kann sich nur verändern, wenn es sich auch vermehren kann.
SWR Aktuell: Dennoch sind ja auch immer wieder neue Varianten im Spiel. Aktuell wird zum Beispiel viel über die XBB.1.5-Variante gesprochen. Wie beurteilen Sie eine solche Mutation?
Kräusslich: Neue Varianten sind immer ein bisschen anders, aber sie sind nicht dramatisch anders. Das ist, glaube ich, die entscheidende Botschaft. Ja, das ist wahrscheinlich eine erneut etwas andere Immunflucht-Variante, die Antikörpern besser entgehen kann, die besser ansteckend sein kann als verschiedene andere Varianten, die vielleicht auch Personen, die andere Omikron-Varianten vorher hatten, wieder infizieren kann. Aber es ist immer noch Omikron. Die grundsätzlichen Eigenschaften werden nicht anders sein, unsere T-Zellen, unsere zelluläre Antwort wird gegen diese Variante immer noch wirken. Ich sehe überhaupt keinen Grund, dass wir uns große Sorgen machen müssen. Wir müssen einfach akzeptieren, dass wir auch in diesem Winter und auch bis zum Frühjahr hin immer wieder Coronavirus-Infektionen haben werden. Aber so ist das nun mal mit einem neuen Virus, das sich in der Bevölkerung festgesetzt hat.
SWR Aktuell: Ich entnehme Ihrer Antwort auch, dass Sie einigermaßen entspannt in die zweite Phase dieses Winters schauen. Wie sieht es aktuell in der Heidelberger Uniklinik in Bezug auf die Corona-Situation aus?
Kräusslich: Die aktuelle Situation an Patientinnen und Patienten ist gut beherrschbar. Wir haben keine dramatisch hohe Zahl von Einweisungen wegen Corona. Wir haben nach wie vor Patientinnen und Patienten mit anderen Grundkrankheiten und mit Corona. Die haben wir die ganze Zeit gehabt. Wir haben weiterhin auch Personalausfälle. Die sind nicht so hoch wie sie im Frühherbst im Oktober waren, sind aber auch wieder angestiegen. Das ist in der gesamten Zeit jetzt, im gesamten Herbst und in den Winter hinein eher das Problem für den Klinikbetrieb gewesen. Für die einzelne Person, die an Corona schwer erkrankt ist, ist das natürlich eine dramatische Situation. Für den Gesundheitsbetrieb im Moment auch bundesweit ist die Zahl der Patientinnen und Patienten, die mit Corona oder wegen Corona auf Intensivstationen liegen, gut beherrschbar. Das sind etwa 1.280, glaube ich, im Moment in den offiziellen Zahlen. Wir hatten vor einem Jahr, als die Delta-Welle um Weihnachten und Neujahr 2021/2022 zu Ende ging, fast 6.000 Patienten in den Intensivstationen, also fünfmal mehr.
SWR Aktuell: Deshalb hat man ja auch gesagt: Die Kreisimpfzentren können in diesem Winter geschlossen werden. Zum Jahreswechsel ist das passiert. War das aus Ihrer Sicht nicht etwas zu früh?
Kräusslich: Nein, ich glaube, das war schon richtig. Jeder und jede kann sich über den Hausarzt impfen lassen, so wie das bei allen anderen Impfungen auch der Fall ist. Man muss überlegen, dass Impfzentren auch ein erheblicher logistischer und finanzieller Aufwand sind. Das war zu Zeiten der Hochphase der Pandemie gerechtfertigt. Aber irgendwann muss man davon auch wieder herunterkommen.
Deswegen bin ich auch immer dagegen, dass man bei jeder neuen Variante wieder neue dramatische Szenarien aufbaut und freue mich darüber, das richtig stellen zu können.
SWR Aktuell: Offene Fragen erzeugen aber beispielsweise auch Meldungen wie diese: Es wird an einem universellen Corona-Impfstoff gearbeitet, der dann auch mögliche künftige Varianten abdecken könnte. Wie glaubwürdig ist so etwas aus Ihrer Sicht?
Kräusslich: Ich denke, der Grundgedanke, breiter wirksame Impfstoffe zu schaffen, ist sinnvoll und klug. In welchem Ausmaß das gelingen wird und wie breit wirksam sie dann sein werden, das werden in der Folge die Ergebnisse zeigen. Ich verweise auch darauf, dass man seit vielen Jahren versucht, breitwirksame Impfstoffe gegen alle Influenza-Viren, also gegen das echte Grippevirus wirksame Impfstoffe zu entwickeln. Da werden gute Fortschritte gemacht. Aber es gibt bis heute keinen entsprechenden Impfstoff, der auf dem Markt zugelassen ist. Eine solche Entwicklung ist nicht trivial und kein Thema, das uns in diesem Winter und wahrscheinlich auch nicht in der nächsten Saison beschäftigen wird. Aber ich glaube, dass es eine wichtige wissenschaftliche Entwicklung wäre und man daran forschen sollte. Man sollte aber nicht Erfolge verkünden, bevor man nicht wirklich etwas hat, was dann auch sinnvoll ist. Damit weckt man falsche Hoffnungen und wird am Ende Enttäuschung erzeugen.