Die Corona-App im Ruhemodus, kaum noch schwerkranke Patienten. Alles wieder gut und wie vor der Pandemie? Der Chef-Virologe des Heidelberger Uniklinikums ist optimistisch.
SWR Aktuell: Wie ist die aktuelle Corona-Lage im Heidelberger Uniklinikum: Werden da Stand jetzt noch Corona-Patienten behandelt - auf der Normal- oder Intensivstation?
Hans-Georg Kräusslich: Wir haben nur wenige Corona-Patienten. Es gibt natürlich immer noch einzelne Fälle. Es gibt auch immer mal Betroffene, die eine stationäre Aufnahme benötigen. Aber das sind Einzelfälle. Sie spielen im täglichen Geschehen keine Rolle mehr. Das gilt sowohl für Heidelberg, als auch für Baden-Württemberg und auch bundesweit. Die Zahl der Intensiv-Behandlungs-Patienten ist sehr, sehr stark gesunken. Aber es gibt bundesweit immer noch Intensivpatienten und auch an Corona verstorbene Patienten. Aber aktuell nicht bei uns.
SWR Aktuell: Liegen im Uniklinikum Menschen, die wegen der Impfung gegen Corona krank sind und nicht wegen des Virus?
Hans-Georg Kräusslich: Patienten, die wegen der Impfung Nachwirkungen haben, haben wir aktuell keine bei uns. Auch nicht in letzter Zeit. Die Mehrzahl der Personen, die in die Ambulanz kommen, kommen wegen Post-Covid. Die haben länger anhaltende Symptome.
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Krank durch Corona-Impfung: Wer unter dem seltenen „Post-Vac-Syndrom“ leidet, erlebt Kopfschmerzen, Atemnot und zum Teil auch schwerwiegendere Nebenwirkungen. Was weiß man darüber?
SWR Aktuell: Wie viele Patienten mit Long- oder Post-Covid gibt es gerade im Uniklinikum Heidelberg?
Hans-Georg Kräusslich: Die stationäre Behandlung ist da ein Ausnahmefall. Diese Patienten kommen auch in der Regel nicht ins Uniklinikum. Das sind eher Personen, die ambulant behandelt werden. Wobei ja bekannt ist, dass die Diagnostik und Behandlung momentan schwierig sind, weil wir keine spezifischen Behandlungsmethoden haben.
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SWR Aktuell: Ist die Zahl der Long-Covid Patienten immer noch hoch?
Hans-Georg Kräusslich: Die Zahl ist nach wie vor hoch. Wir haben ja in Baden-Württemberg eine Studie dazu laufen - mit den vier Uniklinika Tübingen, Freiburg, Heidelberg und Ulm -, in der wir das über einen längeren Zeitraum verfolgt haben. Wir sehen immer noch Patienten, die auch bis zu zwei Jahre nach der Infektion noch Symptome haben. In dem Fall spricht man von Post Covid. Es gibt auch Patienten, bei denen sich der Zustand nach einiger Zeit deutlich bessert. Die sind nach etwa anderthalb Jahren wieder vollständig gesund. Aber das gilt nicht für alle. Das ist doch ein durchaus signifikanter Anteil dieser Patienten.
SWR Aktuell: Wann wird es für diese Patienten eine richtig gute Therapie geben?
Hans-Georg Kräusslich: Ich glaube, die Vorhersage kann niemand machen. Es gibt natürlich Maßnahmen, um eine Verbesserung zu erzielen. Aber eine spezifische Therapie gibt es nicht. Das liegt auch daran, weil die Frage, wie es zu dieser lang dauernden und späten Symptomatik kommt, sehr unterschiedlich beantwortet werden kann. Also: Es gibt Patientinnen und Patienten, die haben hauptsächlich eine Lungen- und Erschöpfungs-Symptomatik. Es gibt aber auch welche, die eher unter neurologischen (das Nervensystem betreffend) Symptomen leiden - also zum Beispiel Wortfindungs-Störungen oder "Brain-Fog". Also, dass ich nicht richtig denken kann und alles irgendwie vernebelt scheint.
Es ist zumindest anzunehmen, dass zwar die ursprüngliche Infektion mit SARS-CoV-2 ein Auslöser dafür war, aber dass die Wege, wie es dann zu den späten Symptomen kommt, unterschiedlich waren. Das ist Gegenstand einer ganzen Reihe von Studien. Auch vom Bund und international werden Studien dazu gefördert und veröffentlicht, die aber jetzt nicht die Lösung bieten. Insgesamt, muss man ehrlicherweise zugeben: Wirklich verstanden ist dieses Phänomen nicht.
SWR Aktuell: Gibt es aktuell neue Varianten des Coronavirus, die Sie als Virologe nervös machen?
Hans-Georg Kräusslich: Nervös macht mich da gerade nichts. Aber es gibt immer wieder neue Varianten. Berichten zufolge gibt und gab es in China in den vergangenen Wochen eine intensive Corona-Welle. Mit 40 bis 60 Millionen Infektionen pro Woche, bei einer Bevölkerungszahl von über einer Milliarde Menschen. Das ist eine Omikron-Variante beziehungsweise eine Vermischung von zwei verschiedenen Omikron-Varianten, die vor einigen Monaten zuerst insbesondere in China und Indien aufgetaucht ist.
Bei uns (in Deutschland) gibt es sie bisher eher nicht oder nur sehr selten. Diese Variante ist aber nicht "besonders" in dem Sinn, dass sie mehr krank machen würde oder völlig andere Auswirkungen hat. Für hier ist nicht zu befürchten, dass eine neue Corona-Variante kommt, die das Geschehen erheblich verändern wird. Ich gehe nicht davon aus, dass wir über den Sommer und den Herbst irgendetwas "Besonderes" sehen werden. Und dann kommt ja sowieso im Winter die Saison der Atemwegs-Erkrankungen. Und da wird es auch wieder mehr Corona-Infektionen geben.
SWR Aktuell: Viele Menschen fragen sich: Reichen meine drei, vier, vielleicht sogar fünf Impfungen gegen Corona aus? Oder muss ich noch mal nachlegen?
Hans-Georg Kräusslich: Für den gesunden Erwachsenen oder ein Kind ist das vollständig ausreichend. Für Kinder ist ja von der Stiko (Ständige Impfkommission) die Impfungsempfehlung nicht mehr aufrechterhalten worden, weil die Verläufe so milde sind - insbesondere mit den Omikron-Varianten - dass das nicht nötig ist. Für Personen zwischen 18 und 60 reichen drei Kontakte bis auf weiteres aus. Drei Kontakte heißt: Wenn jemand zweifach geimpft ist und die Infektion einmal hatte. Oder wenn jemand dreifach geimpft ist. Das reicht dann aus.
Ob das im kommenden und im übernächsten Jahr auch so sein wird, kann man diskutieren. Anzuraten bleibt die Auffrischungsimpfung besonders für gefährdete Personen ab 60 oder 70 Jahre. Die Stiko-Empfehlung gilt für Menschen ab 60 und natürlich für Personen mit erhöhtem Risiko aufgrund von Grunderkrankungen. Auch für Pflegeheim-Bewohner und das Personal dort wird eine Auffrischungsimpfung empfohlen. Wobei ich sagen würde: Die Auffrischung zum Herbst hin und nicht jetzt.
SWR Aktuell: Gefühlt ist das Thema Corona ja irgendwie durch und gehört der Vergangenheit an. Das meiste ist wieder so wie vor Beginn der Pandemie. Empfinden Sie das auch so?
Hans-Georg Kräusslich: Ja, wir sind schneller, als die meisten Menschen geglaubt haben, zu einer Situation zurückgekehrt, die derjenigen vor der Pandemie entspricht. Ich erinnere mich an viele Diskussionen in den drei Pandemie-Jahren, in denen häufig die Meinung vertreten wurde, es werde nach der Pandemie alles nicht mehr so sein wie früher. Dass sich zum Beispiel die Menschen nur noch mit Vorsicht begegnen. Das habe ich nie für wahrscheinlich gehalten und das ist auch nicht eingetroffen.
Es ist schon ein bisschen überraschend, wie schnell und selbstverständlich das gegangen ist. Aber es entspricht halt auch dem Bedürfnis der Menschen, möglichst schnell über diese für viele ja sehr einschränkende und schwierige Phase hinweg zu kommen. Es gibt ja auch keinen wirklich zwingenden Grund mehr für Einschränkungen.
Worüber man nachdenken müsste und sollte, ist der Zeitraum Herbst/Winter, wenn wir wieder mehr Atemwegs-Infektionen haben: Ob dann nicht doch das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sinnvoll wäre, an Orten mit vielen Personen, in Bussen und Bahnen zum Beispiel. Ich fürchte aber, dass die Bereitschaft dazu gering sein wird.