Gesellschaftliche Krisen kommen in den Familien an. Das berichten Experten wie Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski. Wartelisten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind die Folge.
Familien werden durch aktuelle Krisen belastet. Und das wirkt sich auch auf die Psyche aus. Aus einer aktuellen nicht-repräsentativen SWR-Umfrage geht hervor, dass viele Eltern Unterstützung suchen. Doch das ist nicht immer einfach. Dem stimmt Tobias Banaschewski uneingeschränkt zu. Er ist ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, sowie stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim. Es gibt dort eine ambulante und stationäre Versorgung für Kinder und Jugendliche.
SWR Aktuell: Herr Banaschewski, kann man sagen, die vielen Krisen, die uns aktuell betreffen, haben einen direkt Einfluss auf die Familien? Also insbesondere auf Kinder und Jugendliche?
Tobias Banaschewski: Meines Erachtens nach kann man das sagen. Es zeigt sich klar, dass die verschiedenen Krisen in Zusammenhang mit einer Zunahme von psychischen Auffälligkeiten stehen. Dazu gibt es sehr gute Studien. Die Mechanismen, die dem zugrunde liegen, dass die Krisen zu einer Zunahme der Prävalenz (gesamte Anzahl der Krankheitsfälle, Anm. d. Redaktion) für psychische Auffälligkeiten führen, sind allerdings jetzt noch unklar.
Wenn wir über die Pandemie sprechen ist sicherlich zu konstatieren, dass dies bei Kindern und Jugendlichen, gerade im Zuge von Lockdowns, zu dem Gefühl sozialer Isolation, dem Ausschluss von jugendtypischen Erfahrungen geführt hat.
Also es sind sehr viele verschiedene Mechanismen, die direkt mit den Krisen verbunden sind. Menschen wollen, wenn sie sich in die Gesellschaft hinein entwickeln, natürlich auch als Teil der Gesellschaft Zukunftsperspektiven für sich entwickeln, die mit Optimismus einhergehen können. Und da spielen die Krisen - Krieg, zunehmende ökonomische Unsicherheit, Klimaänderungen aber auch solche Pandemien wie Covid - eine große Rolle.
SWR Aktuell: Geben Sie uns einen kleinen Einblick in den Alltag, die aktuelle Situation in Ihrem Bereich? Mit welchen Fragen, mit welchen Themen, kommen Familien auf sie zu? Deckt sich das mit dem, was sie gerade angesprochen haben?
Tobias Banaschewski: Wenn Familien zu uns kommen, stehen natürlich nicht nur direkt klima- oder pandemiebezogene Ängste im Vordergrund. Sondern vielfältige Probleme, die mit psychischen Störungen einhergehen oder sich einfach verschärfen. Also Kinder beispielsweise mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, Anm. d. Redaktion), die die Schule nicht mehr besuchen können, entwickeln zunehmend Probleme, weil sie den Anschluss einfach nicht mehr finden.
Es zeigt sich, dass beispielsweise Krisen in den Anamnesen (professionelle Erfragung von potenziell medizinisch relevanten Informationen durch Fachpersonal, Anm. d. Redaktion) eine zunehmende Rolle spielen. Dass das bei vielen ein deutlicher Belastungsfaktor ist. Das hat man vielleicht vorher nicht so gesehen, weil man nicht danach gefragt hat.
SWR Aktuell: In der SWR-Umfrage "Familie in Krisenzeiten" spiegeln Familien auch, dass sie sich mehr Angebote für psychologische Beratung wünschen. Dreiviertel der Eltern fordern das. Was vielleicht auch damit verbunden ist, dass es gar nicht so einfach ist, das richtige Angebot zu finden?
Tobias Banaschewski: Einerseits fehlen die richtigen Angebote. Sie hatten ja auch zurecht festgestellt, dass beispielsweise im Bereich der Schulen schulpsychologische Dienste chronisch unterbesetzt sind. Es ist aber auch so, dass die bestehenden Angebote einfach an Kapazitätsgrenzen kommen. Das ist im Bereich der Kinder und Jugendpsychiatrie auch immer der Fall.
Und wenn Kinder und Jugendliche in akuten Krisen sind, hilft es ihnen wenig, wenn sie dann in sechs Monaten erst einen Termin erhalten.
SWR Aktuell: Nur jede zehnte Familie fühlte sich in der Umfrage ausreichend unterstützt. Das deckt sich mit dem, was sie jetzt angesprochen haben. Welche Tendenzen lassen sich aus Ihrer Sicht heute schon erkennen? Muss es mehr frühere, vielleicht auch völlig andere Angebote geben, um mit diesen zunehmenden komplexen Belastungen umgehen zu können?
Tobias Banaschewski: Definitiv muss es das geben. Es muss stärker auch präventiv gearbeitet werden, sodass psychische Störungen gar nicht erst entstehen. Oder Resilienz für Belastungsfaktoren gesteigert werden. Das erfordert aber meines Erachtens ein Umdenken innerhalb der Gesellschaft. Dahingehend, dass wir beispielsweise die Möglichkeiten aktiver Partizipation der jungen Menschen verbessern.
Meines Erachtens zeigen auch die disruptiven Prozesse innerhalb der Gesellschaft - und nicht nur innerhalb unserer Gesellschaft, sondern in verschiedensten Ländern - dass wir zu einem anderen Paradigma kommen müssen. Nämlich sehr viel stärker kulturelle, gesellschaftliche Faktoren, die auch den Zusammenhalt in unserer Demokratie vermitteln, hervorheben.
Stichwort sind beispielsweise Verschwörungstheorien, die auch zunehmend in den Vordergrund drängen. Dass man solche Probleme angeht. Und das geht eigentlich nur, wenn man den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Wenn man Möglichkeiten des Engagements schärft, wenn man jenseits der Wissensvermittlung, auch in den Schulen, bei solchen Gemeinschaftsprojekten tätig wird. All das sind Möglichkeiten, zumindest die Widerstandsfähigkeit zu verbessern und die gröbsten, also zumindest die größten Auswirkungen, vielleicht zu verhindern. Und daran muss man nicht nur forschen, sondern muss solche Projekte auch umsetzen.
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