Laut Kriminalitätsstatistik wurden 2023 in Baden-Württemberg fast 600.000 Straftaten registriert. Innenminister Strobl hält BW dennoch weiterhin für eines der sichersten Länder.
Die Polizei in Baden-Württemberg hat im vergangenen Jahr 594.657 Straftaten erfasst, über acht Prozent mehr als im Jahr davor. Das zeigt die polizeiliche Kriminalitätsstatistik für 2023, die Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) am Donnerstag in Stuttgart vorgestellt hat.
Der Anstieg sei maßgeblich auf ausländerrechtliche Verstöße zurückzuführen, erklärte das Innenministerium. Dazu zählen unter anderem die illegale Einwanderung und der illegale Aufenthalt, "also Straftatbestände, die naturgemäß mit der aktuellen Zuwanderungsbewegung einhergehen und keine unmittelbare Auswirkung auf die objektive und subjektive Sicherheit der Menschen entfalten", so das Ministerium.
Allgemeinkriminalität auf Niveau vor der Pandemie
Rechnet man die Verstöße gegen das Ausländerrecht heraus, dann liegen den Angaben zufolge die Straftaten der Allgemeinkriminalität etwa auf dem Niveau der Vor-Pandemie-Jahre 2017 bis 2019. Allerdings ist die Zahl der Fälle zum Vorjahr um fast sechs Prozent gestiegen. Das Ministerium erklärt diese Entwicklung hauptsächlich mit Zunahmen beim Ladendiebstahl, beim Erschleichen von Leistungen - vor allem dem sogenannten Schwarzfahren - und bei vorsätzlichen, einfachen Körperverletzungen. In diesen Deliktsbereichen kläre die Polizei mehr als neun von zehn Fällen auf.
"Die wirtschaftliche Situation, vor allem die hohe Inflation und die anfängliche Ressourcenmangellage dürften bei der Entwicklung der Kriminalitätslage im Jahr 2023 eine Rolle gespielt haben. Das zeigt sich beispielsweise bei der Entwicklung des Ladendiebstahls und des Tankbetrugs", sagte Innenminister Strobl.
Mehr Rohheits- und Sexualdelikte
Im vergangenen Jahr gab es der Statistik zufolge deutlich mehr erfasste Körperverletzungen und Raubüberfälle. Demnach registrierte die Polizei 93.442 sogenannte Rohheitsdelikte - dazu zählen Raub, räuberische Erpressung oder Körperverletzung. Das entspricht einer Steigerung von mehr als acht Prozent im Vergleich zum Jahr 2022.
Auch die Sexualdelikte haben 2023 leicht zugenommen - um gut zwei Prozent auf 12.671 Fälle. Dazu zählen unter anderem Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexuelle Belästigung.
Erstmals Messerangriffe in der Statistik erfasst
Auch die Gewaltkriminalität insgesamt hat im Land deutlich zugenommen. Gegenüber 2022 stieg die Zahl der Messerangriffe laut der Kriminalstatistik um 13,5 Prozent auf 1.295 Fälle. Straftaten, bei denen im öffentlichen Raum jemand unmittelbar mit einem Messer bedroht, verletzt oder getötet wurde, sind zum ersten Mal in der Statistik erfasst worden. "Es war höchste Eisenbahn, dass die Innenministerkonferenz auf meinen Vorschlag hin eine bundesweit einheitliche Statistik zu Messerangriffen eingeführt hat", so Strobl.
Neun von zehn Tatverdächtigen sind männlich Gewaltkriminalität in Baden-Württemberg steigt auf Zehnjahreshoch
Gewalt im öffentlichen Raum macht Angst und prägt eine Gesellschaft. In Baden-Württemberg ist die Zahl der Delikte so hoch wie sehr lange nicht mehr.
"Sicherheit ist ein elementares Bedürfnis der Menschen, vor allem auf unseren Straßen, Wegen und Plätzen. Gewalttaten, Aggressionsdelikte und Sexualdelikte können das Sicherheitsgefühl der Menschen beeinträchtigen. Deshalb tun wir alles, um solche Taten einzudämmen, zu bekämpfen und die Täterinnen und Täter konsequent zur Rechenschaft zu ziehen", sagte der Minister. Er verwies auf Waffen- und Messerverbotszonen, die Städte im Land seit Herbst 2022 dort, wo die Sicherheitslage es erfordert, einrichten können. Bislang gibt es solche Zonen in Stuttgart und Mannheim.
Insgesamt sei und bleibe Baden-Württemberg aber "eines der sichersten Länder", sagte der Innenminister. Im vergangenen Jahr seien je 100.000 Einwohner 4.592 Straftaten (ohne Ausländerrechtsverstöße) registriert worden. Das sei der zweitniedrigste Wert in den vergangenen 20 Jahren, abgesehen von den pandemiegeprägten Jahren 2020 und 2021. Außerdem stieg zugleich die Aufklärungsquote - von 61,4 auf 63,5 Prozent.
Der Statistik zufolge sind rund 76 Prozent der Tatverdächtigen männlich, ein knappes Viertel aller Tatverdächtiger sind unter 21 Jahre alt. Fast jeder zweite (48 Prozent) hat keinen deutschen Pass - der mit Abstand höchste Wert seit vielen Jahren. "Die steigenden Zahlen bei der Migration sind auch in der Statistik angekommen", so Strobl.
Strobl: Zu viele Flüchtlinge ins Land gekommen
Es seien einfach zu viele Flüchtlinge unkontrolliert ins Land gekommen, sagte der CDU-Politiker. Bei den in der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik erfassten Straftaten im öffentlichen Raum war im Jahr 2023 jeder siebte Tatverdächtige ein Geflüchteter - die Zahl stieg im vergangenen Jahr um 55 Prozent. Dass Asylbewerber und Geflüchtete überproportional viele Straftaten begingen, liege unter anderem daran, dass viele junge Männer darunter seien und diese in bestimmten Bereichen immer häufiger in der Kriminalitätsstatistik auftauchten, sagte Minister Strobl. Die Ursachen seien immer komplex und nicht monokausal. Doch die große Zahl an Migranten, die zuletzt ins Land gekommen seien, führe dazu, dass junge Menschen nicht mehr integriert werden könnten, die Sprache nicht mehr lernten, kritisierte er. Dann sei die Gefahr, dass jemand kriminell werde, sehr viel höher.
Baden-Württemberg liegt im bundesweiten Trend
Auch bundesweit ist die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten gestiegen. Deren Anzahl war im vergangenen Jahr in Deutschland so hoch wie seit 2016 nicht mehr. Der Anteil ausländischer Tatverdächtiger dabei groß. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verkündete am Dienstag bei der Vorstellung der bundesweiten Statistik dennoch: "Deutschland ist weiterhin eines der sichersten Länder der Welt."
Drei Faktoren könnten 2023 nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes (BKA) eine Rolle gespielt haben beim Kriminalitätswachstum: Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die hohe Inflation und starke Zuwanderung innerhalb eines kurzen Zeitraums, die für den Einzelnen zu schwierigen Lebensbedingungen und schlechteren Integrationschancen führen kann.
Experten warnen vor Überinterpretation in Politik
Experten aus der Kriminologie warnen jedoch vor einer Überinterpretation der Kriminalitätsstatistik. "Man muss diese Zahlen mit Vorsicht genießen", sagte Professor Jörg Kinzig, der Direktor des Instituts für Kriminologie an der Universität Tübingen, dem SWR. Denn die Kriminalitätsstatistik zeige kein reales Bild der Kriminalität, sondern nur das sogenannte Hellfeld, da in ihr nicht alle tatsächlich begangenen Straftaten erfasst würden. Um ein genaues Bild zu bekommen, müssten die Daten durch sogenannte Dunkelfelduntersuchungen ergänzt werden. "Man macht das mit Bevölkerungsbefragungen", erklärte Kinzig. "Diese gibt es in Deutschland aber nur ungenügend."
Kriminologe Feltes spricht von "Arbeitsnachweis der Polizei"
Der Kriminologe und emeritierte Professor der Ruhr-Universität Bochum Thomas Feltes geht in einem Interview mit dem SWR noch weiter: "Das BKA warnt seit vielen Jahren in seiner veröffentlichten Statistik immer wieder davor, diese Zahlen so platt zu verwenden, wie es in der Politik getan wird. Offensichtlich lesen die Innenpolitiker oder die Innenminister ihre eigenen Statistiken nicht richtig." Einen praktischen Nutzen der Statistiken für die Politik sieht indes Feltes nicht. Diese seien allenfalls ein "Arbeitsnachweis der Polizei".
Ein verlässlicher Nachweis über die tatsächliche Belastung mit Kriminalität in Deutschland fehle bislang. Er fordere deshalb seit Jahrzehnten eine jährliche Dunkelfeldstudie zur Kriminalität, wie es sie beispielsweise in den USA bereits gebe. Zudem wird laut Feltes nur eine von vier Taten, die in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik erfasst wird, am Ende auch verfolgt. "Damit muss man im Grunde genommen sagen, dass diese Statistik nicht tauglich ist, um damit politische Diskussionen oder Analysen abzuleiten".
Experte: Blick auf "Lebenslagen" entscheidend
Dem Tübinger Kriminologen Kinzig zufolge kann man aus der Kriminalitätsstatistik zwar einen gewissen Trend ablesen, "aber man muss sehr vorsichtig sein in der Interpretation", so der Experte. Die Unterscheidung der Tatverdächtigen in deutsche und nicht-deutsche gibt seiner Einschätzung nach "nicht viel her". Aufschlussreicher sei dagegen der Blick auf "Lebenslagen".
Einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität erklärt Kinzig mit einem hohen Anteil junger Männer unter Geflüchteten. Junge Männer seien in allen Kulturen stärker kriminalitätsbelastet. "Ein Problem ist natürlich dann, wenn diese Menschen auch keine Perspektive haben, wenn sie vielleicht traumatisiert sind, wenn sie in Unterkünften auf engem Raum zusammenleben. Da kann man sich schon vorstellen, dass das Kriminalität verursachen kann", sagt Kinzig.
Er hält es deshalb einerseits für wichtig, "dass Perspektiven entwickelt werden für Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen". Auch wichtig sei es, dass Menschen ohne Perspektive zurückgeführt werden können - dass sei jedoch nicht immer einfach. Zudem sei schon vor Jahrzehnten gesagt worden, dass die beste Kriminalpolitik eine gute Sozialpolitik sei. "Das scheint mir nach wie vor richtig", so Kinzig. Auch Integration von Geflüchteten, beispielsweise in Sportvereinen, könne bei der Kriminalitätsprävention helfen.
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