Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bewertet die aktuellen Proteste gegen Rechtsextremismus positiv. Der AfD müsse man sich im Diskurs stellen, fordert er.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die aktuellen Massenproteste gegen Rechtsextremismus gelobt. Er bezeichnete diese als "notwendiges Zeichen", über das er sich sehr gefreut habe. Denn es habe sich gezeigt, wo die Mehrheit der Menschen im Land stehe - sie lehne die Ziele der Rechtsextremen ab. "Die tun ja immer so, als sprächen sie für das Volk, für die schweigende Mehrheit", so Kretschmann am Dienstag in Stuttgart. Wie anmaßend das sei, sei durch die Proteste einmal mehr deutlich geworden.
"Besonders erfreulich ist, dass das keine aus der Politik gesteuerten Aktionen sind", sagte Kretschmann. Dass diese sich aus der Zivilgesellschaft entwickelt hätten, sei der eigentliche Wert "dieses Aufstands gegen Rechtsextremismus". Seiner Erfahrung nach seien solche gesellschaftlichen Strömungen nicht unbedeutend, so der Ministerpräsident weiter - diese würden Stimmungen abbilden. Deshalb, so Kretschmann, sollten die Parteien der demokratischen Mitte es durchaus aufnehmen und sich "darauf committen, dass wir diesen gesellschaftlichen Grundkonsens auch wirklich umsetzen."
Zur eher zurückhaltenden bis teils ablehnenden Haltung der CDU bezüglich der Proteste befragt, blieb Kretschmann jedoch vage und zurückhaltend. Direkt darauf angesprochen, wie er die Rolle der Unionsparteien beurteilte, antwortete Kretschmann mit Blick auf seinen Koalitionspartner: "Mir ist nicht klar, inwiefern die Frage mich betrifft".
Darauf angesprochen, was die etablierten Parteien gegen ein Erstarken von Rechtsextremismus unternehmen könnten, betonte Ministerpräsident Kretschmann: "Wenn ich mal das wegnehme, was die Rechtsextremisten an Nazizeug erzählen, (...) und mir anschaue, was die sonst anbieten: Das ist eine reaktionäre Partei. Egal, was man anschaut, sie wollen nur zurück."
Themen wie Greentech (umweltfreundliche Zukunftstechnologien, Anmerkung der Redaktion) hielten ihre Vertreter für Blödsinn. Stattdessen wollten sie "beim Verbrenner bleiben, bei der Atomkraft, die Globalisierung rückwärts drehen". Sie wollten zurück in "eine Welt, die versunken ist, die es nicht mehr gibt, und die auch nie so war, wie die sie darstellen", so der 75-Jährige.
Fraktionschef Hagel: "AfD ist Hauptgegner der CDU"
Der baden-württembergische CDU-Fraktionschef Manuel Hagel sieht die AfD als "Hauptgegner der CDU". Am Mittwoch wolle Hagel im Landtag bei der Plenardebatte "Mut und Zuversicht statt Hass und Hetze - für eine Politik der starken demokratischen Mitte" über die Proteste gegen Rechtsextremismus und die AfD sprechen.
"Wir werden verdeutlichen, dass diese Truppe es einfach nicht kann. Dass ihre Pläne und Programme nichts taugen und sie uns in die Isolation und Verarmung führen", sagte Hagel bereits über die AfD. Um den Kampf gegen die AfD langfristig zu gewinnen, müssen laut Hagel Probleme wie die Migrationskrise und Abstiegsängste in der Gesellschaft gelöst werden. Sie hätten neben dem "Eindruck eines dysfunktionalen Staats" erst zum Erstarken der AfD geführt.
Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) zeigte sich bewegt von den Massenprotesten. Sie selbst vertrete schon seit vielen Jahren eine klare Haltung gegenüber Rechtsextremismus, so die CDU-Politikerin. Aus ihrer Sicht würden die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus überparteilich unterstützt. Auch der Bundesvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, habe sich bereits entsprechend geäußert. Sie äußerte die Hoffnung, dass sich die gesellschaftliche Mobilisierung durch die Proteste auch auf Wahlentscheidungen auswirken werde.
AfD wehrt sich gegen Vorwürfe
Die AfD im Landtag wehrte sich gegen die Vorwürfe. Kretschmann habe "seit 2016 die Chance gehabt, uns inhaltlich zu stellen. Stattdessen hat er uns ignoriert oder beschimpft oder beides", sagte Fraktionschef Anton Baron am Dienstag. Die AfD sei nicht rückwärtsgewandt, sondern Taktgeber. "Und das sieht auch stabil über ein Fünftel der deutschen Wähler so."
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Kretschmann: "Müssen uns Diskurs stellen"
Laut Kretschmann spürten auch immer mehr Abgeordnete, etwa bei Besuchen in Schulen, dass der Abstand der Bevölkerung zur rechtsextremen Parteien abgenommen habe. Zwar sei vieles von dem, was diese sagten, empörungswürdig, so Kretschmann. Doch speziell im Umgang mit der AfD habe sich gezeigt, dass bloße Empörung nicht ausreiche, um deren "Aufwuchs" aufzuhalten. Wenn Tabus gebrochen würden, seien es keine Tabus mehr, sondern Teil des Diskurses. Diesem müsse sich die Politik stellen und mit potenziellen Anhängern der Partei ins Gespräch kommen. Falsche Überzeugungen müssten als solche entlarvt werden.
Im Kontext der Bauernproteste seien etwa Forderungen laut geworden, ärmeren Ländern keinerlei Hilfen mehr zu zahlen und das Geld stattdessen im Inland zu verwenden. "Ja, sollen wir denn ganz Afrika China überlassen?", so Kretschmann. Sich selbst international zu isolieren und abzuschotten sei eine absehbar fatale Politik für ein exportorientiertes Land, so der Ministerpräsident.
"Fremdenfeindlichkeit und Rassismus haben bei uns nichts zu suchen und sind eine Bedrohung für die Region und den Wirtschaftsstandort", teilten daraufhin auch der Präsident der IHK Region Stuttgart, Claus Paal, und die dortige IHK-Hauptgeschäftsführerin, Susanne Herre, mit. "Als Exportregion profitieren wir von offenen Märkten und der europäischen Einigung. Wir erheben daher entschieden die Stimme gegen alle Versuche, Menschen aufgrund ihrer Herkunft das Recht abzusprechen, hier zu leben und zu arbeiten."
KZ-Gedenkstätten: Kretschmann gegen Pflichtbesuch
Die Forderung der SPD im Landtag, Schulklassen den Besuch einer KZ-Gedenkstätte vorzuschreiben, wies Kretschmann indes zurück. "Es ist nicht damit getan, dass man etwas vorschreibt", so der ehemalige Lehrer. Solche Besuche ergäben nur dann Sinn, wenn sie gut vorbereitet seien.
Die SPD im Landtag hatte am Wochenende Pflichtbesuche von Schülern aus dem Südwesten in KZ-Gedenkstätten gefordert. "Alle Schülerinnen und Schüler sollten während ihrer Schullaufbahn verpflichtend eine KZ-Gedenkstätte besuchen", teilte der Bildungsexperte der SPD-Fraktion, Stefan Fulst-Blei, mit.
Man sei dabei, die Gedenkstättenarbeit in Schulen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, sagte Kretschmann dazu. "Wir wussten schon lange, dass antisemitische Haltungen in der Bevölkerung da sind - und zwar in erheblichem Ausmaß." Man arbeite ständig an der Frage, wie man es schaffen könne, auch in der jungen Bevölkerung die Erinnerung an die Geschichte wach zu halten. "Da geht es um die Frage, wie man das gut macht und nicht, ob man etwas vorschreibt oder nicht", sagte der Ministerpräsident.
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