Die Wirtschaft in Baden-Württemberg schwächelt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann will deshalb einen Industriestrompreis. Bundesfinanzminister Lindner bleibt ablehnend.
Wegen hoher Energiepreise und einer schwächelnden Wirtschaft hat sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für die Einführung eines Industriestrompreises ausgesprochen. Die hohen Strompreise in Deutschland seien ein Problem. "Da bin ich gemeinsam mit Robert Habeck der Meinung, dass wir einen zeitlich begrenzten Industriestrompreis brauchen, der einigermaßen wettbewerbsfähig ist", sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Niemand wolle auf Dauer einen subventionierten Strompreis. "In der Übergangsphase, bis die großen Leitungen von Nord nach Süd stehen und sich die Situation durch den jetzt wieder an Fahrt gewinnenden Hochlauf der regenerativen Energien bessern wird, brauchen wir sowas aber schon."
Innerhalb der Bundesregierung gibt es Streit um einen staatlich subventionierten Industriestrompreis. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) will für eine Übergangsphase einen "Brückenstrompreis" von sechs Cent je Kilowattstunde für besonders energieintensive Betriebe. Auch die SPD-Fraktion will das. Die FDP lehnt einen Industriestrompreis ab, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich bisher eher skeptisch.
Lindner unterstreicht Nein zu Industriestrompreis
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bekräftigte am Dienstagabend seine Ablehnung eines Industriestrompreises. Er halte es "nicht für sinnvoll", "dass wir für einige große Konzerne Subventionen zahlen, die am Ende dann die Bäckerei und der Mittelstand tragen müssen", sagte Lindner den ARD-Tagesthemen. Aus seiner Sicht brauche Deutschland vielmehr einen schnelleren Zubau von Energieerzeugung, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie die Erleichterung von Strom-Partnerschaften zwischen Energieversorgern und Großverbrauchern. Subventionen für die Wirtschaft führten zu Wettbewerbsverzerrung zwischen großen und kleinen Unternehmen, erklärte der Bundesfinanzminister. Auch wegen der Inflation sei er gegen einen vergünstigten Strompreis für die Industrie. "Wir können nicht uferlos Schulden machen. Wir leben schließlich immer noch in Zeiten zu hoher Inflation", gab Lindner zu bedenken.
Angst vor Abwanderung der Chemieindustrie RLP und andere Länder fordern niedrigere Stromsteuer
Zusammen mit sechs weiteren Bundesländern dringt Rheinland-Pfalz auf einen niedrigeren Strompreis. Andernfalls könnten energieintensive Industrien wie die Chemiebranche abwandern.
SPD-Fraktionschef appelliert an FDP
Zum Auftakt der Klausurtagung der Bundestagsabgeordneten der SPD in Wiesbaden hat Fraktionschef Rolf Mützenich an die FDP appelliert, sich nicht gegen einen staatlich subventionierten Industriestrompreis zu sperren. "Man kann nicht immer Nein sagen", sagte er an die Adresse der Koalitionspartner. Mützenich betonte, dass es um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen gehe. Er rief die FDP auf, in diesem Sinne "vielleicht auch aus der parteipolitischen Tradition" heraus "mit uns gemeinsam dann auch Stärke" zu zeigen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat den Appell von Mützenich zum Einlenken beim Industriestrompreis zurückgewiesen. "Herr Mützenich irrt sich, wenn er meint, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch Subventionsprogramme in Milliardenhöhe gestärkt würde", sagte Djir-Sarai am Montag in Berlin. "Ein subventionierter Industriestrompreis ist keine Lösung, um der offenkundigen Standortschwäche Deutschlands effektiv begegnen zu können", erklärte Djir-Sarai. Zudem würde er den inländischen Wettbewerb zulasten kleinerer Unternehmen verzerren. Vielmehr müsse der Standort Deutschland wieder attraktiv werden für Firmen und private Investitionen.
Wirtschaftswissenschaftler kritisiert Industriestrompreis
Auch Wirtschaftswissenschaftler sehen den geforderten Industriestrompreis kritisch. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bemängelte in der ARD, dass der Industriestrompreis die Transformation letztlich verschleppen würde und die betroffenen Unternehmen eigentlich andere Hilfen bräuchten.
Der Ökonom Jens Südekum von der Universität Düsseldorf hingegen sprach sich für einen Industriestrompreis aus und forderte eine Erweiterung des Empfängerkreises. Der Strompreis sei für Investitionsentscheidungen zentral. Wenn sich die Unternehmen darauf verlassen könnten, dass der Strompreis nicht über sechs Cent gehe, dann würden sie ihre Investition auch in Deutschland tätigen. Es gebe zahlreiche Industriezweige, die noch mit fossilen Energien operierten, die sich aber elektrifizieren wollten und müssten. Die technischen Verfahren dafür seien längst da, aber der Strombedarf würde sich um das Zehnfache erhöhen. "Und daher wird dieser Schritt oft nicht gemacht", erklärte Südekum.
Kretschmann: Wirtschaft steht nicht "am Abgrund"
Kretschmann warnte zugleich davor, die wirtschaftliche Lage schlechter darzustellen, als sie sei. "Wir müssen aufpassen, dass wir die Lage nicht durch dauerndes Lamentieren verschlechtern." Die Produktivität sei nach wie vor hoch und Deutschland eine innovative Region.
Die Landesregierung sei zudem nicht untätig. "Wir machen auch unsere Hausaufgaben, investieren in die digitale Infrastruktur, gehen die Digitalisierung der Verwaltung wirklich massiv mit allen Kräften an", sagte Kretschmann. Auch gehe man den Abbau überbordender Bürokratie an und setze auf Künstliche Intelligenz. "Da sind wir führend in ganz Europa", sagte Kretschmann.
Fehlende Fachkräfte und hohe Energiepreise schwächen Wirtschaft in BW
Die hohe Inflation, der stockende Konsum und die schwächelnde Weltwirtschaft machen den Unternehmen in Baden-Württemberg Probleme. So meldete das Statistische Landesamt erst kürzlich für die erste Jahreshälfte einen Rückgang der Exporte aus Baden-Württemberg um 1,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, während bundesweit die Exporte im selben Zeitraum um 3,3 Prozent zulegten. Auch der in Baden-Württemberg stark vertretene Maschinenbau klagt über eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit und nennt als Grund fehlende Fachkräfte sowie hohe Energiepreise.
Das bereitet auch Kretschmann Sorge. "Sorgen hat man immer, das ist klar. Wir müssen einfach die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes erhöhen und eine gemeinsame Zukunftsagenda auf den Weg bringen", sagte der Ministerpräsident. Er verwies auf das von der Bundesregierung geplante Wachstumschancengesetz. "Da sind wegweisende Dinge drin, die die Wirtschaft entlasten: Abschreibungsmöglichkeiten oder Steuersenkungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das ist, glaube ich, der richtige Weg", sagte Kretschmann. Er sei zuversichtlich, dass das Gesetz bald komme.
Kretschmann: BW bei globalen Wirtschaftskrisen besonders betroffen
Dass Baden-Württemberg bei globalen Wirtschaftskrisen immer besonders stark betroffen sei, sei nicht neu, so Kretschmann. "In solchen Situationen gehen wir immer tiefer runter als die anderen Regionen, gerade weil wir so exportstark sind." Wenn sich die Lage dann aber wieder verbessere, gingen die Kennzahlen aber in der Regel in Baden-Württemberg auch wieder schneller hoch als anderswo.