Baden-Württembergs Gesundheitsminister Lucha hat in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" die geplante Krankenhausreform verteidigt. Ärzte und Pflegekräfte sind skeptisch.
Trotz großer Skepsis von Ärzten und Pflegekräften hat Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) den Menschen in ländlichen Regionen eine bessere medizinische Versorgung durch die geplante Krankenhausreform versprochen. Lucha trat am Donnerstagabend in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" Befürchtungen entgegen, dass es wegen des finanziellen Drucks bei der Versorgung im ländlichen Raum weitere Abstriche geben werde. "Ich widerspreche: Sie wird besser, sie wird planbarer und wir müssen sie besser steuern."
Experten wie Giovanni Maio, Medizinethiker von der Universität Freiburg, befürchten dagegen, dass viele kleinere Kliniken dem ökonomischen Druck nicht standhalten können und aufgeben müssen. "Der Spardruck wird fortgesetzt", sagte er in der Sendung.
Lucha, der auch Vorsitzender der Konferenz der Gesundheitsminister ist, sieht großen Reformbedarf bei den Kliniken: "Wir müssen uns doch ehrlich machen. Wir haben doch einen großen Personalmangel." Der Minister dringt darauf, dass weniger Fälle in den Krankenhäusern ankommen, sondern zunächst in Arztpraxen behandelt werden. "Wir brauchen vor dem Krankenhausaufhalt viel mehr Primärversorgung in der Basisversorgung."
Lucha: Kleine Krankenhäuser oft überflüssig
Der Minister verteidigte die Schließung von kleineren Krankenhäusern, die nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden könnten. Als Beispiel nannte er die kürzlich geschlossene Klinik in Bad Waldsee im Landkreis Ravensburg. Das Haus habe im Jahr 7.000 Fälle in der Notaufnahme gehabt, von denen nur acht Prozent stationär behandelt worden seien.
Für Lucha ist klar: "Das braucht nicht die Infrastruktur eines Krankenhauses." Die Belegung sei im Jahresschnitt unter 50 Prozent gewesen und trotzdem habe man das Personal vorhalten müssen. "Das waren Kosten für die Krankenhausbetreiber, die dauerhaft nicht darstellbar waren." Es sei für Patientinnen und Patienten zumutbar, ins benachbarte Ravensburg oder nach Biberach zu fahren, "wo zwei unlängst stark ausgebaute Schwerpunktversorger mit großer Disziplinenbreite" bereitstünden.
Medizinethiker moniert fehlende Ehrlichkeit in Reformdebatte
Der Medizinethiker Maio befürchtet ein massives Kliniksterben. Er forderte die Politik auf, die Krankenhäuser nicht dem freien Markt zu überlassen, auf dem die Großen die Gewinner seien und die Kleinen aufgeben müssten. "Man will die Zahl der Kliniken dezimieren, sagt es aber nicht." Es dürfe bei der Daseinsvorsorge nicht darum gehen, Geld zu verdienen. "Der Markt kann eine gute Versorgung nicht sichern, das muss der Staat machen."
Minister Lucha verteidigte die Pläne, dass die sogenannten Fallpauschalen weiter zu 40 Prozent die Finanzierung sichern sollen. "Ganz ohne ökonomischen Anreiz macht das System keinen Sinn", sagte Lucha. Es gehe um Beitragsmittel der Patientinnen und Patienten, mit denen vernünftig umgegangen werden müsse. "Sie tun alle so, als hätten wir unendlich viele pflegerische und medizinische Kapazitäten. Das stimmt nicht, wir müssen diese Kräfte bündeln", sagte der Minister in der Diskussion.
Marburger Bund fordert mehr Kontrollen durch Gewerbeaufsicht
Mit dabei auch: Silvia Ottmüller, Landesvorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund. Sie monierte, die Mediziner im Krankenhaus könnten kaum Pausen machen und müssten ständig Überstunden leisten. "Es ist eine chronische Überlastung da." Sie bemängelte, die Personaldecke sei so dünn, dass bei Ausfällen immer weitergearbeitet werden müsse, obwohl dabei Fehler passieren könnten. "Jeder weiß, es wird nicht kontrolliert durch die Gewerbeaufsicht, also werden die Tarifverträge und Arbeitsschutzbestimmungen nicht umgesetzt." Ottmüller forderte Lucha auf, das zu ändern.
Minister sieht auch Reformbedarf bei Arbeitsabläufen in Kliniken
Lucha sicherte zu: "Da bin ich gern dabei." Er betonte aber auch, dass es nicht in der Zuständigkeit seines Ministeriums liege. Ottmüller sagte: "Herr Lucha, ich nehme Sie beim Wort. Sie sind unser Gesundheitsminister." Die Überwachung des Arbeitsschutzes liegt in der Hand der Gewerbeaufsicht, die in Baden-Württemberg bei den Kreisen angesiedelt ist. Lucha räumte ein: "Druck ist da." Er wolle die Belastungsprobleme nicht kleinreden. Aber in den Kliniken müsse auch effektiver gearbeitet werden: "Wir wollen ja bessere Arbeitsabläufe, bessere Patientensteuerung, bessere Arbeitsorganisation." Man müsse sich auch über "Doppeluntersuchungen und Doppelstrukturen" unterhalten.
Niedrigste Bettendichte in BW
In Baden-Württemberg werden schon seit Jahrzehnten Überkapazitäten bei den Kliniken abgebaut. Im Jahr 2000 gab es noch knapp 300 Krankenhäuser mit über 65.000 Betten. Anfang vergangenen Jahres waren noch gut 200 Kliniken mit knapp 57.600 Betten übrig. Die Betten-Dichte ist damit hierzulande im Bundesvergleich am niedrigsten. Laut Krankenhausgesellschaft kamen in Baden-Württemberg zuletzt 488 Klinikbetten auf 100.000 Menschen, während der bundesweite Schnitt bei 581 lag.
Warnung vor "kaltem und ungeregeltem Strukturwandel"
Krankenhausgesellschaft und Kreise warnen auch, in dem Tempo und unter diesen finanziellen Bedingungen weiterzumachen. Es drohe "ein kalter und ungeregelter Strukturwandel", bei dem die wohnortnahe Versorgung unter die Räder gerate. Bedeutet: Es könnten Krankenhäuser schließen, die eigentlich dringend gebraucht werden. Corona und die Wirtschaftskrise haben vielen Kliniken stark zugesetzt. Im Jahr 2021 waren in Baden-Württemberg 29 Prozent aller Krankenhäuser akut von einer Insolvenz bedroht. Das geht aus einem Report des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung hervor. Baden-Württemberg schneidet in dem bundesweiten Rating am schlechtesten ab. Der Bund, der neben den Kassen die Kosten für die Unterhaltung trägt, müsse allein den Kliniken in Baden-Württemberg 500 Millionen Euro mehr überweisen.
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Lauterbach schwärmt von "Revolution"
Doch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will von neuen Finanzspritzen nichts wissen. Der SPD-Politiker will stattdessen mit den Ländern eine Krankenhausreform auf den Weg bringen. Er spricht von einer "Revolution". Kritiker sagen allerdings, dass die Kliniken weiter auf Wirtschaftlichkeit getrimmt werden, dass das Kliniksterben auf dem Land durch die Reform nicht aufgehalten werden wird. Die Reformpläne sehen vor, das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle zu ändern, um Krankenhäuser von finanziellem Druck zu immer mehr Fällen zu lösen und die stationäre Versorgung zu verbessern. Die Kliniken sollen einen großen Anteil der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen.
Derzeit arbeitet eine Bund-Länder-Gruppe an einem Gesetzentwurf. Der sollte eigentlich nach der Sommerpause fertig sein, das Gesetz sollte zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Doch das Vorhaben verzögert sich. Lucha, der derzeit auch Chef der Konferenz der Gesundheitsminister ist, rechnet damit, dass das Gesetz in den ersten drei Monaten des nächsten Jahres verabschiedet wird. Erst dann könnten für jeden Standort die geplanten Leistungsgruppen ausgewiesen werden, so Lucha. Mit der Reform sollen alle Leistungen in 65 Gruppen einsortiert werden, so dass Krankenhäuser nur die Leistungen erbringen können, für die sie auch eine entsprechende Ausstattung vorhalten.
Alleingang des Bundes mit Transparenzgesetz
Transparent machen will der Bund die Verteilung der Leistungsgruppen auf die Häuser und eine Einteilung in Versorgungsstufen ("Level"). Über eine stärker steuernde Funktion der "Level" gab es schon zuvor keine Einigkeit mit den Ländern, die die Planungshoheit für die Kliniken selbst in der Hand behalten wollen. Lauterbach will mit sogenannten Levels Einordnungen des Kliniknetzes in Stufen erreichen - von der wohnortnahen Grundversorgung über eine zweite Stufe mit weiteren Angeboten bis zu Maximalversorgern wie Universitätskliniken. Die Krankenhausgesellschaft sieht in dem Transparenzgesetz ein "trojanisches Pferd" der Klinikreform. Der Bund entscheide darüber, ob die Bürgerinnen und Bürger ein Krankenhaus als Basisversorger (Level 1) oder als komplexen Leistungserbringer (Level 3) wahrnehmen. Das bewirke eine "Zentralisierung durch die Hintertür".
Die ganze Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" vom 5. Oktober können Sie hier anschauen:
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