Im Bundestag liegt das Gesetzesprojekt zum Thema "Mehr Schutz für das Bundesverfassungsgericht". Es sollte vor möglichen Neuwahlen unbedingt noch verabschiedet werden, meint Frank Bräutigam.
Man mag es in dem ganzen Streit der vergangenen Monate zwischen Regierung und Opposition kaum glauben – aber es gab und gibt auch ein gemeinsames Gesetzesprojekt von Ampel und Union. Und zwar zum Thema „Mehr Schutz für das Bundesverfassungsgericht“ (Link Text dazu). Im Juli 2024 hatte es nach langen Diskussionen eine Einigung gegeben, im Oktober fand die erste Lesung im Bundestag statt. Der Bundesrat hat bereits Stellungnahmen abgegeben.
Unabhängigkeit des Gerichts auf Dauer sichern
Es geht bei dem Projekt im Kern darum: Wichtige Regeln, die mit Blick in die Zukunft die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts sichern, sollen nicht nur in einem „normalen“ Gesetz stehen, sondern direkt im Grundgesetz. Dann könnte man sie nicht mehr mit einfacher Mehrheit ändern. Zum Beispiel, dass eine Wiederwahl der Richterinnen und Richter nach Ende ihrer Amtszeit nicht möglich ist. Oder dass die Entscheidungen des Gerichts absolut verbindlich sind. Das Gericht wäre vor Angriffen auf seine Unabhängigkeit dann besser geschützt.
Thema scheint nicht auf der „to-do-Liste“ zu sein
Das Problem ist: In der öffentlichen Debatte über Neuwahlen und die „to-do-Liste“ möglicher Gesetzesprojekte für den aktuellen Bundestag kommt dieses Thema so gut wie nicht vor. Dabei ist es aus meiner Sicht ein zentrales Projekt für den Rechtsstaat, das der Gesetzgeber jetzt noch unbedingt abschließen sollte.
Blick nach Thüringen zeigt die Gefahren
Warum? Das zeigt ein Blick nach Thüringen, auf die Situation nach der dortigen Landtagswahl. Im Vorfeld der Wahl hatte es intensive und gut vorbereitete Hinweise an die handelnden Akteure gegeben, welche Regeln man ändern sollte, um wichtige Institutionen wie den Landtag oder den Verfassungsgerichtshof des Landes besser zu schützen. Passiert ist vor der Wahl: Nichts. So richtig gemerkt hat man es erst danach, als die erste Landtagssitzung im Chaos endete. „Ja, hätte man wohl machen sollen vor der Wahl“, waren nachher zerknirschte Stimmen zu vernehmen.
Wie geht man mit einer Sperrminorität um?
Die AfD hat in Thüringen nun eine Sperrminorität, also mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag. Sie kann damit zum Beispiel Richterwahlen für den Verfassungsgerichtshof verhindern, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. Einen Mechanismus, wie man dabei eine Blockade auflösen kann, wurde in Thüringen nicht eingeführt. Genau so etwas ist aber ein Teil des Gesetzesprojekts im Bund.
Nach der Neuwahl könnte es zu spät sein
Kann man das nicht zur Not auch gleich nach der nächsten Wahl angehen? Womöglich nicht. Denn nach der nächsten Bundestagswahl kann es sein, dass die Parteien, die dieses Projekt unterstützen die nötige Zweidrittelmehrheit nicht mehr haben, um die nötige Verfassungsänderung zu beschließen.
Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr. Erst recht, wenn die Forderung nach einer früheren Vertrauensfrage als Mitte Januar immer mehr in den Mittelpunkt rückt. Ist die Vertrauensfrage einmal gestellt, beginnen relativ kurze Fristen zu laufen. Das Zeitfenster für ein solches Großprojekt ist definitiv eng. Eigentlich bräuchte man sogar noch Zeit für vertiefte Diskussionen über mögliche Ergänzungen. Für den 13. November eine öffentliche Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages geplant.
Beispiel für Verantwortung
Der Bundespräsident hat gerade appelliert, dass alle Akteure in der aktuellen Übergangsphase Verantwortungsbewusstsein zeigen sollen. Beim Gesetzesprojekt „Mehr Schutz für das Bundesverfassungsgericht" können die Ex-Ampel-Parteien und die Union nun zeigen, dass sie diesen Appell ernst nehmen. Und es schnell umsetzen. Wenn nicht, wäre das grob fahrlässig.