2023 ist die Jugendkriminalität laut Bundeskriminalamt um etwa zehn Prozent gestiegen. Was dagegen hilft, erzählen junge Straftäter aus der Jugendeinrichtung Schloss Stutensee bei Karlsruhe.
Die Jugendeinrichtung Schloss Stutensee bei Karlsruhe bietet jungen Straftätern einen Weg aus der Kriminalität. So wie Matthias (Name geändert): Als er von der Polizei verhaftet wird, ist Matthias 14 Jahre alt, also gerade so strafmündig. Er hätte nie geglaubt, dass er einmal verhaftet werden würde. "Ich dachte mir, ich bin schlauer", sagt er im Gespräch mit dem SWR. Zuvor hatte der mittlerweile 15-Jährige einige Straftaten begangen: Körperverletzung, Bedrohung und dann noch zwei Überfälle auf Tankstellen.
Matthias kommt in Haft. Es beginnt die schwerste Zeit seines Lebens. Vor allem, wenn er Besuch von seiner Mutter in der Haftanstalt bekommt.
Matthias über einen der schlimmsten Momente seines bisherigen Lebens:
Von der Haft ins Schloss
So wie Matthias ist es auch Max (Name geändert) ergangen. Beide haben Straftaten verübt und sind im Gefängnis gelandet. Beide sagen, dass es für sie ein großes Glück war, dass sie vor etwa einem Jahr in das Schloss Stutensee gekommen sind. Mit seiner prachtvollen Allee und dem herrschaftlichen Hauptgebäude war das Schloss in seiner jahrhundertealten Geschichte Jagdsitz, Lustschloss oder Gestüt zur Pferdezucht - daher der Name: Stutensee.
Vor etwa 100 Jahren erwarb Landgerichtsrat Wetzlar für den Karlsruher Bezirksverein für Jugendschutz und Gefangenenfürsorge das Schloss Stutensee. Damals wurden jungen Männern Lehrstellen in Gärtnerei, Landwirtschaft, Schneiderei und Schuhmacherei geboten.
Schloss Stutensee bei Karlsruhe gibt Perspektive
Heutzutage bietet die Jugendeinrichtung eine Schule in verschiedenen Bildungsgängen, Wohngruppen in unterschiedlichen Ausgestaltungen, Inobhutnahme, Tagesgruppen, Soziale Gruppenarbeit, Mobile Hilfen u. v. m. Max und Matthias sind beide in der "Individuell Geschlossene Gruppe" (IGG). Hier werden ausschließlich Jungen im Alter zwischen 11 und 16 Jahren durch richterlichen Beschluss untergebracht.
Abgeschirmt von äußeren Einflüssen sollen sie hier zunächst Orientierung und Halt bekommen. Lernen, ihre Probleme anzugehen, um danach Stärken auszubauen und neues Verhalten zu trainieren. Sportarten wie Fußball oder Boxen geben ihnen dabei Selbstvertrauen.
Haft bringe keine Einsicht bei Jugend
Ganz anders sei das in der Haft. In seiner Zelle sei man zwar abgeschirmt, aber es gucke auch niemand nach einem. Der 16-jährige Max fühlte sich auf sich allein gestellt.
Die Maßnahmen im Schloss Stutensee würden im Gegensatz dazu sehr helfen "Hier wird sich intensiv damit beschäftigt, was hast du gemacht, wie fühlst du dich damit. Dann fängt man an, die Sachen anders zu sehen", sagt Max. Die beiden sind sich einig: Haft mache einen Jugendlichen nur noch mehr kaputt - Resozialisierung? Fehlanzeige! Die gebe es nur in Programmen wie der IGG im Schloss Stutensee.
Jugendhilfe braucht selbst dringend Hilfe
So erfolgreich solche Einrichtungen der Jugendhilfe auch sein mögen, sie haben bundesweit ein Problem: Personalmangel. Obendrauf komme noch ein Imageproblem, sagt Jens Brandt, Leiter der Jugendeinrichtung Schloss Stutensee. Eigentlich könne er 14 Jugendlichen wie Max oder Matthias einen Platz anbieten. Seit über einem halben Jahr könne er nur etwa die Hälfte der Plätze besetzen, da zu wenig Personal vorhanden sei.
Gleichzeitig stehen laut Jens Brandt den acht Plätzen etwa 500 Anfragen pro Jahr aus ganz Deutschland gegenüber. Das ist in etwa der 60-fache Bedarf. Dazu stehe das Personal in Stutensee längst am Limit. Wegen Arbeitsüberlastung und mäßiger Bezahlung habe der Geschäftsführer der Jugendeinrichtung, Jens Brandt, schon manche Kündigung entgegennehmen müssen.
Steigende Kriminalität, fehlendes Geld und Personal
Hinzukommen noch die vom Bundeskriminalamt kürzlich veröffentlichten Zahlen zur bundesweiten Jugendkriminalität: Ein Anstieg von etwa zehn Prozent im Jahr 2023 - auch wenn auf die letzten Jahrzehnte betrachtet, die Kriminalität gesunken ist. Herr Brandt wundert sich allerdings nicht über den jetzigen Anstieg, eher dass er so "niedrig" ist. Vor allem eins wünscht er sich deswegen:
Politik habe Problem erkannt
Der Karlsruher Sozialbürgermeister Martin Lenz (SPD) sagt, die Politik habe das Problem erkannt. Vor gut einem Jahr kritisierte er, dass im Vergleich zu anderen Bundesländern das Land Baden-Württemberg einen zu geringen Personalschlüssel finanziere. Mittlerweile gebe es Gespräche und gute Ansätze, beispielsweise die Personalschlüssel zu flexibilisieren oder Azubis mehr in den Betrieb einzubinden. Aber bis es da konkrete Maßnahme gebe, werde es noch dauern. Er würde sich wünschen, dass es schneller gehe.
Ob man die Zeit hat, wird sich zeigen. Jens Brandt hofft jedenfalls, dass er bis zum Sommer wieder die zweite Hälfte der geschlossenen Wohngruppe für Jugendliche öffnen kann. Sicher ist er sich dabei nicht. Und selbst wenn, dann gebe es immer noch nicht genügend stationäre Hilfe für straffällige Jugendliche.
Nach Haft: Wieder nach Hause - in Ruhe
Matthias und Max hatten das Glück, einen der wenigen Plätze zu bekommen. Sie haben die Chance genutzt, die viele straffällige Jugendliche erst gar nicht erhalten. Das ist beiden bewusst. Genau deshalb raten sie jedem, so eine Möglichkeit zu nutzen.
Matthias wünscht sich mehr Einrichtung wie das Schloss Stutensee:
Ihre Zeit in Stutensee endet bald. Mit dem Schulabschluss in der Tasche wünschen sie sich für die Zukunft einen Ausbildungsplatz als Handwerker oder Pädagoge. Aber erst einmal freuen sich die beiden auf ihr Zuhause und auf Ruhe.