Eltern in Ettlingen gründen neue Schule

Rechnen, Schreiben, Kompostklo: Natur-Schule Nimmersatt geht neue Wege

Stand
Autor/in
Theresa Ehrl
SWR-Reporterin steht in einem Großraumbüro

Nur von Eltern wird die Freie Schule in Ettlingen organisiert. Beim Anlegen eines Spielplatzes, eines Gartens oder eines Kompostklos lernen Gundschulkinder hier lesen, schreiben und mehr.

In Ettlingen haben Eltern ihre Vision Realität werden lassen und eine eigene Schule gegründet. Denn manchmal haben Schülerinnen und Schüler eben keine Lust auf Mathe. Und das ist in der Freien Schule Nimmersatt auch vollkommen in Ordnung. "Eine Schule, die lebt und die einfach so entstehen kann", erklärt Lena Bringmann, eine Mutter und Mitgründerin der Schule.

Freie Schule Nimmersatt in Ettlingen

Nach drei Genehmigungsanläufen sitzen die Kinder der Freien Grundschule Ettlingen nicht in Reih und Glied hinter Schulbänken, sondern sitzen und laufen kreuz und quer. Sie unterhalten sich über die Bücher, die sie gerade schreiben und die "Beungbeungs", die sie in der zweiten Klasse gebastelt haben - mit Mehl gefüllte Luftballons, eine Art Anti-Stress-Ball.

Schulkreis Freie Schule Nimmersatt Ettlingen
Soziokratisch entscheiden die Schüler im Kreis, was sie lernen möchten.

Kinder sollen stressfrei lernen: Ohne Klassen, Noten, Zwang

Das Lernen am Kind orientieren, persönliche Interessen unterstützen und das für Grundschulkinder möglichst stressfrei: Das wünschen sich die meisten Eltern für ihr Kind. In Ettlingen haben sie deshalb die Sache nun einfach selbst in die Hand genommen. Die vier Klassenstufen der Schule Nimmersatt werden miteinander unterrichtet - und zwar in einer Art Freiluftklassenzimmer mit eigenem Waldgarten, Komposttoilette und Platz für viele Projekte.

Komposttoilette der Freien Schule Ettlingen
Die Komposttoilette ist eines der Projekte der Freien Schule Ettlingen.

Einen richtigen Stundenplan gibt es nicht. Die Kinder können in einer stillen Arbeitszeit selbst wählen, ob sie schreiben, rechnen oder ein Buch lesen möchten. Regelmäßig gibt es von den Lehrerinnen ein Lernangebot, ein Projekt oder eine Aufgabe aus dem Alltag, an dem Inhalte vermittelt werden. Eine Obstspende für den Kindergarten beispielsweise eignet sich zum Beispiel für eine Mathestunde. Obst wird gezählt, gewogen und dokumentiert. So können die Schüler selbst die nächste Obstbestellung anpassen.

Schülerinnen ordnen in der Freien Schule Nimmersatt in Ettlingen Obstbegriffe zu
Schüler lernen selbstbestimmt in der Freien Schule Nimmersatt in Ettlingen.

Keine Lust auf Mathe: dann eben einen Comic schreiben

Ob die Kinder das Lernangebot annehmen, oder sich lieber in Stillarbeit vertiefen, sei ihnen überlassen. Jonas zum Beispiel hat heute keine Lust auf Äpfelzählen, lieber schreibt er weiter an seinem Action-Comic. Das heiße nicht, dass er nie Mathe macht. Auf dieses spezielle Angebot mit Obst habe er aber heute einfach keine Lust, erklärt er. Dass er dazu nicht gezwungen wird, findet er im Gegensatz zur Regelschule schön.

Weil da muss man dann zum Beispiel dieses bestimmte Arbeitsblatt machen und hier darf ich entscheiden, ob ich jetzt das mache oder ein anderes.

Macht Nimmersatt fit für die weiterführende Schule?

Selbstbestimmt oder nicht: Laut Kultusministerium muss auch die Freie Schule Nimmersatt den klassischen Bildungsplan erfüllen, genauso wie alle anderen Schulen auch. Nach der vierten Klasse müssten sie schließlich auf dem Niveau der anderen Viertklässler sein, damit sie auf der weiterführenden Schule nicht abgehängt würden, heißt es von Seiten der Schule Nimmersatt. Und das funktioniere durch umfangreiches Dokumentieren.

Wenn auffällt, dass ein Kind ausschließlich liest und anderes vernachlässigt, würden die Lehrkräfte versuchen, das Kind mit passenden Angeboten zu motivieren. Wenn das nicht helfe, würden sie gezwungenermaßen doch einen Rahmen vorgeben, in dem bestimmte Aufgaben erledigt werden müssen.

Mathematik in der Schule Nimmersatt
Sogar in der Pause beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler freiwillig mit Mathematik.

Diese Veränderungen beobachten Eltern in Ettlingen bei ihren Kindern

Lena Bringfeld hat den direkten Vergleich. Ihre Tochter absolvierte die erste Klasse auf einer Regelschule, seit der zweiten geht sie auf die Freie Schule Nimmersatt in Ettlingen. Trotz kleiner Klasse und engagierter Lehrerin der Regelschule, sei ihre Tochter Zähne kauend und müde nach Hause gekommen. In der Freien Schule sei das nun anders.

Nach der Schule schreibt sie oft sogar im Auto noch weiter.

Lena Bringmann, Mutter eines Kindes der freien Schule Ettlingen
Lena Bringmann ist Nimmersatt-Mutter und spezialisiert im Thema Permakultur.

Natur-Schule Nimmersatt: Nachhaltigkeit steht an erster Stelle

Naturschutz, Nachhaltigkeit und ressourcenschonender Umgang mit dem Lebensraum: Das stehe auch im Bildungsplan von Regelschulen. Der große Unterschied nach Heike Bley ist der Inhaltszwang des Lehrplans. Die Nachhaltigkeit sei eher nebenher Thema. Ganz anders sei das in der Schule Nimmersatt.

Schülerinnen schreiben und illustrieren Bücher über ein selbstgewähltes Thema
Schüler lernen selbstbestimmt in der Freien Schule Nimmersatt in Ettlingen.

Bei uns steht die Nachhaltigkeit an erster Stelle und anhand dieser erklären wir die Inhalte.

Privatschulen nur für ausgewählte Kinder - Kritik von der Gewerkschaft

370 Euro Schulgeld kostet es im Monat, sein Kind auf die Freie Schule Nimmersatt zu schicken. Zusätzlich müssen sich die Eltern in der Genossenschaft engagieren. Das können sich nicht alle leisten. Obwohl nicht das volle Schulgeld bezahlt werden müsse, damit das Kind aufgenommen wird, und ein kleines Engagement genüge.

Gleichzeitig sagt die Schulverwaltung selbst, dass das Auswahlverfahren aufwendig, langwierig und streng sei. Um die individuelle Betreuung zu gewährleisten, solle die Gruppe eben klein bleiben. Nazli Türkoglu von der Lehrergewerkschaft sagt, das könne man durchaus kritisch sehen.

Privatschulen sieht Nazli Türkoglu - Lehrerin aus Karlsruhe- kritisch
Nazli Türkoglu ist Lehrerin an der Gartenschule in Karlsruhe und sieht Privatschulen kritisch.

Wenn immer mehr private Schulen gegründet werden, die nach dem dritten Jahr staatlich finanziert werden, kann das zu Ungerechtigkeit führen.

Die Methoden der Schule Nimmersatt würden auch in Regelschulen umgesetzt, erklärt sie. Aber ungerecht werde es dann, wenn immer mehr Eltern Privatschulen für ausgewählte Kinder gründen. Ab dem dritten Jahr werden die nämlich staatlich gefördert, während für Regelschulen Ressourcen fehlen, um solche freien Lernmodelle auch dort mehr umzusetzen, sagt Nazli Türkoglu.

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