Nach Versklavung durch den IS

Wie jesidische Frauen in Baden-Württemberg zurück ins Leben finden

Stand
Autor/in
Susanne Babila
Onlinefassung
Oliver Linsenmaier
Bild von Oliver Linsenmaier

Als eine der ersten Jesidinnen kam Zeytun Alsilo auf der Flucht vor dem Islamischen Staat 2015 nach BW. Mittlerweile ist sie gut integriert, doch Ängste und Traumata bleiben.

"Man kann es nicht vergessen, aber man muss trotzdem aufstehen", sagt die 32 Jahre alte Zeytun Alsilo über die schlimmste Zeit ihres Lebens. Gemeint ist der Völkermord an den Jesiden, der am 3. August 2014 im Nordirak begann und der letztlich dafür sorgte, dass die junge Jesidin 2015 nach Baden-Württemberg kam. Insgesamt waren es 1.100 Frauen und Mädchen, die dank eines sogenannten Sonderkontingentes im Land aufgenommen wurden. Nun zeigt sich: Viele von ihnen haben in der neuen Heimat Fuß gefasst - wie Zeytun Alsilo.

Gemeinsam mit ihrer Schwester Khawla hat sie in einem Raum der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart provisorisch eine kleine Schneiderei eingerichtet. Die Stoffbahnen liegen in gelb, blau oder rot ausgebreitet da. Daneben stehen zwei Nähmaschinen, Nadeln, Fadenrollen, Scheren und eine Schaufensterpuppe. Alles liegt bereit in der Nähwerkstatt der 32-jährigen Jesidin, die nach Maß schneidert.

Der IS tötete die Männer und verschleppte die Frauen

Schon in ihrer Heimat im Nordirak hatte Zeytun Alsilo eine Schneiderei. Doch im August 2014 änderte sich alles im Leben der jesidischen Großfamilie. Milizen des selbsternannten Islamischen Staates (IS) überfielen ihr Dorf und töteten fast alle Männer. Darunter befand sich auch Alsilos Vater. Ihre Mutter und ihre Brüder konnten flüchten. Zeytun Alsilo und ihre Schwestern wurden verschleppt und versklavt.

"Es wurde mir alles angetan. Ich wurde misshandelt und sexuell missbraucht. Wenn wir uns geweigert haben, den Koran zu lesen, wurden wir geschlagen", erinnert sich Alsilo. "Bis heute bin ich nicht gesund und ständig in ärztlicher Behandlung." Denn sie erlitt in der Gefangenschaft schwere Verletzungen an der Wirbelsäule, an Armen und Beinen und im Unterleib. Außerdem konnte sie nur noch schlecht hören, war fast taub.

"Es wurde mir alles angetan. Ich wurde misshandelt und sexuell missbraucht. Wenn wir uns geweigert haben, den Koran zu lesen, wurden wir geschlagen."

Trotz Flucht nach Deutschland: Das Trauma bleibt

Nachdem sie als eine der ersten Jesidinnen im Rahmen des Sonderkontingentes aus dem Nordirak nach Baden-Württemberg gekommen war, wurde sie acht Mal operiert. Außerdem wurden ihr Implantante in ihr Innenohr eingesetzt. Seitdem kann sie wieder hören, lernt deutsch und ist dankbar, dass sie in Baden-Württemberg Zuflucht gefunden hat. Das Trauma aber bleibt. "Ich habe sehr schlimme Albträume und kann nicht schlafen. Manchmal nur eine Stunde in der Nacht. Ich nehme Tabletten und mache seit Jahren eine Therapie", sagt Alsilo, die mittlerweile gelernt hat, mit dem Geschehenen umzugehen.

Geholfen hat ihr dabei die psychologische Beratungsstelle für politisch Verfolgte und Vertriebene der Evangelischen Gesellschaft in Baden-Württemberg. Hier fühlt sie sich sicher und kann über das Erlebte sprechen. Sie hat auch große Angst um die Angehörigen, die in ihrer Heimat im Nordirak in Flüchtlingslagern leben müssen, auch wenn Alsilos Mutter und Geschwister mittlerweile ebenfalls in Deutschland Zuflucht gefunden haben.

"Manchmal schlafe ich nur eine Stunde in der Nacht."

Psychologische Begleitung für geflüchtete Jesidinnen

Was diese Angst in den Flüchtlingslagern bewirken kann, weiß Jan Ilhan Kizilhan von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW). Der Leiter des Instituts für Transkulturelle Gesundheitsforschung hat die etwa 1.100 Frauen und Kinder, die über das Sonderkontingent nach Baden-Württemberg gekommen sind, psychologisch begleitet.

Jan Ilhan Kizilhan, Psychologe, Orientalist und Psychiotherapeut, steht vor dem Staatsministerium.
Professor Jan Ilhan Kizilhan, spezialisiert auf Traumatologie, leitet das Institut für Transkulturelle Gesundheitsforschung der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW).

"Diese Perspektivlosigkeit führt dazu, dass wir dort ein höheres Suizidrisiko haben und dass sich viele Menschen, vor allem junge Frauen und Mädchen, sich das Leben genommen haben", sagt Kizilhan. Es gebe aber auch viele Männer mit Depressionen. Auf Dauer könne man kaum in einem Flüchtlingslager leben, so der Psychologe, der selbst regelmäßig vor Ort ist.

Viele Jesidinnen haben in BW eine zweite Heimat gefunden

Gerade weil er so nah dran ist, setzt sich Kizilhan für ein zweites Sonderkontingent ein. Schließlich habe das erste Sonderkontingent eine große Bedeutung für die Betroffenen gehabt. Viele der Frauen und Kinder hätten sich integriert und in Baden-Württemberg eine zweite Heimat gefunden. Das sieht auch Zeytun Alsilo, die dafür sehr dankbar ist.

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