In Baden-Württemberg ist es den Kommunen überlassen, wie ihre Obdachlosen-Unterkünfte aussehen. Manche sind in fatalem Zustand. Die Erlacher Höhe fordert menschenwürdige Standards.
Die Hilfseinrichtung Erlacher Höhe (Großerlach - Rems-Murr-Kreis) fordert erneut von der Politik, einheitliche Mindeststandards für Obdachlosen-Unterkünfte zu etablieren. Denn in manchen Städten und Gemeinden sind die Unterkünfte in so schlimmem Zustand, dass die Menschen lieber im Freien schlafen, als dort zu übernachten, sagte Geschäftsführer Wolfgang Sartorius dem SWR.
Er hoffe auf eine Lösung im Rahmen des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit. Der Plan des Bundes soll Maßnahmen und Leitlinien liefern, um die Wohnungslosigkeit bis 2030 in Deutschland zu beenden. Die Erlacher Höhe hatte bereits im November Landes-Innenminister Thomas Strobl (CDU) im SWR aufgefordert, für einheitliche und menschenwürdige Standards in Baden-Württemberg zu sorgen.
Kakerlaken, kaputte Fenster, Schimmel und Dreck
Wolfgang Sartorius nennt keine Namen. Der SWR berichtete bereits 2019 über eine betroffene Unterkunft in Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall). Auch in Künzelsau (Hohenlohekreis) gab es bis in das vergangene Jahr äußerst fragwürdige Zustände, wie SWR-Recherchen zeigen. Mittlerweile plant die Stadt, im Hallstattweg ein neues Mehrfamilienhaus zu bauen. Im Jahr 2022 geriet eine Unterkunft in Gaildorf (Kreis Schwäbisch Hall) in die Schlagzeilen, nachdem dort unter anderem Ungeziefer für Ekel gesorgt hatte. In der Schlesierstraße in Radolfzell (Kreis Konstanz) berichteten Bewohner im März von dickem Schimmel. Wer sucht, findet weitere Beispiele im Land.
Vom Notfall zur Dauerlösung - Auch Familien mit Kindern betroffen
Städte und Gemeinden sind gesetzlich verpflichtet, unfreiwillig obdachlosen Menschen eine Unterbringung zu gewähren. Im Amtsdeutsch wird dies "Ordnungsrechtliche Unterbringung" genannt. Einheitliche Standards gibt es bislang nicht. So reichen die Angebote von gepflegten Sozialwohnungen über Wohncontainer (wie zum Beispiel in Bad Mergentheim im Main-Tauber-Kreis) bis hin zu verdreckten Sammelunterkünften mit Mehrbettzimmern.
Die ursprünglich als Notlösung gedachte Unterbringung ist über die Jahre für viele Menschen zu einer Art Dauerlösung geworden. Rund ein Drittel wohnt länger als zwei Jahre dort. Betroffen sind nicht nur alleinstehende Menschen, sondern auch Familien mit Kindern.
Taktik der Abschreckung?
In einigen Kommunen herrschte lange Zeit offenbar die Devise, dass es sich die Menschen in der ordnungsrechtlichen Unterkunft gar nicht erst gemütlich machen sollten. In der Hoffnung, dass diese weiterziehen. Ein Sozialarbeiter berichtete dem SWR, dass sogar Fahrkarten ausgegeben wurden. Denn zuständig ist immer die Kommune, in der sich die Betroffenen gerade tatsächlich aufhalten.
In einigen Nachbarorten von Crailsheim gab es zeitweise gar keine Unterbringung, sodass Wohnungslose aus der Umgebung häufig in der Stadt aufschlugen. Zum Verdruss der Stadt Crailsheim. Sie schreibt auf SWR-Anfrage: Die Pflichtaufgabe müsse von allen Kommunen erfüllt werden, sodass nicht die Kapazitäten einer Kommune vollständig ausgeschöpft werden. Zum Vergleich: Künzelsau (ca. 15.000 Einwohner) hat zurzeit neun Menschen ordnungsrechtlich untergebracht, die Stadt Crailsheim (36.000 Einwohner) 151.
Individuelle Gründe für Chaos und Dreck
Dass manche Unterkünfte übel aussehen, liegt jedoch nicht nur an den Kommunen. In Öhringen (Hohenlohekreis) fiel bei der Recherche auf, dass einige Wohnungen sehr gepflegt und ordentlich aussehen, die Wohnung eines Suchtkranken nebenan jedoch eher einem Schlachtfeld glich. Das sind auch individuelle Gründe, bestätigte Hans-Martin Klenk von der Aufbaugilde Heilbronn. Nicht jeder gehe mit der Wohnung oder dem Zimmer pfleglich und sauber um.
Wolfgang Sartorius sieht hier dennoch die Aufgabe der Kommune, den Menschen zu helfen. Denn diese lebten nicht freiwillig in diesem Zustand, sondern weil sie zeitweise es nicht anders könnten.
Kernproblem sind fehlende Sozialwohnungen
Zwar hat die Zuwanderung der letzten Jahre die Situation auf dem Wohnungsmarkt verschärft, das Kernproblem ist aber, dass seit den 1990er Jahren immer weniger Sozialwohnungen gebaut wurden, so Sartorius. Bezahlbarer Wohnraum sei knapp, dadurch stiegen auch hier die Preise, sodass zunehmend Menschen mit niedrigem Einkommen von den Mieten überfordert würden. Der Staat müsse wieder mehr in den sozialen Wohnungsbau investieren, so die Forderung von Wolfgang Sartorius.
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