Der mutmaßliche "Reichsbürger", der Mitte April in Boxberg-Bobstadt etliche Schüsse auf Polizeibeamte abgegeben hat, war in der regionalen "Querdenker"-Szene aktiv. Der 54-jährige hatte im Raum Bad Mergentheim als Kampfsport-Trainer gearbeitet.
Die Frühlingssonne scheint über Boxberg-Bobstadt und verstärkt den friedlichen Eindruck, den das kleine Örtchen im Main-Tauber-Kreis auf Besucher macht. Doch wer beim Fußballplatz am Ortsrand in die Bergstraße einbiegt, erkennt schnell, dass hier Außergewöhnliches passiert sein muss: Die ausgebrannte Ruine eines Wohnhauses ist gerade erst mit Plastikplanen abgedeckt worden und an der Hauswand eines Nachbargebäudes finden sich Einschusslöcher. Sie stammen offenbar von einer der Waffen, mit denen hier vor rund drei Wochen ein mutmaßlicher "Reichsbürger" auf ein Spezialkommando der baden-württembergischen Polizei geschossen und einen Beamten mehrfach getroffen hat.
Tatverdächtiger in Kampfsport-Szene aktiv
Nach SWR-Recherchen handelt es sich bei dem verhafteten Tatverdächtigen um einen 54-jährigen Mann aus Bad Mergentheim. Zumindest hat er spätestens seit 2010 in der dortigen Kampfsportszene seine Spuren hinterlassen. Damals unterrichtete er vorwiegend Kinder und Jugendliche in sogenannten Mixed Martial Arts (MMA), also diversen Kampfsportarten, wie etwa Muay Thai - auch Thaiboxen genannt. Zusammen mit einem Vize-Militärweltmeister in Tae-Kwon-Do machte sich Ingo K. selbstständig, man organisierte Shows die sich "Fight Night" nannten und nahm erfolgreich an überregionalen Wettkämpfen teil. Besondere Erwähnung fand in der regionalen Presse damals, dass es Ingo K. gelungen sei, einen "hochkarätigen Athleten" als neuen Coach zu gewinnen. Dieser betreibt auch heute noch im Main-Tauber-Kreis ein größeres Sportcenter. Er war zeitweilig bei der AfD engagiert, hatte auch Funktionen übernommen und für den Kreistag kandidiert. Ob auch Ingo K. parteipolitisch aktiv war, ist bisher nicht belegt.
Kampfhund musste beim Training im Auto warten
Dessen Leben verlief offenbar nicht ganz so erfolgreich: Vor gut 18 Jahren wurde er Vater, aber die Beziehung zu der Mutter des Sohnes ging in die Brüche, erzählt ein späterer Arbeitgeber von ihm. Ingo K. arbeitete zeitweise als Springer in einer Firma für Öltank-Reinigungen. Nebenbei hatte er immer noch Kunden als Kampftrainer und war bei einem Sportcenter engagiert. Der Besitzer beschreibt ihn als unzuverlässig und aggressiv. In seinem Mercedes, der in Bundeswehrfarben gestrichen war, habe er seinen Kampfhund stundenlang warten lassen. Als Ingo K. im April 2020 die Pandemieauflagen missachtete und mit Kunden ins Sportcenter ging, schmiss ihn der Inhaber raus. Kurz danach trat Ingo K. barfüßig und mit einer indianischen Trommel in der Hand bei einer "Querdenker"-Demo in Bad Mergentheim auf. Dann verliert sich für rund eineinhalb Jahre die Spur. Nach der Verhaftung im April berichten die Behörden von einer Verurteilung wegen Körperverletzung, aber unklar bleibt, ob diese auch eine Gefängnisstrafe zur Folge hatte.
Runen und rechte Aufkleber vor Ort
Anfang 2022 zog Ingo K. mit seinem mittlerweile volljährigen Sohn als Mieter in ein Haus am Ortsrand von Bobstadt. Direkter Nachbar waren sein Vermieter, ein ortsbekannter ehemaliger Elektriker und Solaranlagenbauer. An dessen Wohnhäusern prangen große rote Runen und auch auf dem Grundstück sind mehrere sogenannte Odalrunen zu sehen, die auch von Rechtsextremisten benutzt werden. Ein weiterer Nachbar ist ein stellvertretender Ortsvorsteher. Dieser hat schon mehrmals vor Ort Musikfestivals organisiert, bei denen mindestens zwei rechtsgerichtete Bands aufgetreten sind.
Wer mit offenen Augen durch Bobstadt läuft, dem könnten etliche Aufkleber von Fußballfans auf den Laternenmasten auffallen: VfB-Stuttgart-, Hoffenheim- und KSC-Fans haben sich hier verewigt und zwar jeweils die Ultra- oder auch Hooligan-Fanclubs. Am Ende der Straße, in der Ingo K. lebte, prangen auf einem Zigarettenautomaten gleich fünf Aufkleber rechtsextremer Organisationen wie der "Identitären Bewegung" oder der Partei "Der Dritte Weg". Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Hinweisen auf rechtsextreme Umtriebe und der Tat vom 20. April?
Seltenes russisches Maschinengewehr sichergestellt
Der SWR hat neue Erkenntnisse zu den Waffen, die dabei mutmaßlich zum Einsatz kamen und die in den Anwesen seines Vermieters gefunden wurden. Demnach handelt es sich zum Teil um Gewehre älteren Baujahrs, die bereits im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden. Zudem sei darunter eine sogenannte "Kalaschnikow". Nach Angaben eines Waffenexperten sind vor allem zwei Maschinengewehre auffällig. Bei dem einen handele es sich höchstwahrscheinlich um das Schnellfeuergewehr G3, das auch bei der Bundeswehr zum Einsatz komme. Außerdem sei unter den sichergestellten Waffen ein Maschinengewehr der Marke "PPSch" aus russischer Produktion, das sehr selten zu finden sei. Es könne bis zu 1.000 Schüsse pro Minute abgeben und falle unter das Kriegswaffenkontrollgesetz. Ob die sichergestellten Waffen alle dem inhaftierten mutmaßlichen "Reichsbürger" gehörten, ist bisher unklar.
Erneuter SEK-Einsatz in Boxberg
Heute kam es in dem Ermittlungsverfahren erneut zu einer größeren Durchsuchungsaktion in denselben Räumen in Boxberg-Bobstadt. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen waren erneut ein Spezialeinsatzkommando (SEK) und das Zollfahndungsamt im Einsatz. Der Generalbundesanwalt wollte sich auf Anfrage des SWR nicht zum Stand der Ermittlungen äußern.