Der Europäische Gerichtshof (EuGH) senkt die Hürden für Schadenersatzklagen von Diesel-Käufern bei unzulässiger Abgastechnik. Ein Ravensburger Richter hatte die Klage nach Luxemburg gegeben.
War ein gekauftes Auto mit einer unzulässigen Abgas-Abschalteinrichtung ausgestattet, kann den Käuferinnen und Käufern Schadenersatz durch den Hersteller zustehen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. Geklagt hatte ein Autokäufer vor dem Landgericht Ravensburg gegen die Mercedes-Benz Group. Das Gericht rief anschließend den Europäischen Gerichtshof an. Viele offene Verfahren zum Diesel-Skandal könnten dadurch eine Wendung nehmen.
Darum geht es in dem Urteil zum Dieselskandal
Bei vielen Dieselmotoren funktioniert die Reinigung der Abgase nicht immer gleich gut. Bei bestimmten Temperaturen wird sie entweder heruntergefahren oder ganz abgeschaltet. Bereits im vergangenen Jahr hatte der EuGH entschieden, dass solche Thermofenster grundsätzlich gegen europäisches Recht verstoßen und es sich dabei um illegale Abschalteinrichtungen handelt. Nun ging es um die Frage, ob betroffene Dieselfahrer deshalb Schadensersatz einfordern können. Dies hat der EuGH jetzt bejaht. Die europäischen Vorschriften seien nicht nur dafür da, die Umwelt zu schützen, sondern auch die Autokäuferinnen und -käufer.
Bislang hatten die deutschen Gerichte Schadensersatzansprüche von Autokäuferinnen und -käufern nicht einmal geprüft, hatten Klagen wegen des Thermofensters immer abgewiesen. Nur bei der ersten Klagewelle, als es noch um die Betrugssoftware von VW ging, die nur auf dem Prüfstand Abgase reduzierte, bekamen Kunden Schadensersatz zugesprochen, weil das Handeln von VW eindeutig sittenwidrig gewesen sei.
Schadensersatz für Dieselfahrer wahrscheinlicher
Mit diesem jüngsten Urteil im Dieselskandal ist auch für deutsche Diesel-Fahrerinnen und -Fahrer die Chance deutlich gestiegen, Schadensersatzforderungen gegen die Autohersteller durchzusetzen. Im Mai wird der Bundesgerichtshof darüber verhandeln.
Dabei ist allerdings nicht sicher, wie viel Geld es am Ende gibt. Denn die gefahrenen Kilometer dürfen grundsätzlich mit dem Schadensersatz verrechnet werden. Das erlaubt der EuGH. Im konkreten Fall, den das Landgericht Ravensburg dem EuGH zur Prüfung vorgelegt hat, sollen die deutschen Richter aber darauf achten, dass es immer noch eine angemessene Entschädigung für den Kläger gibt. Was allerdings angemessen ist, dazu werden sich die Gerichte viele Gedanken machen müssen.
Mercedes will Entscheidungen deutscher Gerichte abwarten
Mercedes gibt sich gelassen: "Mercedes-Benz-Fahrzeuge, die von einem Rückruf betroffen waren oder sind, können nach entsprechenden Software-Updates dauerhaft weiter uneingeschränkt genutzt werden. Wie nationale Gerichte die Entscheidung des EuGH in Bezug auf das nationale Recht anwenden werden, bleibt abzuwarten", teilte der Autohersteller am Dienstag nach dem Urteil mit. Der EuGH hätte deutlich betont, dass es nur um einen Schaden gehe, der dem Käufer tatsächlich entstanden sei, so Mercedes weiter. Zudem müsse eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, was im vorliegenden Fall streitig sei.
EuGH-Entscheidung zum Abgasskandal Kommentar: EU-Gericht kann ganz schön streng sein
Auf dieses Urteil haben viele gewartet. Nicht nur Autobesitzer, sondern sicher auch die Manager von vielen europäischen Autoherstellern. Ein Kommentar von Rechtsredakteurin Gigi Deppe.
Viele Gerichtsverfahren wurden zurückgestellt
Gerichte aller Instanzen hatten zuletzt massenhaft Diesel-Verfahren auf Eis gelegt, um das EuGH-Urteil abzuwarten. Allein beim BGH sind im Moment mehr als 1.900 Revisionen und Nichtzulassungsbeschwerden anhängig. Denn beim Bundesgerichtshof hatten Klägerinnen und Kläger bisher nur dann eine Chance auf Schadenersatz, wenn sie vom Hersteller bewusst und gewollt auf sittenwidrige Weise getäuscht wurden. Diese strengen Kriterien waren nur beim VW-Skandalmotor EA189 erfüllt. Dem EuGH genügt nun fahrlässiges Handeln - was sich leichter nachweisen lässt.
ADAC und DUH begrüßen Entscheidung
Der Automobilclub ADAC wertete die Entscheidung als "gutes Signal für den Verbraucherschutz". Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßte das Urteil: "Für die betrogenen Verbraucherinnen und Verbraucher ist das heutige Urteil ein Meilenstein", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Von der Entscheidung seien bis zu zehn Millionen Besitzerinnen und Besitzer von Diesel-Autos betroffen.
Thermofenster wie im aktuellen Urteil wurden auch von anderen Herstellern standardmäßig eingesetzt. Der Automobil-Hersteller Audi teilte am Dienstag mit, weder die Volkswagen AG noch ein anderes Unternehmen des Volkswagen-Konzerns sei an dem Verfahren beteiligt: "Der EuGH beantwortet hier abstrakte rechtliche Fragen, die allein die Auslegung des Europarechts betreffen." Es sei nach wie vor die Aufgabe der nationalen Gerichte zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Schadensersatzansprüche im Lichte der EuGH-Entscheidung nach dem geltenden Recht bestünden.
Kanzlei erwartet nächste große Klagewelle
Rechtsanwalt Claus Goldenstein, dessen Kanzlei zahlreiche Diesel-Verfahren führt, erwartet die nächste große Klagewelle für die Autoindustrie. Der "Dieselsenat" des Bundesgerichtshofs (BGH) hat für den 8. Mai bereits eine Verhandlung terminiert, in der er die sich "möglicherweise ergebenden Folgerungen für das deutsche Haftungsrecht" erörtern will, um den unteren Instanzen möglichst schnell Leitlinien an die Hand zu geben. Denn mit dem EuGH-Urteil sind noch längst nicht alle Fragen geklärt. Offen ist zum Beispiel, wie viel Geld betroffenen Autokäufern gegebenenfalls zusteht.