ver.di BW nicht ganz zufrieden

Tarifabschluss im öffentlichen Dienst: Deutlich mehr Geld für Beschäftigte

Stand

Beschäftigte im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen bekommen im Schnitt elf Prozent mehr Geld und Einmalzahlungen. Das haben die Tarifparteien vereinbart.

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen bekommen angesichts der hohen Inflation mehr Geld: Arbeitgeber und Gewerkschaften einigten sich am späten Samstagabend nach mehrstündigen Verhandlungen in Potsdam auf höhere Tarife. Das teilten alle beteiligten Seiten mit. In Baden-Württemberg betrifft diese Einigung 236.000 Beschäftigte, bundesweit sind es 2,5 Millionen Menschen. Im Durchschnitt liegt die Gehaltserhöhung laut der Gewerkschaft ver.di ab 2024 bei mehr als elf Prozent. 2023 gibt es demnach gestückelte Einmalzahlungen als Inflationsprämie, die durch die Nettoauszahlung wie eine vorweggenommene Anhebung der Gehälter bereits in diesem Jahr wirkten, so ver.di.

Weitere Streiks durch Tarifeinigung vom Tisch

Eine Urabstimmung bei den Gewerkschaften und mögliche unbefristete Streiks sind mit der Einigung vom Tisch. Monatelang hatten die Tarifparteien miteinander verhandelt. Immer wieder hatten die Arbeitnehmervertreter mit Warnstreiks zum Beispiel Verwaltungen, Stadtreinigungen und Schwimmbäder lahmgelegt. Ende März brachte ver.di gemeinsam mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft bei einem großangelegten Warnstreik sowohl Bahn- als auch Luftverkehr bundesweit zum Erliegen. "Dank einer beispiellosen Tarifbewegung in diesem Frühjahr ist es gelungen, ein Tarifergebnis zu erkämpfen und erzwingen, das wir jetzt unseren Mitgliedern zur Beratung vorlegen werden," sagte Martin Gross, ver.di-Landesbezirksleiter in Baden-Württemberg, nach der Tarifeinigung.

ver.di Baden-Württemberg: Ergebnis enthält starke soziale Komponente

Martin Gross nennt in einer Mitteilung der Gewerkschaft Beispiele, was die Tarifeinigung im einzelnen für die Beschäftigten bedeute - jeweils abhängig von der Eingruppierung: Im Bereich der Müllabfuhr könne das monatliche Plus rund 357 Euro betragen, bei Verwaltungsangestellten knapp 400 Euro. Bei Erzieherinnen und Erziehern spricht Gross von fast 430 Euro mehr Geld pro Monat und bei einer Pflegefachkraft wiederum von rund 400 Euro mehr. Die Vergütungen von Auszubildenden werden laut ver.di um 150 Euro erhöht.

"Die komplette soziale Blindheit der Arbeitgeber, die angetreten waren, um oben prozentual mehr zu geben als unten, konnten wir abwenden", unterstreicht Gross. Das Ergebnis enthalte nun eine starke soziale Komponente, "weil im ersten Jahr alle die gleichen Einmalzahlungen bekommen, von der Müllabfuhr bis zur Amtsspitze. Und weil in der Tabelle unten prozentual doppelt so viel draufgelegt wird - bis über 16 Prozent - wie ganz oben mit knapp über acht Prozent", so der ver.di-Landesbezirksleiter weiter. Gemeint sind damit die unterste beziehungsweise oberste Gehaltsgruppe.

"Der faktische Mindestbetrag von 340 Euro ist die dickste Kröte, die wir schlucken mussten, weil ein echter und höherer Mindestbetrag besser und gerechter gewesen wäre."

Dennoch ist Gross nicht ganz zufrieden: "Selbst die höchsten Entgeltsteigerungen im öffentlichen Dienst seit 49 Jahren reichen nicht aus, um alle Wunden zu heilen, die die Inflation geschlagen hat". Der faktische Mindestbetrag von 340 Euro sei "die dickste Kröte", die man habe schlucken müssen, so Gross.

Lob von Deutscher Polizeigewerkschaft und GEW

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) in Baden-Württemberg hat die Tarifeinigung im öffentlichen Dienst mit Bund und Kommunen als Maßstab für kommende Verhandlungen mit dem Land bezeichnet. "Das ist nicht nur ein gutes Ergebnis, sondern es ist die Richtschnur für die Tarifverhandlungen im Herbst", teilte der DPolG-Landesvorsitzende Ralf Kusterer am Sonntag mit. Dann gehe es um die Landestarife, die auch Beschäftigte bei der Polizei betreffen.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat das Tarifergebnis als "guten Kompromiss" bezeichnet. Maike Finnern, Bundesvorsitzende der GEW, unterstrich, dass die Beschäftigten "ab Juni deutlich mehr Geld in der Tasche haben, um die aktuellen Preissteigerungen auffangen zu können." Ab März 2024 würden die Reallöhne stabilisiert, denn die Gehälter stiegen dann spürbar, so Finnern.

Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro

Der Tarifabschluss sieht nach Angaben des Bundesinnenministeriums in diesem Jahr einen steuer- und abgabenfreien Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro in Teilzahlungen vor. 1.240 Euro davon sollen bereits in diesem Juni fließen, weitere 220 Euro dann jeweils in den Monaten von Juli bis Februar 2024.

Zum 1. März 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden. In einem zweiten Schritt soll der dann erhöhte Betrag noch einmal linear um 5,5 Prozent steigen. Die Erhöhung soll allerdings in jedem Fall bei 340 Euro liegen. Die Laufzeit soll 24 Monate betragen.

Bei dieser Lösung orientierten sich die Tarifparteien in großen Teilen am Kompromissvorschlag aus dem vor einer Woche beendeten Schlichtungsverfahren. Die Gewerkschaft ver.di teilte mit, man starte nun eine Mitgliederbefragung. Am 15. Mai werde die Bundestarifkommission dann entscheiden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach am Samstagabend in Potsdam von einem "guten und fairen Tarifabschluss", der für die Beschäftigten eine spürbare Entlastung bringe. "Wir sind den Gewerkschaften so weit entgegengekommen, wie wir es in schwieriger Haushaltslage noch verantworten können." ver.di-Chef Frank Werneke zufolge waren es keine leichten Verhandlungen. "Mit unserer Entscheidung, diesen Kompromiss einzugehen, sind wir an die Schmerzgrenze gegangen", sagte er. ver.di und der Deutsche Beamtenbund (dbb) hatten ursprünglich 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr pro Monat gefordert.

Einigung ist finanzielle Herausforderung für Kommunen

Insbesondere die vielen klammen Kommunen in Deutschland stellt die gefundene Lösung vor Herausforderungen. Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Karin Welge, hatte die zusätzlichen Kosten für Städte und Gemeinden auf Basis des Schlichtungsvorschlags vor den Verhandlungen auf 17 Milliarden Euro beziffert. Das erzielte Ergebnis bezeichnet Welge als den "teuersten Tarifabschluss aller Zeiten".

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