Vier Jahre nach Corona-Lockdown

Entschädigung oder Kredit? Corona-Soforthilfen sorgen für Unsicherheit

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Autor/in
Natalie Meyer
Natalie Meyer ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".

Die Pandemie ist vorbei, die finanziellen Folgen spüren Betriebe aber immer noch. Soforthilfen sollen an den Staat zurückgezahlt werden. Dagegen protestieren auch Friseure in BW.

Auf den ersten Blick wirkt Eric Schneiders Friseursalon in Karlsruhe unauffällig. Kunden lassen sich die Haare schneiden, färben und föhnen. Vier Jahre nach Beginn des ersten Lockdowns gibt es den Betrieb noch immer, die Nachwehen der Corona-Pandemie scheinen nicht mehr sichtbar zu sein.

Corona-Soforthilfen sollen zurückgezahlt werden

Für Schneider und seine Kollegen war das damals eine wirtschaftliche Katastrophe. Doch die Politik half, zahlte ihm und anderen Unternehmen, die durch den Lockdown schließen mussten, Corona-Soforthilfen. Schnelle, unkomplizierte Hilfe. Damals empfahl Schneider, der auch Innungsobermeister ist, seinen Kollegen, diese Hilfen anzunehmen.

Doch inzwischen haben er und viele andere Unternehmen Post von der zuständigen L-Bank bekommen. Das Geld solle zurückgezahlt werden, heißt es in den Schreiben.

"Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich ihnen natürlich nicht dazu geraten. Viele haben jetzt nach Corona keine Rücklagen mehr, stehen finanziell schlechter da als ich. Ich habe nicht mit der Wendehalsigkeit der Politik gerechnet."

Ein Friseur färbt einer Frau die Haare.
Der Karlsruher Salon von Friseur Eric Schneider ist gut besucht. Viele seiner Kollegen haben dagegen finanzielle Probleme.

Friseure: "Corona-Soforthilfen 2020: 100 Prozent Politikfrust"

Besonders enttäuscht sei Schneider vom Wirtschaftsministerium. Im November habe es ein Treffen der Innungsmitglieder und mit der Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) gegeben. Er habe nicht das Gefühl, gehört worden zu sein. "Dann haben wir nach dem Treffen mit einigen Kollegen an der Theke entschieden: Wir müssen was unternehmen." Seine Reaktion: Vier Jahre nach der Pandemie hängt in seinem Schaufenster ein Protestplakat. "Corona-Soforthilfen 2020: 100 Prozent Lockdown, 100 Prozent Rückzahlung 100 Prozent Politikfrust" ist darauf zu lesen. Viele Kunden hätten ihn schon darauf angesprochen, hätten Verständnis für seinen Frust.

"Wir sind zum einen nicht damit einverstanden, dass wir überhaupt Corona-Soforthilfen zurückbezahlen zu müssen. Man hat unsere Betriebe geschlossen, und wir haben das immer als Entschädigung verstanden. Wir sind auch nicht damit einverstanden, dass die Rückzahlung so gemacht wird, wie sie jetzt gemacht wird. Für viele läuft es darauf raus, alles zurückbezahlen zu müssen."

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Corona-Soforthilfen: Entschädigung oder Kredit?

Geschenktes Geld vom Staat, um die Folgen des Lockdowns zu verhindern - oder ein Kredit der zurückgezahlt werden muss? Darum streiten sich Unternehmer und Anwälte gerade mit der L-Bank. Auf SWR-Anfrage teilt das zuständige Wirtschaftsministerium mit: "Auch wenn die Soforthilfe Corona als Zuschuss ausgestaltet ist, der grundsätzlich nicht zurückzubezahlen ist, ist ihre Gewährung an bestimmte Voraussetzungen geknüpft."

Streitpunkt zwischen L-Bank und Unternehmen ist vielfach der Berechnungszeitraum für die Soforthilfe. Bei Beantragung mussten die Betriebe abschätzen, wie hoch ihre durch den Lockdown bedingten Verluste ungefähr ausfallen würden. Doch die Lage war in der Corona-Hochphase dynamisch. Die Unternehmer konnten vielfach nicht absehen, wie lang sie ihrem Geschäft nicht nachgehen dürfen. Wer dann vor dem angegebenen Zeitraum öffnen konnte und dann entsprechend Gewinne erzielte, wird nun zur Rückzahlung aufgefordert.

Das Ministerium begründet das wie folgt: Wenn nachträglich festgestellt werde, dass die "wirtschaftliche Entwicklung erfreulicherweise besser verlief als bei Antragsstellung befürchtet, muss die Unterstützungsleistung anteilig oder in voller Höhe zurückgezahlt werden."

Anwalt vertritt dutzende Friseure

Das heißt für Eric Schneider, dass er 9.000 Euro zurückzahlen soll. Der Grund: Er hat nach dem Lockdown zu viel Geld verdient. Bei vielen Kollegen sei es noch mehr - bis zu 15.000 Euro. Statt das Geld zurück zu überweisen hat sich Schneider einen Anwalt genommen. Marc Pflüger vertritt rund 50 Friseure wie Schneider, aber auch Eisdielen und Fahrschulen. Für seine kleine Kanzlei sei das sehr viel. Jede Woche kämen im Moment neue Mandanten hinzu. Er glaubt, dass das Geld zu unrecht zurückgefordert wird.

"Wenn ich darauf vertraue, dass die Politik mir hilft, weil sie das im März 2020 im Bund und auch von Seiten der Landesregierung relativ großspurig verkündet hat - und zwei Jahre später, wenn das Thema sich medial ein bisschen erledigt hat komplette Rückforderungsbescheide raus gibt (...) dann ist klar, dass der Ärger groß ist", so Pflüger.

Ein Mann in Anzug sitzt vor einer weißen Wand.
Anwalt Marc Pflüger glaubt, dass der Staat die Hilfen zu unrecht zurückfordert.

Anwalt: Baden-Württemberg könnte vor Gericht gegen Betriebe verlieren

In anderen Bundesländern sei man schon weiter. In Nordrhein-Westfalen etwa gab es bereits ein Urteil im Sinne der Betriebe. Dort hat das Oberverwaltungsgericht Münster im Jahr 2023 entschieden: Nordrhein-Westfalen darf nicht im Nachhinein Geld von Kleinunternehmen und Soloselbstständigen zurückfordern. In Baden-Württemberg könnte das auch passieren, schätzt Pflüger. Viele Betriebe haben deshalb noch keine Rückzahlung geleistet. Von den Corona-Schlussabrechnungspaketen, zu denen Soforthilfen gehören, sind laut L-Bank 126.000 Betriebe betroffen. Aktuell fehlen demnach rund 51.000 Pakete.

Das Wirtschaftsministerium gibt an, man könne eine Rettungspolitik nicht endlos fortführen. Insgesamt hätten sich die Hilfsprogramme von Bund und Ländern während der Corona-Pandemie bewährt. Weder eine Insolvenzwelle noch massenhafte Kündigungen habe es gegeben.

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Fast 400 Friseurbetriebe weniger in BW

Zahlen des Friseurfachverbands in Baden-Württemberg zeichnen ein anderes Bild: Vor der Pandemie gab es noch (abzüglich der Kleinstbetriebe) fast 7.750 Friseurbetriebe im Land. Stand 2023 sind es 400 Betriebe weniger. Dabei hatte ihnen Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut im Februar 2022 im Landtag versprochen: "Wir werden alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, damit wegen Rückzahlungen kein Unternehmen seine Existenz verliert. Und wir werden auch kein Unternehmen mit Härten konfrontieren."

Auch eine Konjunkturumfrage der Industrie und Handelskammer (IHK) im Januar 2024 zeigt, dass sich die Wirtschaft im Land noch lange nicht erholt hat. Dort heißt es, die nötigen Impulse für einen Aufschwung müssten geschaffen werden. Einen Erholungskurs gäbe es vor allem beim Hotel- und Gaststättengewerbe nicht. Auch die Mehrheit der Einzelhändler gab an, dass das Kaufverhalten zurückgegangen sei.

Immerhin: Bei Dienstleistern, wie etwa Friseuren, zeige sich ein Anstieg bei der Geschäftslage. Eric Schneider aus Karlsruhe will weiter dafür kämpfen, dass er und viele seiner Kollegen die Corona-Soforthilfen nicht zurückzahlen müssen. Auch er merkt, dass sich zumindest das Tagesgeschäft erholt hat: "Die Stammkunden sind zurückgekehrt. Da sind wir sehr froh, sehr glücklich und dankbar drüber. Aber das Loch in der Kasse merken wir immer noch, weil diese Dinge sehr lange nachwirken."

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