Die auf Künstlicher Intelligenz basierende Software ChatGPT verbreitet sich in rasantem Tempo - auch unter Schülerinnen und Schülern in BW. Ein Verbot ist jedoch keine Lösung, meinen Experten.
Die Software ChatGPT hat in den letzten Wochen eine steile Karriere hingelegt und ist auch bei baden-württembergischen Schülerinnen und Schülern der Renner. Kein Wunder: Das Programm ist online verfügbar und kostet nichts. Man muss sich nur mit E-Mail-Adresse und Mobilnummer anmelden - und schon kann man der Künstlichen Intelligenz (KI) jede x-beliebige Frage stellen. In wenigen Sekunden hat man eine Antwort. Dabei liefert ChatGPT auch ganze Vorträge ab, wenn man den entsprechenden Auftrag erteilt. Dass sich da einige bei Hausaufgaben oder Referaten einen schlanken Fuß machen, liegt auf der Hand.
Rasante Verbreitung unter Schülerinnen und Schülern
Oliver Hintzen ist Experte für Digitalisierungsfragen beim Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg (VBE) und bestätigt, dass ChatGPT unter Schülerinnen und Schülern extrem beliebt ist. Ihm sei keine App oder Software bekannt, die sich so schnell verbreitet habe. "Es ist der helle Wahnsinn", so Hintzen. Vor allem in den Sekundarstufen, also den Klassen 5 bis 10, und in den Berufsschulen sei die Software bei den Schülerinnen und Schülern sehr populär.
Es ist auch zu verlockend: Schreibt man in das Fragefeld von ChatGPT etwa "Pro und Contra Silvesterfeuerwerk", erhält man innerhalb weniger Sekunden sauber aufgelistet mehrere Gründe, die für beziehungsweise gegen die Böllerei sprechen: eine wunderbare Grundlage für eine Erörterung. Auch Matheaufgaben löst die KI in wenigen Sekunden.
ChatGPT ist ein sogenannter Chatbot, der mithilfe von Künstlicher Intelligenz auch schwierige Anfragen beantworten und Texte in lange nicht für möglich gehaltener Qualität verfassen kann. Zudem ist er vergleichsweise leicht zu bedienen und zu nutzen. Daher befürchten Lehrkräfte an Schulen und Universitäten, dass ChatGPT vermehrt genutzt wird, um Referate, Hausarbeiten, Prüfungen und sogar Doktorarbeiten zu verfassen.
Problem: Wahrheitsgehalt nicht überprüfbar
Das Problem des Chatbots ist laut Oliver Hintzen vom VBE, dass der Wahrheitsgehalt der Inhalte nicht überprüfbar ist. Es gebe keinerlei Quellennachweis darüber, wo ein Text herkomme. "Das ist auch was das Urheberrecht angeht extrem schwierig", so Hintzen. "ChatGPT ist ein mächtiges Werkzeug, hat aber in manchen Dingen nicht genügend Tiefe", erklärt er weiter. Außerdem sieht der Experte die Gefahr, dass durch den intensiven Gebrauch von ChatGPT das eigenständige Denken und Recherchieren vernachlässigt wird. Diese Fähigkeiten wären dann später in Studium, Ausbildung und Beruf nicht abrufbar.
Abschreiben kaum nachweisbar
Für Lehrerinnen und Lehrer stellt sich laut Hintzen außerdem das Problem, dass das Abschreiben von ChatGPT nicht so leicht nachweisbar ist. Bei anderen Texten, etwa aus dem Online-Lexikon Wikipedia, kommt man Schülerinnen und Schülern oft mit einer handelsüblichen Plagiatssoftware auf die Schliche. "Das ist jetzt mit ChatGPT nicht mehr möglich", so Hintzen.
Kurioserweise gibt die Software selbst Hinweise auf Risiken, die bei ihrer Nutzung bedacht werden müssen. Kolleginnen und Kollegen von SWR Aktuell Online in Rheinland-Pfalz haben ChatGPT danach gefragt. Das war die Antwort:
Der Chatbot hat durchaus noch weitere Defizite: Gibt man ihm an unterschiedlichen Tagen dieselbe Aufgabe, so erhält man nicht immer zwingend identische Antworten. Das System lernt ständig weiter und verändert daher gegebenenfalls auch die Antworten. Außerdem sind die Daten und Texte, auf die er zurückgreift, nicht aktuell. Die Datenbasis reicht bislang nur bis zum Jahr 2021. Deshalb behauptete ChatGPT eine Woche nach Ernennung von Boris Pistorius (SPD) zum neuen Bundesverteidigungsminister, das Amt werde von Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bekleidet. Und die war nachweislich Pistorius' Vor-Vorgängerin. Einen Tag später lautete die Antwort auf dieselbe Frage in etwas holprigem Deutsch allerdings schon: "Als mein Wissensstand im Jahr 2021 war, war der Verteidigungsminister von Deutschland Annegret Kramp-Karrenbauer."
Verbot ist aus Expertensicht keine Lösung
Wie also reagieren auf die neue Software? Ein Verbot von ChatGPT ist jedenfalls keine Lösung, da sind sich die meisten Expertinnen und Experten einig. "Das Ding gänzlich zu verdammen, ist mit Sicherheit nicht der beste Weg, denn es ist auf dem Markt", sagt Oliver Hintzen. Besser sei es, die KI gezielt im Unterricht einzusetzen, "um zu zeigen, wie man kritisch mit solchen Medien umgehen kann und auch vor allem muss".
In diese Richtung geht auch das baden-württembergische Kultusministerium. "Die Schule hat die Aufgabe, Themen wie Künstliche Intelligenz aktiv im Unterricht aufzunehmen", heißt es in einer Erklärung. KI-Anwendungen können laut Ministerium kreative Beiträge zum Unterricht leisten. "Die Art und Weise, wie sie menschliches Verhalten erfolgreich imitieren und - wie bei ChatGPT - auf menschliche Ansprache reagieren, ist bemerkenswert." Allerdings sei es eben auch wichtig, auf Grenzen und Gefahren solcher Software hinzuweisen. Themen wie beispielsweise Digitalisierung, KI oder Algorithmen seien daher auch Bestandteil des aktuellen Bildungsplans und würden im Unterricht behandelt.
Datenschutz oft unklar
Ein heikler Punkt bei der Nutzung solcher Künstlicher Intelligenz ist auch das Thema Datenschutz. In dem Schreiben des Kultusministeriums heißt es: "Nicht immer ist etwa nachvollziehbar, wie und welche Daten der Nutzerinnen und Nutzer verwendet werden. Dies ist gerade bei Kindern und Jugendlichen besonders heikel. Transparenz, die hier wichtig wäre, besteht leider nur in den seltensten Fällen."
Bei der zuständigen Behörde für Datenschutz und Informationsfreiheit in Baden-Württemberg weist man darauf hin, dass Nutzerinnen und Nutzer von KI-Chatbots sich grundsätzlich darüber im Klaren sein müssen, "dass der jeweilige Anbieter solcher Systeme die Möglichkeit hat, alle Anfragen und Antworten mitzulesen und auszuwerten" - und dies üblicherweise auch tue. Denn mit diesen Daten sollen die Systeme verbessert und trainiert werden. "Fragmente eingegebener Daten können wiederum in der Ausgabe bei anderen Nutzerinnen und Nutzern erscheinen." Deshalb gilt auch hier, was eigentlich selbstverständlich ist: Keine sensiblen Daten in den Chat eingeben!
VBE: Schnelle Fortbildung des Lehrpersonals wichtig
Angesichts der extrem schnellen Verbreitung von ChatGPT hält der Digitalisierungsexperte Hintzen vom VBE es vor allem für dringend notwendig, dass sich Lehrerinnen und Lehrer so schnell wie möglich zu dem Thema fortbilden. "Die Kolleginnen und Kollegen müssen wissen, was ChatGPT ist. Ich gehe davon aus, dass weit über 50 Prozent sich damit noch nicht beschäftigt haben", schätzt er.
Laut Kultusministerium werden im Bereich KI am Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) bereits diverse Fortbildungen und Informationen angeboten. Ganz konkret ist bereits Ende Januar ein Digitalseminar zum Thema ChatGPT geplant. Themen unter anderem: "Welche Möglichkeiten und Grenzen hat dieses Tool?" und "Wie können meine Schülerinnen ChatGPT nutzen?"
Beim VBE geht man davon aus, dass ChatGPT gekommen ist, um zu bleiben. Gerade an den Schulen müssen nach Ansicht von Digitalisierungsfachmann Hintzen alle Seiten lernen, mit dem Tool umzugehen. Dabei rät er zu einer gewissen Gelassenheit: "Wir müssen nicht wieder in Panik verfallen, wie wir das gerne so oft haben, wir müssen das Thema nur zeitnah anfassen. Ich glaube schon, dass die ersten Schülerinnen und Schüler sich ihre Klassenarbeiten mit diesem System haben schreiben lassen."
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