Zugbegleiter im Regionalverkehr dürfen künftig Bodycams tragen - das bietet die Bahn nach einem Pilotversuch ihren Mitarbeitenden an. Aber: Was ist mit meinen Daten als Fahrgast?
Donnerstagabend, ein Regionalzug auf der Strecke von Crailsheim (Kreis Schwäbisch Hall) nach Stuttgart: Es ist etwa 19:15 Uhr, als kurz vor dem Halt am Bahnhof Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) zwei Fahrgäste - einer 19, der andere 21 Jahre alt - den Zugbegleiter nach einer verbalen Auseinandersetzung körperlich attackieren. Laut Polizei schlagen die beiden jungen Männer dem 53-Jährigen mehrfach gegen die Brust und packen ihn am Hemdkragen. Alarmierte Einsatzkräfte treffen die beiden Reisenden beim Halt in Waiblingen noch im Zug an. Jetzt ermittelt die Bundespolizei unter anderem wegen des Verdachts der Beleidigung und Körperverletzung.
Der Vorfall aus dieser Woche ist nur einer von vielen ähnlichen, von denen betroffene Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter in Deutschland berichten können. 2023 wurden mehr als 1.300 Mitarbeitende der Deutschen Bahn (DB) im Nahverkehr körperlich angegriffen. Ein Bahnsprecher sagte dem SWR, insgesamt habe es im vergangenen Jahr 3.144 Übergriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gegeben, ungefähr genauso viele wie im Jahr davor. Zwei Drittel davon betrafen Zugpersonal im Regionalverkehr. Zu den Übergriffen zählen verbale, aber auch körperliche Attacken. Gefährliche Körperverletzungen seien mit nur drei Prozent aller Übergriffe aber die Ausnahme, so der Sprecher.
Deutsche Bahn: Bodycams haben sich als wirksam erwiesen
Wie lassen sich Übergriffe verhindern? Eine Lösung sehen Zugbegleiter und die sie vertretende Eisenbahnergewerkschaft EVG bereits seit Längerem in sogenannten Bodycams: Die Videokameras, von den Mitarbeitenden in den Zügen sichtbar am Körper getragen, sollen deeskalierend wirken und das Zugpersonal vor Attacken schützen. Die DB hat das auf mehreren Strecken in Deutschland, darunter die Schwarzwaldbahn zwischen Karlsruhe und Konstanz, getestet und bietet nach den Modellversuchen ihren bundesweit etwa 5.000 "Kundenbetreuerinnen und Kundenbetreuern im Nahverkehr" - also dem Zugpersonal in den Wagen - jetzt das Tragen von Bodycams an.
"Unsere Mitarbeitende sind das Rückgrat für den Bahnverkehr. Umso mehr müssen wir sie noch besser vor Übergriffen schützen", erklärte dazu Evelyn Palla, Vorständin Regionalverkehr der Deutschen Bahn. "Jeder Angriff gegen unsere Mitarbeitenden ist einer zu viel." Die Testphasen hätten gezeigt, dass die Geräte "sehr deeskalierend" wirkten und "so auch vor körperlichen Übergriffen" schützten, so Palla. Laut dem Bahnsprecher gehen damit auch die verbalen Attacken stark zurück.
Wie die Gewerkschaft EVG dem SWR berichtete, gab es während der einjährigen Testphase auf der Schwarzwaldbahn bei den Zugbegleitern, die eine Bodycam getragen haben, keinen einzigen Übergriff. Zudem würden Bodycams in einer eskalierenden Situation das schnelle Sichern von Beweismitteln gewährleisten, so die EVG.
Einer der Zugbegleiter, der auf der Strecke durch den Schwarzwald versuchsweise eine Bodycam getragen hat, war Valerie Fischer. Er arbeitet seit mehr als 30 Jahren für die DB und hat dabei schon Übergriffe erlebt. Diese Erfahrungen hat Fischer im vergangenen Jahr mit der Bodycam gemacht:
Aktivierung der Bodycam nur "nach deutlicher Ansage"
Allerdings werfen die Videokameras auch Fragen auf: Wie ist es um den Datenschutz der Fahrgäste bestellt? Sind die Aufnahmen vor Gericht verwertbar? Ist die Begründung der Deutschen Bahn ausreichend, um den Eingriff in die Privatsphäre der Fahrgästen durch den Einsatz von Bodycams datenschutzrechtlich zu rechtfertigen?
Die Aufnahmen der Bodycams sollen "im Falle eines Vorfalls gerichtlich verwertbare Bildaufnahmen für die Strafverfolgungsbehörden" liefern, sagte der Bahnsprecher dem SWR. Die Aufzeichnungsfunktion werde "nur in eskalierenden Situationen und nach deutlicher Ansage" aktiviert.
"Die Aufzeichnungen werden verschlüsselt gespeichert und auf geschützte Server übertragen. Auf die gespeicherten Bilder kann nur die Bundespolizei zugreifen", so der Bahnsprecher. Nach 72 Stunden löschten sich die Aufnahmen dann automatisch. Laut Deutscher Bahn erhalten aufgezeichnete Personen oder von der Aufzeichnung unmittelbare Betroffene zudem ein Infokärtchen, das sie über ihre Rechte und Ansprechpersonen informiert.
Datenschützer: Eingriff muss so gering wie möglich sein
Auf SWR-Nachfrage teilte der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HBDI) mit, die Nutzung von Bodycams sei ein starker Eingriff in die Grundrechte der Personen, die von der Kamera mit Bild und Ton erfasst würden. "Er ist nur zulässig, wenn es triftige Gründe gibt, die Bodycams zu benutzen", und müsse dann "auf das geringstmögliche Maß reduziert" sein, so der HBDI, der zuständig ist, da die Bahn-Nahverkehrssparte DB Regio ihren Sitz in Frankfurt am Main hat.
Die Daten dürfen laut dem obersten hessischen Datenschützer nur in berechtigten Fällen verwertet werden. Zudem müsse das gesamte System gegen Missbrauch geschützt sein. Dafür müsse die DB ein Datenschutzkonzept vorlegen. Auf SWR-Nachfrage zum Konzept erklärte ein Bahnsprecher lediglich, der interne DB-Datenschutz sei beim Thema Bodycam eng eingebunden und man kommuniziere zu verschiedenen Themen regelmäßig mit der Datenschutzaufsichtsbehörde.
Gewerkschaft EVG wünscht sich auch Tonaufnahmen
Allerdings: Die bei der DB eingesetzten Bodycams liefern laut EVG - anders als etwa die bei der Polizei genutzten Kameras - nur Bild-, keine Tonaufnahmen. Die EVG bedauert dies: "Ideal wäre, wenn die Bodycam auch den Ton aufzeichnen könnte", so die Eisenbahnergewerkschaft gegenüber dem SWR. "Dies würde im Fall eines Übergriffs oder von Beleidigungen durch Fahrgäste gegenüber unseren Kolleginnen und Kollegen ein sicheres Beweismittel darstellen."
Eine EVG-Betriebsgruppe aus Südbaden habe den baden-württembergischen Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) angeschrieben mit der Frage, ob auch Tonaufnahmen möglich seien. Bisher sei aber keine Antwort gekommen. "Hier fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen durch den Auftraggeber alleine gelassen", so die EVG.
Die Gewerkschaft bezeichnet den Minister als Auftraggeber, da das Land im Schienennahverkehr die Strecken ausschreibt und dann einem Bewerberunternehmen den Zuschlag zum Streckenbetrieb für einen bestimmten Zeitraum erteilt. Dazu zählen neben der DB auch private Anbieter wie Go-Ahead. In ganz Deutschland betreibt die Deutsche Bahn im Nahverkehr 4.500 Regionalzüge und S-Bahnen, die täglich 22.000 Zugfahrten anbieten und pro Tag etwa 4,7 Millionen Reisende befördern.