Sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler sind 2022 ohne Abschluss von der Schule gegangen, weit mehr als noch vor zehn Jahren. Das hat persönliche und finanzielle Folgen.
Mit einer Tasse Kaffee und einem Päckchen Zigaretten tritt Alexander aus einem Restaurant im Landkreis Böblingen. Hier arbeitet er als Küchenhilfe. Einen anderen Job hat der 21-Jährige nicht bekommen. Denn er hat keinen Schulabschluss. "Mit 21 keinen Abschluss zu haben oder sonst irgendwelche Möglichkeiten für eine Weiterbildung, das ist sehr schwer", sagt er.
Arbeitslose: Mehr als die Hälfte ohne Ausbildung
Ohne Schulabschluss bekommt man in Deutschland keinen Ausbildungsplatz und ohne Ausbildung bleiben nur Hilfsjobs als ungelernte Arbeitskraft. Die aber sind schlecht bezahlt und fallen als erste weg, wenn es im Unternehmen wirtschaftlich schlecht läuft. 52 Prozent der Arbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsbildung.
"Die Folge ist natürlich, dass man in prekäre Lebensverhältnisse abrutscht", sagt dazu Uta Bürglen. Sie arbeitet bei HASA, einem Schulprojekt in Böblingen, das Menschen ohne Schulabschluss auf die Abschlussprüfung vorbereitet.
Ohne Abschluss leidet das Selbstwertgefühl
Neben den wirtschaftlichen Folgen haben die Betroffenen häufig mit einem geringeren Selbstwertgefühl zu kämpfen, sagt Bürglen. "Keinen Schulabschluss zu haben bedeutet, glaube ich, für viele auch eine Art persönliches Versagen oder etwas nicht erreicht haben und es ist schon auch mit Scham verbunden."
So geht es auch Alexander. Keinen Abschluss zu haben sei schwer, "auch für einen selbst, psychisch. Da denkt man: Was mache ich denn falsch? Oder: Die anderen haben schon alles. Ich habe noch nichts." Deshalb habe er anderen nicht erzählt, dass er keinen Abschluss hat.
Gründe für den Schulabbruch
Vier Mal hat er versucht, den Hauptschulabschluss zu machen. Als Elfjähriger kam er mit den Eltern aus Russland und tat sich in Deutschland in der Schule schwer, weil ihm die Sprachkenntnisse fehlten. Bestätigung suchte er sich an anderen Stellen: "Da hat es angefangen, mit dem schlechten Umgang durch die Freunde. Ich habe mich darauf konzentriert, auch so cool zu sein. Da habe ich die Schule nicht als Ziel genommen." Den Hauptschulabschluss schaffte er nicht.
Neben Umzügen oder fehlenden Deutschkenntnissen können auch Mobbing, psychische Probleme, Drogenprobleme oder eine Teenie-Schwangerschaft zu Brüchen in der Bildungsbiographie führen, beobachtet Uta Bürglen von HASA.
Immer mehr Menschen ohne Abschluss
Sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler haben in Baden-Württemberg die Schule im Jahr 2022 ohne Abschluss verlassen. Und die Zahl der Schulabbrecher steigt, wie eine Analyse der Datenjournalisten des SWR-Data Lab zeigt: Vor zehn Jahren waren es noch vier Prozent.
Wenn sie den Abschluss später nachholen wollen, dann geht das an regulären Schulen nicht mehr. Daher sind Projekte wie das von Uta Bürglen so wichtig. Neben dem Unterricht bieten sie bei HASA auch persönliche Beratungen an. "Jeder hat ein Päckchen zu tragen", sagt Bürglen. "Die Päckchen sind ganz unterschiedlich, aber alle haben das gleiche Ziel: Auf den Hauptschulabschluss vorbereitet zu werden, diesen zu machen und in eine berufliche Karriere zu gehen. Und das ist für viele wirklich ein Traum."
Auf Umwegen zum Schulabschluss
Auch Alexander hat den Abschluss inzwischen in der Tasche: Nach vier Anläufen unterstützte ihn das Team von Uta Bürglen. "Das lief super, ich hab auch sehr gute Noten. Das lief perfekt!" sagt Alexander über die Prüfungen. Er sei erleichtert und hat einen klaren Plan, was folgen soll: "Ich mache jetzt eine Ausbildung als KfZ-Mechatroniker, dann will ich den Meister machen."
Vielen anderen bleibt der Traum weiter verwehrt, wenn sie mal aus dem Bildungssystem fallen. In Stuttgart bietet die Caritas und der Internationale Bund solche Unterstützung. Aber flächendeckende Angebote fehlen. Und das hat auch auf die Volkswirtschaft Auswirkungen, besonders in Zeiten von Fachkräftemangel: Ihr fehlen die Fachkräfte.
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