Kein Geld für den Weihnachtsmarkt oder neue Kleider: Zwei alleinerziehende Mütter aus Karlsruhe und Stuttgart erzählen, was es bedeutet, auf Hilfen vom Staat angewiesen zu sein.
Wenn Sandra Schlensog über den Weihnachtsmarkt in Karlsruhe schlendert, dann nur, um zu schauen. Kaufen kann sie nichts. Sie kann es sich nicht leisten. "Ein paar handgestrickte Socken für 15 Euro? Das ist utopisch; das ist Luxus", sagt die 46-Jährige und legt das Paar, das sie in der Hand hält, zurück.
Sandra Schlensog bekommt Bürgergeld. Zusätzlich arbeitet sie acht Stunden pro Woche in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen. Einen Ganztagsjob kann sie wegen gesundheitlicher Probleme nicht mehr ausüben. Das Geld ist immer knapp - in der Weihnachtszeit fällt es aber besonders auf: "Ich liebe Weihnachten und mache es mir so gemütlich wie möglich", sagt die Karlsruherin. "Teure Geschenke oder eine Bratwurst auf dem Weihnachtsmarkt sind aber einfach nicht drin."
Jedes Zugticket muss mit Bürgergeld einkalkuliert werden
Sandra Schlensog plant genau, was sie für sich und ihren 16-jährigen Sohn jeden Monat ausgibt. Wenn sie zum Beispiel ein Zugticket kaufen will, um ihre Familie zu besuchen, muss das einkalkuliert werden. "Jedes Unternehmen wäre froh über so eine Buchhaltung", sagt sie. Schwierig werde es, wenn etwas Unvorhergesehenes passiere. Dafür sei nämlich meistens kein Geld mehr da. "Es ist immer ein Kampf."
Mehr als 1,5 Millionen Menschen in Baden-Württemberg waren laut aktuellem Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes 2022 von Armut betroffen. "Es gäbe viele Möglichkeiten, diese Menschen besser zu unterstützen", sagt Sandra Schlensog. "Warum besteuert man zum Beispiel die Superreichen nicht stärker? Warum hebt man das Bürgergeld und den Mindestlohn nicht weiter an?" Für sie gibt es darauf nur eine mögliche Antwort: weil es politisch nicht gewollt sei.
Trotz Job auf Wohngeld und Kinderzuschlag angewiesen
Fatma Şimşek sitzt an ihrem Esstisch. Vor ihr liegen seitenlange Anträge und Schreiben vom Amt zum Wohngeld oder Kinderzuschlag. Auf beides ist die alleinerziehende Mutter von drei Kindern angewiesen. Sie arbeitet halbtags im Schülerhaus des Jugendamts. Was sie dort verdient, reicht aber nicht. "Ich brauche die Hilfen", sagt die 49-Jährige. Meist bliebe so schon am Ende des Monats kein Geld übrig. "Ich versuche, wenigstens nicht ins Minus zu rutschen", sagt sie.
Ihre Kinder will sie vor der Situation so gut es geht schützen. "Natürlich möchte ich schon, dass meine Kinder in der Realität leben", sagt die dreifache Mutter. Dass sie ein Gespür dafür bekämen, was finanziell drin sei und was nicht. Ihr Sohn bekäme zum Beispiel keine Playstation und Kleidung nur im Angebot oder vom Flohmarkt, sagt die 49-Jährige. "Aber ich möchte auch nicht, dass meine Kinder denken, wir könnten uns gar nichts leisten."
Mitschüler zieht Sohn auf: "Mama, wir sind arm."
Mit der Bonuscard der Stadt Stuttgart kommt Fatma Şimşek zum Beispiel mit ihren Kindern günstiger ins Schwimmbad oder in die Eislaufhalle. "Einmal kam mein Sohn aber von der Schule nach Hause und hat gesagt: 'Mama, wir sind arm, weil ich die Bonuscard habe.'" Ein Mitschüler habe ihn damit aufgezogen. "Ich habe zu ihm gesagt: 'Nein, so arm sind wir nicht. Aber weil ich nicht so viel verdiene, bekommen wir eben Unterstützung vom Staat.'"
Eigentlich könnte Fatma Şimşek noch mehr Hilfen beziehen, das wäre ihr aber unangenehm. "Das hat natürlich auch was mit Scham zu tun", sagt sie. Sie sei gesund, gehe lieber arbeiten. Bei ihrer Arbeitsstelle kann sie aber nicht weiter aufstocken. In ihrem eigentlichen Beruf als chemisch-technische Assistentin findet sie keine Stelle, weil sie nach der Geburt ihrer drei Kinder zu lange zu Hause geblieben ist. "Als das mit meinem Mann auseinander gegangen ist, stand ich da und wusste erstmal nicht weiter", sagt sie. "Ich bereue, dass ich da nicht vorausschauender gedacht habe."
17 Jahre lang auf dem Sofa geschlafen
In Sandra Schlensogs Wohnung löst sich an mehreren Stellen die Tapete von der Wand. "Eigentlich müsste hier neu tapeziert und gestrichen werden", sagt sie in der SWR-Sendung "Zur Sache! Baden-Württemberg". "Aber das kann ich mir nicht leisten." Ihre neuen Stühle hat sie von einer Freundin geschenkt bekommen, ihr Bett hat ihr jemand gespendet. "Ich habe mich sehr darüber gefreut", sagt Schlensog. Vorher hat sie 17 Jahre lang auf ihrem Sofa geschlafen.
Im Garten hinter dem Mehrfamilienhaus baut Sandra Schlensog in einem kleinen Beet Zucchinis, Gurken und Tomaten an. Eigentlich gehöre der Garten allen, sie sei aber die Einzige, die ihn nutze. "Es macht mir sehr viel Spaß im Frühjahr alles auszusähen und es später dann zu ernten: mein eigenes Gemüse", sagt sie. "Außerdem spart es eine Menge Geld - vor allem mit einem Teenager, der einem die Haare vom Kopf futtert."
Hier können Sie die ganze Sendung "Zur Sache! Baden-Württemberg" vom 12.12.2024 nachschauen:
Freunde unterstützen Bürgergeld-Bezieherin
Ein Freund hat ihr vor ein paar Tagen einen Gutschein von Alnatura geschenkt, den sie stolz zeigt. "Ich habe ihm zum Geburtstag einen Kuchen gebacken und dann hat er sich damit revanchiert", sagt sie. "Er weiß natürlich, dass ich mir sonst nicht leisten kann, dort einzukaufen." Sie habe sich riesig darüber gefreut. "Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen so ein Netzwerk hätten", sagt die 46-Jährige.
Oft genug muss Sandra Schlensog ihren Freundinnen und Freunden auch absagen, wenn die einen Kino- oder Restaurantbesuch vorschlagen. Das könne sie sich nicht leisten und sie wolle auch nicht immer eingeladen werden, sagt die Bürgergeld-Bezieherin. Ihre Freundinnen und Freunde seien aber niemals böse deswegen. "Sie verstehen das und finden das weder unangenehm noch peinlich. Sie finden es eher peinlich, dass es in Deutschland möglich ist, dass Menschen von so wenig Geld leben müssen."
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