Baden-Württemberg zählt zu den "gesündesten" Bundesländern. Allerdings liegen die Zahlen zur Arbeitsunfähigkeit auf höherem Niveau als in der Vor-Corona-Zeit.
Aufgrund von psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen fallen bei Erwerbstätigen in Baden-Württemberg immer mehr Krankheitstage an. Das zeigen Daten der BARMER Ersatzkasse, die dem SWR exklusiv vorliegen. Demnach verursachten diese Diagnosen im vergangenen Jahr im Land rund 349 Fehltage pro 100 versicherte Erwerbspersonen. Im Jahr 2014 waren es noch 272 Fehltage. Seither ist die Zahl von Jahr zu Jahr kontinuierlich gestiegen.
Psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen verursachen, etwa im Vergleich zu Atemwegserkrankungen, zwar einen kleineren Teil der Fälle von Arbeitsunfähigkeit (AU) - sie führen aber zu vergleichsweise längeren Ausfällen. So führte eine psychische Störung bei einer Krankschreibung im Durchschnitt zu einem Ausfall von 39,2 Tagen. Erkrankungen der Atemwege kommen hingegen erheblich häufiger vor, eine Krankschreibung umfasst im Schnitt aber nur 5,7 Tage.
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Zwei von drei Beschäftigten mindestens einmal krankgeschrieben
Was die BARMER-Zahlen ebenfalls zeigen: Gut zwei Drittel der Erwerbstätigen in Baden-Württemberg waren im vergangenen Jahr mindestens einmal krankgeschrieben - dies zeigt die sogenannte AU-Quote. Sie lag 2023 bei 67,4 Prozent, nach 69,2 Prozent im Jahr davor. Der Krankenstand - also das Verhältnis der Fehltage zu allen Arbeitstagen - betrug 5,2 Prozent.
Mit diesen Zahlen liegt Baden-Württemberg unter dem Bundesdurchschnitt. Das Land zählt zu den Bundesländern mit den niedrigsten Werten. Für ganz Deutschland betrug die AU-Quote im vergangenen Jahr rund 71 Prozent, der Krankenstand lag bei 6,2 Prozent. Die von der BARMER festgestellten Trends decken sich mit Beobachtungen der AOK Baden-Württemberg und der Techniker Krankenkasse.
"Baden-Württemberg ist ein gesundes Bundesland mit der höchsten Lebenserwartung. Seine hohe Wirtschaftskraft und das hohe Bildungsniveau hängen eng mit der Gesundheit und der Arbeitsunfähigkeit zusammen", sagte BARMER-Landesgeschäftsführer Winfried Plötze dem SWR. Besonders wenige Krankheitsfälle - gerechnet auf je 100 Versicherte - gab es den Zahlen zufolge 2023 in den Kreisen Böblingen und Waldshut sowie im Stadtkreis Stuttgart. Überdurchschnittlich hoch war die Zahl der AU-Fälle hingegen im Kreis Pforzheim, im Main-Tauber-Kreis und im Stadtkreis Heilbronn.
Für Mobil-Nutzende: Die in den Karten dargestellten Daten aller Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg finden Sie hier in Tabellenform.
Höherer Krankenstand als in Jahren vor Corona-Pandemie
Allerdings bewegt sich die Arbeitsunfähigkeit nach wie vor auf einem hohen Niveau, wenn man die Zahlen für 2023 mit Daten aus der Vor-Corona-Zeit vergleicht. So war der Krankenstand in Baden-Württemberg 2016 mit 4,1 Prozent deutlich niedriger, die AU-Quote lag 2019 bei nur 50,6 Prozent.
Während der Corona-Pandemie lag sie sogar noch niedriger, trotz der Covid-19-Fälle. Plötze hat dafür eine naheliegende Erklärung: "Die Abstands- und Hygieneregeln sowie vermehrtes Homeoffice haben zu deutlich weniger Atemwegserkrankungen geführt." Diese seien der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeitsmeldungen.
Als die Pandemie abebbte, stiegen die Zahlen wieder kräftig an. "Bereits im Jahr 2022 haben wir enorme Nachholeffekte bei den Infektionskrankheiten gesehen. Hier sind die Zahlen durch die Rückkehr zur Normalität in der Post-Corona-Phase deutlich gestiegen", erklärt Plötze die Entwicklung. "Jetzt scheint sich die Lage langsam zu normalisieren."
Der BARMER-Landesgeschäftsführer geht nicht davon aus, dass die AU-Quote in Baden-Württemberg dauerhaft bei um die 70 Prozent liegen, sondern wieder sinken wird.
Elektronische AU könnte mit zu höheren Zahlen beitragen
Plötze nennt einen weiteren Grund, der für den Anstieg der Krankschreibungen plausibel ist: die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). "Seit Jahresbeginn 2023 werden Krankschreibungen von den Ärzten automatisch an die Krankenkassen weitergeleitet. Durch die eAU könnten mehr Krankschreibungen eingegangen sein als im Jahr 2022, obwohl die Zahl der Krankheitsfälle womöglich nicht im selben Umfang gestiegen ist", so Plötze.
Ob und in welchem Ausmaß das der Fall sei, lasse sich aber nicht beziffern. Bei den Krankschreibungen in Papierform erhielt der Erkrankte die AU in drei Durchschlägen - einen für den Arbeitgeber, einen für sich und einen zur Einreichung bei der Krankenkasse. Dieser wurde aber häufig nicht der Kasse zugesandt.
Unternehmen zunehmend sensibel für Gesundheit ihrer Beschäftigten
Plötze plädiert dafür, verstärkt auf Prävention zu setzen, Warnsignale zu erkennen und Risiken zu minimieren. "Viele Erkrankungen haben einen langen Vorlauf. Das bietet die Chance, präventiv tätig zu sein, um die Gesundheit möglichst lang zu erhalten." Dafür sei ein Lebensstil mit Bewegung und gesunder Ernährung der "beste Wirkstoff".
In den Unternehmen sei die Sensibilität für den Faktor Gesundheit der eigenen Mitarbeitenden deutlich gestiegen, so der BARMER-Landesgeschäftsführer. Denn bei hohen Krankenständen in den Betrieben verteile sich die Arbeit auf weniger Schultern. Dadurch könnten die Belastung und somit auch das Krankheitsrisiko für die gesunden Kolleginnen und Kollegen steigen.
Unternehmen schaffen zunehmend Gesundheitsangebote für ihre Belegschaft
"Die Erkenntnis, dass betriebliches Gesundheitsmanagement zur Prävention beitragen kann, setzt sich immer mehr durch. Denn angesichts des Fachkräftemangels wird die Gesundheit der Mitarbeiter immer wichtiger", sagt Plötze. Damit werde betriebliches Gesundheitsmanagement auch im Kampf um Bewerberinnen und Bewerber ein immer wichtigerer Faktor für Unternehmen.
"Bewerberinnen und Bewerber fragen: Hat der Arbeitgeber ein Interesse an meiner Gesundheit und was tut er für gesunde Arbeitsplätze?", so Plötze. So böten immer mehr Unternehmen am Arbeitsplatz Angebote wie zum Beispiel Rückentrainingskurse oder Entspannungsübungen, damit die Beschäftigten dauerhaft gesund bleiben. Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitenden auch Zuschüsse für den Fitnessstudiobesuch an.
Für den Gesundheitsreport 2023 hat die BARMER die krankheitsbedingten Fehlzeiten der bei ihr versicherten Erwerbspersonen zwischen 15 und 64 Jahren ausgewertet. Dies sind bundesweit rund 3,7 Millionen BARMER-Versicherte, davon mehr als 335.000 in Baden-Württemberg.
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