In der Bundesregierung knirscht es. Zerbricht das Bündnis aus SPD, Grünen und FDP? So schätzen Politikerinnen und Politiker aus BW die Zukunft der Ampel-Koalition ein.
Mit einem am Freitag öffentlich gewordenen Grundsatzpapier, das unter anderem Beschlüsse zu Klima- und Sozialthemen der Ampel infrage stellt, hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) für Aufsehen gesorgt - und die Krisenstimmung innerhalb der Koalition verschärft. Diskussionen um ein vorzeitiges Zerbrechen der Ampel nehmen Fahrt auf. Bevor am Mittwoch der Koalitionsausschuss tagt, will Kanzler Olaf Scholz (SPD) Krisengespräche führen. Wie blicken Politikerinnen und Politiker aus Baden-Württemberg auf die Lage?
Özdemir: "Erst das Land, dann die Partei, dann die Person"
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) plädiert dafür, an der Koalition festzuhalten. Er halte das nicht für ausgeschlossen - guten Willen vorausgesetzt. In einer solch ernsten Situation könne es nur eine Meinung geben: "Erst das Land, dann die Partei, dann die Person", so Özdemir. Es gehe nicht um Profilierung, sondern darum, was für Deutschland am besten sei.
Wenn die Bereitschaft bei anderen ebenso vorhanden sei, könne man gemeinsam weiterarbeiten, sagte SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken (Wahlkreis Calw). "Wir sind auf jeden Fall dafür aufgestellt, diese Regierung weiter zu führen", so Esken.
Handlungsbedarf sieht die FDP-Bundestagsabgeordnete Judith Skudelny (Wahlkreis Stuttgart): "Deutschland kann es besser und Deutschland muss es auch besser machen." Man müsse die Arbeitsproduktivität der Menschen steigern sowie die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, so Skudelny. Dazu habe Lindner Vorschläge gemacht. Inwieweit die umgesetzt werden können, müsse bis Mittwoch geklärt werden.
Bürokratie als Hemmnis für Wirtschaftswachstum
Von SPD und Grünen erwartet die FDP-Bundestagsabgeordnete eine "konzentrierte Sacharbeit". Deutschland sei bereits im zweiten Jahr in Folge in einer schlechten Position, so Skudelny. Insofern brauche es die Wirtschaftswende. Die große Bürokratie sei eine der lähmenden Hemmnisse des Wirtschaftswachstums, so die FDP-Politikerin. Hier müsse man im Bund, aber vor allem auch in Baden-Württemberg, schlanker werden.
Von Debatten über eine frühzeitige Auflösung des Bundestags oder einer Minderheitsregierung hält Andreas Schwarz, Vorsitzender der Grünen-Landtagsfraktion, nichts. Grundsätzlich seien die Grünen bereit "alle guten und ernsthaft gemeinten Vorschläge anzuschauen“, sagte er mit Blick auf das Grundsatzpapier. Die Bundesregierung müsse aber mit einer Stimme sprechen und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Führung zeigen. An Finanzminister Lindner sei es, die Lücke im Haushalt zu schließen und nicht noch weitere Schauplätze mit weiteren Milliarden zu eröffnen, so Schwarz (Wahlkreis Kirchheim unter Teck). "Ein ausgeglichener Haushalt und einen Modernisierungsschub für die Infrastruktur sind entscheidend", sagte der Grünen-Politiker.
CDU: BW besonders von schlechter Wirtschaftspolitik betroffen
Die Rahmenbedingungen für die industrielle Wirtschaft seien so schlecht, dass in der chemischen Industrie die Produktion um 25 Prozent unter dem Niveau von 2019 liege, sagte Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Daher sei ein hochindustrielles Land wie Baden-Württemberg "ganz besonders von der Krise und der schlechten Wirtschaftspolitik betroffen", so Frei, der als Bundestagsabgeordneter für den Schwarzwald-Baar-Kreis zuständig ist.
Bundeskanzler Scholz will diese Woche mehrmals in Dreier-Runden mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprechen. Am Sonntagabend hatte Scholz sich schon mit Lindner getroffen - es ging auch darum, ob die Regierung noch ein Jahr hält.
Das Grundsatzpapier von FDP-Parteichef Lindner wurde durch Indiskretion öffentlich, wie er laut der Tagesschau selbst angab. Darin enthalten sind Forderungen, wie die Wirtschaft nach vorn gebracht werden soll, etwa durch Steuersenkungen für Unternehmen, Lockerungen der Klimavorgaben und die Reduzierung von Subventionen und Sozialleistungen, heißt es in dem Bericht weiter.