Ein Parteitag mit vielen Fragen: Entzweien sich die Grünen in der Migrationspolitik? Wie kommen sie aus dem Stimmungstief? Und wann läutet die Partei die "Post-Kretschmann-Ära" ein?
Beim Parteitag der Grünen in Baden-Württemberg zeichnet sich eine scharfe Kontroverse über den Richtungswechsel von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Migrationspolitik ab. Landes-Parteichefin Lena Schwelling verteidigte vor dem Treffen in Weingarten im Kreis Ravensburg an diesem Wochenende den auch von der Fraktion mehrheitlich mitgetragenen Kurs, die irreguläre Einwanderung besser zu steuern und zu begrenzen. Als Kommunalpolitikerin in Ulm wisse sie: "Wir sind überlastet, das lässt sich auch nicht mehr schönreden."
Schwelling sagte dem SWR weiter: "Die Problemanalyse ist klar: Das geht so nicht weiter." Und: "Wir müssen alle Maßnahmen ergreifen, die auch wirksam sind." Für sie sei es in Ordnung, wenn Asylbewerber nur noch Sachleistungen erhielten. "Die Barleistungen sind aus meiner Sicht nicht der große Anreizfaktor, aber ich würde eine Geldkarte jetzt auch nicht verteufeln, wenn man sie unbürokratisch einführen kann."
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Grünen-Landeschefin warnt linken Flügel vor reflexhafter Abwehr
Schwelling warnte den linken Parteiflügel davor, Vorschläge reflexhaft abzuwehren. Die scharfe Kritik der Grünen Jugend an Kretschmann wies sie zurück. "Jemandem rechte Narrative zu unterstellen, hilft niemandem weiter."
Kretschmann hatte am Mittwoch im SWR-Interview einen schärferen Kurs in der Asylpolitik angekündigt. "Alle Maßnahmen, die dazu dienen, irreguläre Migration einzudämmen, die müssen wir gehen", sagte er. Er könne sich auch eine Geldkarte statt Barleistungen für Asylbewerber vorstellen. Kretschmann reagierte damit indirekt auch auf die Erfolge der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen. Die Grüne Jugend hielt ihm daraufhin "Scheinlösungen" vor. Kretschmanns Vorschläge stützten "lediglich rechte Narrative".
Widerspruch von links: "Wir schaffen das nicht" sei keine Haltung
Grünen-Fraktionsvize und Innenexperte Oliver Hildenbrand hält die Kursverschiebung ebenfalls für schwierig. "Gerade angesichts großer Herausforderungen kommt es entscheidend auf die Haltung an. Ich sehe deshalb mit Sorge, dass 'Wir schaffen das' durch 'Wir schaffen das nicht' ersetzt wird", sagte der Vertreter des linken Flügels dem SWR in Anspielung auf den Satz der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU). "Eine Verschärfung der Rhetorik macht es uns nicht leichter, aber den Geflüchteten schwerer."
Landtags-Grüne schwenken auf CDU-Kurs
Die Politik müsse ihre Hausaufgaben machen und nicht die Migranten für Probleme verantwortlich machen, sagte Hildenbrand. "Die Rückstände beim Wohnungsbau, beim Ausbau von Bildungsangeboten oder bei der Digitalisierung der Verwaltung müssen wir doch nicht wegen der Geflüchteten, sondern in unser aller Interesse endlich aufholen." Hier müsse dringend investiert werden, denn davon profitierten alle.
Der frühere Grünen-Landeschef, der auch Mitglied im Parteirat ist, hatte auch den Antrag von Grünen und CDU im Landtag am Donnerstag nicht mitgetragen. Darin heißt es: "Damit der Staat auch in Zukunft seiner humanitären Verantwortung nachkommen kann, Menschen aus Krisenregionen Schutz zu bieten, ist eine sinnvolle Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung unabdingbar, da wir einen andauernden, ungeregelten Zustrom an Menschen nicht stemmen können."
Schwelling mahnt: Landesregierung kann mehr tun
Einig sind sich die Grünen, dass der Bund den Kommunen mehr Geld zur Verfügung stellen muss. Schwelling sieht aber auch Versäumnisse bei der Landesregierung, etwa beim CDU-geführten Ministerium für Justiz und Migration: "Beim Ausbau der Landeserstaufnahme-Kapazitäten ist seit Jahren kaum etwas vorangegangen. Da kann und muss das Land besser werden."
Die Landesvorsitzende monierte aber auch, dass unbegleitete minderjährige Migranten nicht gerecht auf die Kommunen verteilt werden. "Das Land kann für eine faire Verteilung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern sorgen. Wenn wir da ein Problem sehen, müssen wir auch Verantwortung übernehmen und diese nicht bei den Jugendämtern vor Ort abladen." Zuständig ist hierfür Sozial- und Integrationsminister Manfred Lucha (Grüne).
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Umfragewerte dämpfen Stimmung beim Grünen-Parteitag
Pünktlich zur Halbzeit der Regierungszeit von Grün-Schwarz treffen sich die Grünen an diesem Samstag zum Landesparteitag in Weingarten - dabei soll auch die Führung neu gewählt werden. Das Spitzenduo Lena Schwelling (31) und Pascal Haggenmüller (35) will nach zwei Jahren wieder antreten. Der Parteitag soll an diesem Samstag eine Resolution zu Israel beschließen. Die Grünen wollen darin den "terroristischen Überfall der Hamas und weiterer Terrororganisationen auf Israel aufs Schärfste verurteilen". Ministerpräsident Kretschmann und Bundes-Co-Chef Omid Nouripour werden zu den Delegierten sprechen.
Insgesamt dürfte die Stimmung gedämpft sein - vor allem im Vergleich zur Euphorie nach der Landtagswahl, bei der die Partei das Allzeithoch von 32,6 Prozent erreichte. Zuletzt lag die Ökopartei in einer SWR-Umfrage gerade noch bei 22 Prozent und damit nur knapp vor der AfD und weit hinter dem kleineren Koalitionspartner CDU.
Das zeigt: Die Grünen um Kretschmann bekommen zu spüren, dass sich in der politischen Mitte Bürgerinnen und Bürger von ihnen abwenden. Der Ärger über das Heizungsgesetz des grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat offensichtlich Bremsspuren hinterlassen. Aber auch die fehlende Antwort auf die Sorgen der Menschen wegen steigender Migration kratzt am Image der Grünen.
CDU hat geräuschlosen Generationswechsel vorgemacht
Hinzu kommt: Die CDU in Baden-Württemberg hat zuletzt recht geräuschlos ihre Führungsfrage geklärt und einen Generationswechsel eingeleitet. Der 35-jährige Manuel Hagel übernimmt voraussichtlich den Landesvorsitz von Innenminister Thomas Strobl (63) und gilt dann als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2026 als gesetzt.
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Bei der CDU in BW gibt es einen Generationswechsel. Der altgediente Parteichef Strobl soll dem ehrgeizigen, jungen Fraktionsvorsitzenden weichen. Auch für Grün-Schwarz brechen neue Zeiten an.
Bei den Grünen galt zuletzt nur als gesetzt, dass Kretschmann à la Angela Merkel bis zum letzten Tag der Wahlperiode durchziehen will. Das heißt: Die Frage, wer für die Grünen die Macht nach der Ära Kretschmann sichern soll, ist ungeklärt. Die Hoffnungen vieler richten sich auf Cem Özdemir, den Bundeslandwirtschaftsminister aus Bad Urach (Kreis Reutlingen). Doch ob der 57 Jahre alte Realo wirklich von Berlin nach Stuttgart wechseln will, ist nicht gesagt.
Nach Rüge vom Expertenrat: Leitantrag zu mehr Klimaschutz
Der Parteitag soll zudem einen Leitantrag zum verstärkten Klimaschutz in den Kommunen verabschieden. Auch bei diesem Thema hatte es zuletzt heftigen Gegenwind gegeben. Der Klima-Sachverständigenrat hatte der grün-schwarzen Landesregierung vorgehalten, sie unternehme viel zu wenig, um ihre hochgesteckten Klimaziele zu erreichen. Es fehle Ehrgeiz auf allen Ebenen - und das, obwohl die Grünen um Kretschmann seit zwölf Jahren die Regierung führen.
Zu Beginn der Koalition vor zweieinhalb Jahren hatten die Spitzen das Ziel ausgegeben, Baden-Württemberg zum "Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa" zu machen. Nun erklären die Sachverständigen zur Halbzeit von Grün-Schwarz: "Zum echten 'Klimaschutzland' fehlt die Transformationskultur, das klare und unumstößliche 'Ja' zum Klimaschutz - gerade auch in der Politik -, die Bereitschaft zur Veränderung und 'das Machen'."
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