Kommunikationswissenschaftler Prof. Frank Brettschneider

Analyse Kommunalwahl & Europawahl: Ampelregierung vs. CDU, AfD, Linke und BSW

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Jens Wolters
Moderator Jens Wolters aus dem SWR1 Team moderiert regelmäßig die Sendung SWR1 Leute mit spannenden und interessanten Gästen
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Jörg Witzsch
Redakteur Jörg Witzsch aus dem SWR1 Team behält den Überblick in der SWR1 Online-Redaktion.

Prof. Frank Brettschneider ist Kommunikationswissenschaftler an der Uni Hohenheim. Er blickt am Tag nach den Kommunal- und Europawahlen in Baden-Württemberg auf die Ergebnisse und analysiert den Wahlausgang.

Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim ist in SWR1 der Mann der Zahlen und Zusammenhänge: Dem Kommunikationswissenschaftler geht es vor allen Dingen um die Verständlichkeit der Politik. Mit Blick auf die Europawahl 2024 bemängelte er schon vorab, dass die Programme der Parteien für Wähler:innen kaum zu verstehen seien, zu viel Fachsprache und zu wenig Erklärung. Hatte das Auswirkungen auf Kommunalwahl und Europawahl?

SPD: Probleme bei Kanzler Scholz und auf Bundesebene

Das schlechte Ergebnis der SPD sei die Bundespartei verantwortlich und nicht so sehr die Wahlkämpfer:innen vor Ort und auch nicht einzelne Persönlichkeiten wie Verteidigungsminister Boris Pistorius oder Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil, so Brettschneiders Analyse. Die hätten immer noch großen Rückhalt bei den Wähler:innen.

Das Problem ist der Kanzler, der es nicht schafft, den Menschen seine Politik, seine Sichtweise zu erklären. Manchmal hat man sogar den Eindruck, er verweigert sich dem Gespräch mit den Bürgern.

Die Diskussion um die Zukunft von Olaf Scholz als Bundeskanzler sei schon lange "durch viele SPD-Gänge gehuscht". Sie werde sich zuspitzen – es sei denn, Scholz ändere sich. Davon sei aber mit der Erfahrung der letzten Jahre nicht auszugehen, so Brettschneider.

Ampelregierung: Schwäche von SPD, Grünen und FDP gut für die CDU

Den Erfolg der CDU führt Frank Brettschneider auf die Schwäche der Ampelregierung zurück. Aber:

Der [Erfolg der CDU] müsste eigentlich angesichts der Schwäche der Ampelregierung viel größer ausfallen. Da hängt man in diesem 30-Prozent-Bereich fest. Einige sagen, das hat etwas mit dem Parteivorsitzenden auf Bundesebene zu tun, Herrn Merz, der in Umfragen auch nicht besonders beliebt ist und auch nicht als der bessere Kanzler angesehen wird. Toll, wenn man auf Platz Eins ist, aber damit ist man noch nicht Wahlsieger im Sinne von Politik-Gestaltungs-Mehrheiten.

Deshalb sei seiner Meinung auch die Forderung, dass Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen solle, vor allem sehr kurzfristig gedacht: Es sei ein kleiner kommunikativer Vorteil im "Alltags-Scharmützel mit dem politischen Konkurrenten", aber noch kein Lösungsansatz. "Ich brauche eine neue Mehrheit, wenn ich die bestehende Regierung ablösen will", sagt Brettschneider und fragt gleichzeitig, woher diese Mehrheit denn kommen solle.

Die Grünen in Baden-Württemberg als Vorbild für die Bundespartei

Das schlechte Abschneiden der Grünen erklärt Brettschneider mit dem "schwierigen thematischen Umfeld". "Klima" sei nur auf Platz vier der wichtigsten Themen gewesen, dazu die Diskussion um das Klimaschutzgesetz, bei dem Vizekanzler Robert Habeck "große Fehler in Substanz und handwerklicher Güte" gemacht habe. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sei ein Beispiel, wie es anders hätte laufen können.

Das, was wir in Baden-Württemberg haben mit Kretschmann und der Politik des "gehört werdens" - vor Gesetzen erst einmal mit allen reden und dann zu einer gesellschaftlich tragfähigen Lösung kommen - das hat Habeck nicht getan. Von da an ging’s bergab – das führte zu einem völlig anderen Bild der Grünen [...] und einem Verbots-Etikett, das ihnen angehängt wurde.

Kretschmann sei durch sein "Brückenbauen" ein Vorbild für die Bundes-Grünen. Man könne noch so gute Positionen haben, aber die ließen sich nicht mit der Brechstange durchsetzen, "sondern man braucht Kooperationspartner vor allem im konservativen Lager". Damit täten sich die Grünen auf Bundesebene noch extrem schwer.

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AfD hätte ein deutlich besseres Ergebnis erreichen können

[Das Ergebnis der AfD] hat mich nicht überrascht - das hätte vor einem halben Jahr noch mehr sein können, da lag die Partei in Umfragen noch bei 22 Prozent. Das hat bestimmt damit zu tun, was es an hausgemachten Skandalen in diesem halben Jahr gegeben hat.

Die AfD spricht laut Brettschneider zwei Gruppen von Wähler:innen an: die, die der Eliten-Kritik und den populistischen Erzählungen der Partei anhängen sowie die Protest-Wähler:innen. Die AfD profitiere von der Unzufriedenheit in vielen Bereichen und schüre diese teilweise auch noch. Der von der AfD postulierte "Volkswille, dem wir zum Durchbruch verhelfen" - den es laut Brettschneider wegen unserer pluralistischen Gesellschaft in Wirklichkeit gar nicht gebe - würde bei dieser Gruppe verfangen und einen Teil des Erfolgs ausmachen.

Linke verlieren auch durch das Bündnis Sahra Wagenknecht

Frank Brettschneiders Analyse der Wahlergebnisse von Links-Partei und BSW ist indirekt auch mit dem Erfolg der AfD verknüpft.

Die Eliten-Kritik ist ein ganz wichtiger Punkt für den Erfolg der AfD. Die Links-Partei hatte das in den neuen Bundesländern lange Zeit übernommen. Jetzt nicht mehr, weil sie als Teil der Elite wahrgenommen wird, etwa durch Regierungs-Beteiligung.

Der Erfolg des Bündnis' Sahra Wagenknecht begründe sich zum einen auf deren starke Persönlichkeit und zum anderen, dass Wagenknecht ähnliche Ressentiments und teils ähnliche Themen wie die AfD anspreche, wie das Verhalten gegenüber Russland und die Kritik an großen Unternehmen.

[Der Erfolg von Sahra Wagenknecht] wurde jetzt vor allem aus der linken Ecke geholt, die Links-Partei leidet darunter. Ein Riesenerfolg.