Prof. Jörg Martin leitet einen großen Krankenhaus-Verbund und bereitet sich und seine Kollegen auf die Corona-Welle vor. Nach der Sendung hat er Fragen der SWR1 Hörer*innen beantwortet - seine Antworten finden Sie unten im Artikel. (Stand: 30. März 2020)
Das Corona-Virus und die Krankenhäuser. Wann der Ansturm kommt und wie heftig er ausfallen wird, weiß im Moment niemand. Klar ist: Die Krankenhäuser haben sich bestmöglich vorbereitet. Dank hochengagierter Ärzte, Schwestern und Pfleger. Und dank einer Infrastruktur, die deutlich besser ist als die anderer Länder. Prof. Jörg Martin, von Haus aus Anästhesist, ist ein Klinik- und Krankenhausmanager, der aktuell an vorderster Front steht. Martin ist der Geschäftsführer der Regionale Kliniken Holding (RKH), ein Verbund von neun Krankenhäusern in Baden-Württemberg, mit 8.000 Mitarbeitern und mehr als 400.000 ambulanten und stationären Patienten.
Sind normale, also nicht-medizinische Gesichtsmasken sinnvoll, um damit einkaufen zu gehen?
Ja, das kann man sagen, da das Robert-Koch-Institut nun festgestellt hat, dass es sich um eine reine Tröpfcheninfektion handelt. Da ist jeder Schutz ein gewisser Schutz, aber natürlich nicht zu 100 Prozent.
Müssten wir nicht alle Schutzmasken tragen?
In Südkorea war das ja Bestandteil der Präventionsmaßnahmen und es scheint zusammen mit anderen Maßnahmen gewirkt zu haben. Nachdem es sich bei der Übertragung des Virus laut Robert-Koch-Institut um Tröpfcheninfektion handelt, wären Masken sicher sinnvoll, aber noch mal: Sie sind kein 100-prozentiger Schutz.
Starben viele Influenza-Erkrankte womöglich an einem mutierten Virus und wir wissen es nur nicht genau?
Davon gehe ich nicht aus, denn Influenza-Kranke werden regelmäßig getestet und auch entsprechend gemeldet.
Wäre es nicht an der Zeit darüber nachzudenken, ob es richtig ist, dass Kliniken unbedingt Gewinne erwirtschaften müssen?
Ich denke, man wird nach der Krise darüber nachdenken, wie man das Gesundheitssystem für die Zukunft aufstellt.
Meine Hüft-OP wurde verschoben. Kann ich damit rechnen, dass sie im Juli möglich ist?
Wir würden uns freuen, aber wir wissen es derzeit nicht. Wir fahren auf Sicht und können mit gar nichts rechnen, weil wir keine seriöse Prognose abgeben können.
Ich beliefere Gastronomen. Wäre ein so genannter Exit-Plan (Anm. d. Red: Lockerung der Maßnahmen) für alle existenziell Gefährdeten nicht doch sinnvoll?
Darüber muss man nachdenken, darüber denkt die Bundesregierung auch nach. Nur wann man diesen Exit-Plan in Kraft setzen kann, das wird der weitere Verlauf erst zeigen.
Warum nehmen wir an, dass es wirklich zu einem riesigen Ansturm auf die Kliniken kommen wird?
Weil wir die Beispiele Italien und Elsass haben. Das Elsass ist direkt vor unserer Haustür, 120 Kilometer von Stuttgart entfernt. Damit müssen wir rechnen, ich denke aber, wir sind gut vorbereitet.
Ich bin 76 Jahre alt, Hochrisikopatient mit mehreren Vorerkrankungen und geimpft gegen Grippe und Lungenentzündung. Hilft mir das, wenn ich an Covid-19 erkranke?
Das kommt darauf an, gegen welche Art Lungenentzündung sie geimpft sind. Es könnte leicht helfen, weil man bakterielle Super-Infektionen leichter vermeiden könnte.
Sollten Schwangere jetzt wieder als Lehrerin arbeiten, ginge das überhaupt?
Die Schulen sind bis nach den Osterferien zu, dann müssen wir sehen, ob und wie es weitergeht. Ansonsten spricht nichts dagegen.
Könnten nicht derzeit arbeitslose Physiotherapeuten in Krankenhäusern aushelfen?
Wir haben eine Hotline geschaltet, wo sich Menschen aus medizinischen Berufen, die derzeit nicht arbeiten, melden und registrieren können, so dass wir da schnell drauf zurückgreifen können.
Weitere Informationen, eine Telefonnummer und ein Online-Bewerbungsformular finden Sie hier: https://www.rkh-karriere.de/stellenangebote/initiativbewerbung-pflege-service/
Müssen sich Corona-Infizierte Sorgen wegen des Datenschutzes machen?
Nein, der Datenschutz wird eingehalten wie bisher auch.
Sind wir alles in allem zu hysterisch?
Hysterie bringt uns nicht weiter, wir müssen die Realität sehen und jeden Tag die Lage neu bewerten. Es ist dramatisch, aber noch nicht so wie im Elsass oder in Italien und die Krankenhäuser in Deutschland sind sehr gut vorbereitet.
Droht ein Engpass bei dringend benötigten Medikamenten?
Das kann kommen, aber verzögert, weil viele Grundstoffe der Medikaments in Indien und China produziert werden. Deswegen müssen wir da jetzt vorsorgen.
Wie findet man heraus, dass man bereits Covid-19 hatte bzw. Antikörper in sich trägt?
Da gibt es noch keine validen Tests. Wir hoffen, dass sie noch vor Ostern auf den Markt kommen.
Kann man sich auf das Corona-Virus testen lassen, wenn man nur Symptome hat und nicht weiß, ob man Kontakt zu Infizierten hatte?
Das ist schwierig, weil die Zahl der Tests knapp ist und man sie für Kontaktpersonen oder Infizierte benötigt.
Sollten wir nicht auch Schulen für Corona-Infizierte öffnen und nicht nur die Turnhallen?
Derzeit ist das noch nicht nötig. Wichtig ist, dass wir die medizinische Infrastruktur haben. Daher ist es eher sinnvoll, als Ausweichquartiere zunächst Rehakliniken zu nehmen.
Warum droht der Kollaps des Systems bei Corona und nicht bei 25.000 Influenza-Toten?
Weil das Virus unberechenbar ist und wir keine Impfmöglichkeiten haben, um es einzudämmen.
Gehen nicht lebenswichtige Kapazitäten verloren, wenn wir Patienten aus dem Ausland annehmen?
Wir sollten hier mit Augenmaß arbeiten. Wir haben eine europäische Solidarität und wir in Baden-Württemberg liegen direkt neben dem Elsass. Wenn man die Kapazitäten hat, ist es nicht unverantwortlich, Patienten aus dem Ausland aufzunehmen.
Viele Menschen sind konsequent zuhause. Warum steigt die Zahl der Infizierten weiter?
Die Inkubationszeit dauert bis zu 14 Tage. Die Maßnahmen sind seit einer Woche in Kraft, das heißt, wir werden frühestes kommende Woche (eher etwas später) merken, ob der Anstieg der Neuinfektionen abflacht.
Kann der Gesetzgeber nicht die Preise für Gesichtsmasken einfrieren, um die Geschäftemacherei einzudämmen?
Das geht sicherlich nicht, die Masken werden vorwiegend in Asien produziert, das sind freie Händler, der Markt bestimmt hier leider die Preise.
Kann man Schutzkleidung und Masken auch hier produzieren?
Auch darüber wird man nach der Krise nachdenken müssen. Es kann nicht sein, dass wir Beatmungsgeräte schneller bekommen als Schutzkleidung.
Hat sich die Diskussion um viel zu viele Krankenhausbetten jetzt erledigt?
Das würde ich nicht sagen. Man wird auch hier aus der Krise lernen, die Gesundheitsversorgung neu aufzustellen und neu zu definieren.
Ich habe noch einige Rollen weißes Baumwollgewebe auf dem Dachboden, das würde ich gerne kostenlos abgeben. Können Sie etwas damit anfangen?
Das müssten wir prüfen, schicken Sie gerne eine E-Mail an info@rkh-kliniken.de.
Kann ich mich über meine Tageszeitung im Briefkasten anstecken?
Das ist eher unwahrscheinlich.
Ich lebe alleine, bin 70 Jahre alt, war immer gesund. Wenn ich nun plötzlich erkranken sollte, vor allem nachts: Wen kann ich anrufen, damit ich ins Krankenhaus komme?
Wenn Sie so schwer erkranken, dass Sie tatsächlich ins Krankenhaus müssen, dann wählen Sie den Notruf 112. Ansonsten gibt es den medizinischen Notdienst, dann kommt ein Arzt oder eine Ärztin vorbei. (Anm. d. Red.: Hilfe gibt es unter der Telefonnummer 116 117)
Kann ich einen Corona-Erkrankten zuhause mit Sauerstoff versorgen?
Das sollte man nicht machen. Wenn jemand Sauerstoff benötigt, dann gehört dieser Mensch in die Klinik, weil sich das Krankheitsbild sehr schnell verschlechtern kann.
Wäre es gut, wenn Verstöße nicht mit Bußgeldern geahndet würden, sondern mit Arbeit in Kliniken?
Wir haben ein klares Rechtssystem, das legt das fest. Ich persönlich halte davon nichts.
Waren es nicht gerade die Krankenhaus-Manager, die mit Sparmaßnahmen den Pflegenotstand verursacht haben?
Die Manager haben immer versucht, das Beste zu machen. Es ist sicherlich die Politik (die die Bezahlregularien festlegt), die versucht hat, die Kliniken und das Gesundheitssystem immer effizienter zu gestalten.
Müssten ankommende Flugreisende sofort auf das Corona-Virus getestet werden?
Das kann trügen. Wenn die Infektion erst ein oder zwei Tage alt ist, dann kann der Test noch negativ sein. Insofern ist sicherlich nach Ankunft eine Quarantäne sinnvoll.
Müssten alle alten Menschen sofort komplett abgeschirmt werden, damit die Zahl der Sterbenden nicht weiter dramatisch in die Höhe schießt?
Wenn man das erreichen könnte, wäre es sinnvoll. Gerade auch die Pflegeheime versuchen gerade, sich so gut wie möglich abzuschirmen, um diese Hochrisiko-Gruppe nicht zu gefährden.
People Are People SWR1 Leute
Zwei Stunden Zeit für ein Gespräch mit Menschen, die im Mittelpunkt stehen, die Herausragendes leisten oder einfach eine spannende Lebensgeschichte haben.