Jennifer Teege: Ihr Großvater war der KZ-Kommandant Amon Göth

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Nicole Köster
Moderatorin Nicole Köster aus dem SWR1 Team moderiert täglich ausßer samstags zwischen 10 und 12 Uhr die Sendung SWR1 Leute
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Jörg Witzsch
Redakteur Jörg Witzsch aus dem SWR1 Team behält den Überblick in der SWR1 Online-Redaktion.

Wie geht man damit um, wenn man als Halb-Nigerianerin erfährt: Der Großvater war ein KZ-Kommandant, den man bislang nur aus dem Film "Schindlers Liste" von Steven Spielberg kannte und der einen damals im KZ Płaszów skrupellos hingerichtet hätte?

Jennifer Teege über Amon Göth: "Mein Großvater hätte mich erschossen"

Jennifer Teege ist die Tochter einer Deutschen und eines Nigerianers. Die Mutter hatte sie zur Adoption freigegeben, sie wuchs bei einer Pflegefamilie in München auf. Später ging sie nach Frankreich, studierte in Israel, wurde Werbetexterin und Schriftstellerin. Der entscheidende Moment in ihrem Leben: In der Hamburger Zentralbibliothek stößt sie unter 350.000 Büchern ausgerechnet auf das eine, das ihr Leben verändern wird. 

Dieser Moment - man kann sagen 'Stunde Null' - kam so unerwartet. Ich war in der Psychologie-Abteilung – nicht in der Geschichtsabteilung, was man vermuten würde – und sah ein Buch im Regal mit einem roten Einband. Der Titel war 'Ich muss doch meinen Vater lieben'. Auf dem Cover war ein kleines Schwarzweiß-Foto einer Frau, mittleres Alter. Ich habe sie nicht erkannt, aber irgend etwas war an ihren Augen, was mich irritiert hat. Dann habe ich den Untertitel gelesen: 'Monika Göth, Tochter des KZ-Kommandanten aus 'Schindlers Liste'. [...] Ganz hinten im Buch war dann eine Zusammenfassung biografischer Daten und in dem Moment habe ich verstanden: Das war nicht irgendein Buch – diese Daten kannte ich aus meinen Adoptionsunterlagen. Das war ein Buch, das die Geschichte meiner leiblichen Familie erzählt hat.

Niemand hat je über ihre Familiengeschichte gesprochen

Jennifer Teege vergleicht die Entdeckung der Buches und damit ihrer Lebensgeschichte mit einem Puzzle – oft fängt man an, den Rahmen zu legen und füllt dann nach und nach die fehlenden Teile aus. 

Bei mir fühlte es sich in meinem Leben über viele Jahre so an, als wäre da kein Rahmen. Alles ist durcheinander gewesen, da waren so viele Fragen. [Wie] ein Haus mit vielen Zimmern, mit verschlossenen Türen und ich kam nie in diese Zimmer. Es war ein großes Durcheinander und letztlich war die Entdeckung der Familiengeschichte wie ein Schlüssel - oder wie ein Rahmen, in dem ich dann ganz viele biografische Einzelteile sortieren konnte. 

Schockierende Entdeckung: Der Großvater war ein Massenmörder

Überwältigend waren allein schon die vielen Informationen, die dieses Buch ihr über ihre leibliche Mutter gaben, von der sie ja nichts wusste. Der große Schock aber kam, als Jennifer Teege entdecken musste, dass ihr Großvater Amon Göth war, der Kommandant der Konzentrationslagers Płaszów. Er war einer der skrupellosesten Massenmörder der NS-Zeit und wurde 1946 gehängt - am Galgen noch hob er die Hand zum Hitlergruß. 

Verwirrend und schockierend war diese Entdeckung insbesondere auch deshalb, weil Teege so viele Jahre in Israel gelebt und studiert hatte, die Sprache spricht und eine "ganz enge Verbindung" zum jüdischen Volk hat.  

Ich hab’ ein Foto von ihm genommen und hab’ mich vor den Spiegel gestellt und da gab es Ähnlichkeiten in den Gesichtszügen - das war schrecklich anfangs.

So konnte sich Jennifer Teege von der Nazi-Vergangenheit lösen

Lange Zeit habe sie sich "an ihm abgearbeitet". Irgendwann sei ihr klar geworden: "Ich bin nicht so!". Weder könne sie Menschen wissentlich Gewalt antun, noch könne sie von einem Balkon aus auf Menschen schießen. All die Grausamkeiten, die Amon Göth als KZ-Kommandant begangen hatte und auch die Geschichtsverweigerung ihrer Großmutter beschäftigten sie über Jahre. Eine Distanzierung sei dann irgendwann möglich gewesen, sagt sie, "selbst für mich, obwohl da eine genetischen Abstammung vorhanden ist".

Ich habe dann versucht, wieder schrittweise zu meinem alten Leben zurück zu finden. Aber das hat nicht nur Tage oder Monate, sondern Jahre gedauert.

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