Die Tierheime in Rheinland-Pfalz schlagen Alarm. Sie können die vielen Tiere, vor allem Hunde, nicht mehr versorgen. Es gibt erschreckende Berichte über die Situation.
Während der Corona-Pandemie legten sich viele Menschen ein Haustier zu, doch anscheinend lässt das Interesse nach der Pandemie nach und die Tiere werden abgegeben. Dieser "Corona-Effekt" und gestiegene Kosten haben die Tierheime in eine extreme Schieflage gebracht. Nun haben sich mehrere Tierheime zusammengetan und einen Brandbrief an die Politik geschrieben.
Wir haben mit Andreas Lindig über die katastrophale Situation in den Tierheimen gesprochen. Lindig ist erster Vorsitzender vom Landesverband Rheinland-Pfalz des deutschen Tierschutzbundes.
SWR1: Wie schlimm ist die Überlastung der Tierheime? Sind alle im Land betroffen?
Andreas Lindig: Es sind eigentlich alle im Land betroffen, und die Überlastung der Tierheime ist wirklich katastrophal. Umsonst würden wir nicht versuchen, uns derart an alle Institutionen zu wenden, um Abhilfe zu schaffen und vor allen Dingen, um Aufmerksamkeit zu erzielen.
SWR1: Welche Tiere werden in der Hauptsache von Ihren ehemaligen Käufern im Stich gelassen?
Lindig: Es betrifft eigentlich alle Tiere, in der Mehrzahl aber natürlich Hunde und Katzen, mittlerweile aber auch Exoten und Kleintiere. Die Palette ist komplett größer geworden.
SWR1: Werden die Tiere ausgesetzt oder bei Ihnen abgegeben?
Lindig: Alles. Teilweise sind die Tierheime nicht mehr in der Lage, Tiere aufzunehmen. Dann werden die einfach angebunden. Es sind Tiere vor Tierheimen verendet, weil sie festgebunden wurden, und bevor das Personal kam, waren die Tiere tot. Es gab schon katastrophale Zustände und katastrophale Situationen, die eigentlich in einer zivilisierten Gesellschaft nicht stattfinden dürfen.
SWR1: Was sind die Gründe dafür, dass so viele Tiere bei Ihnen abgegeben werden?
Lindig: Die Gründe sind vielschichtig. Das ist einmal der Welpenhandel. Jeder kann sich ein Tier anschaffen, wo er will, ohne nachzudenken. Gesetzlich gibt es keine Regelungen, die wir schon lange fordern. Denn wir wussten, dass die Tendenz in diese Richtung läuft, dass zu viele Leute sich zu viel Tiere anschaffen, ohne sich vorneweg zu informieren, wie überhaupt die Tiere gehalten werden müssen.
Es ist das Problem, dass viele Tiere als "Mode-Tier" angeschafft werden. Da sind in Fernsehsendungen lustige Tiere zu sehen. Es wird nicht nachgefragt, wie das Bedürfnis der Tiere ist. Da wird einfach nur dasselbe gekauft, was man im Fernsehen gesehen hat. Das sind alles Dinge, die dazu führen, dass diese Tiere in den Tierheimen landen, und dann muss das Tierheim das richten, was der Mensch durch Unüberlegtheit, durch Unaufmerksamkeit, und ich muss ganz ehrlich sagen, auch teilweise durch Dummheit, angerichtet hat.
Kapazitäten sind am Limit Koblenzer Tierheim klagt: "Tiere sind Wegwerfartikel geworden"
Das Tierheim in Koblenz kann nach eigenen Angaben kaum noch Tiere aufnehmen - so, wie die meisten Tierheime in Deutschland. Deshalb hat es gemeinsam mit anderen einen Brandbrief verfasst.
SWR1: In dem Brandbrief der Tierheime wird ein Sachkundenachweis für potenzielle Hundehalter gefordert. Wie realistisch ist es, dass so etwas tatsächlich kommt?
Lindig: Ich hoffe, dass es kommt. Denn alles andere führt ins Chaos und in die Katastrophe. Aber dieser Sachkundenachweis muss kommen. Wir fordern: Bevor man sich Tiere anschafft, muss ein Sachkundenachweis abgelegt werden.
Da geht es nicht darum, die Leute zu drangsalieren, sondern einzig und allein darum, dass die Menschen gezwungen werden, bevor sie sich Tiere anschaffen, sich darüber zu informieren. [...] Kann ich überhaupt ein Tier halten, kann ich mir das finanziell leisten? Wie lange ist die Lebenserwartung? Was mache ich, wenn ich ins Krankenhaus muss? Da gibt es 1.000 Fragen, die abgeklärt werden müssen. [...] Ohne diesen Sachkundenachweis wird es in unserem Land leider in absehbarer Zeit katastrophale Zustände in der Tierhaltung geben – in der privaten Tierhaltung.
SWR1: Sie fordern zum Beispiel ein Verbot des Handels mit lebenden Tieren im Internet. Das klingt ja sowieso schon sittenwidrig, Tiere im Onlineshop zu kaufen...
Lindig: Das ist es auch. Es ist einfach unvorstellbar, was sich dort abspielt. Erstens, was angeboten wird an Tieren. Zweitens, wie der Handel abläuft. Da werden Tiere auf Parkplätzen übergeben, ohne dass man sich vorneweg überhaupt jemals mit dem Tier auseinandergesetzt hat. Wir haben jetzt kürzlich den Fall gehabt, dass jemand sich in einer Hundebox einen Hund übergeben lassen hat, nach Hause gefahren ist und der Hund drei Tage nicht aus der Box rauskam vor lauter Angst. Und dann haben Sie hier angerufen, was sie jetzt machen sollen. Das sind Dinge, die man sich als normal denkender Mensch gar nicht vorstellen kann. [...]
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Michael Lueg.
Das vollständige Interview können Sie oben auf dieser Seite nachhören.
Weitere Informationen zum Deutschen Tierschutzbund Landesverband Rheinland-Pfalz e.V. finden Sie auf tierschutz-rlp.de.
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