Laut dem neuen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung beobachtet fast jede zweite Lehrkraft körperliche und psychische Gewalt an Schulen. Für die Studie wurden rund 1.600 Lehrerinnen und Lehrer alle Schulformen in Deutschland zur Situation an ihrer Schule befragt.
Klaus-Peter Hammer ist Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Rheinland-Pfalz und plädiert für mehr Unterstützung für Bildungseinrichtungen und bessere Zusammenarbeit von Schulen und Eltern.
Steigende Gewalt an Schulen ist ein "Warnsignal"
SWR1: Die Zahl überrascht Sie vermutlich nicht, aber macht Sie die Zahl eher wütend oder traurig?
Klaus-Peter Hammer: Wenn, dann macht mich die Zahl traurig und nachdenklich. Man muss darüber nachdenken, warum das Ganze jetzt so angestiegen ist. Es ist nicht die erste Studie, die diese Tendenz andeutet. Und es ist ein Warnsignal für uns alle in der Gesellschaft, da genauer hinzuschauen und uns gemeinsam Gedanken zu machen, warum diese Entwicklung gerade so stark ist.
SWR1: Haben Sie denn eine Erklärung?
Hammer: Das müssen wir in der Tat auch wissenschaftlich untersuchen. Wie man liest, hat das alles wohl auch noch mit Corona zu tun, dass viele Kinder Frustrationserlebnisse durch Corona mitschleppen.
Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass sich die Gesellschaft generell verändert hat und die Leute momentan alle sehr gereizt reagieren, alle sehr aufgeregt sind, und man auch gar nicht miteinander in Ruhe ins Gespräch kommen kann. Das ist meine subjektive Empfindung.
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GEW fordert mehr Investitionen in Sozial- und Bildungspolitik
SWR1: Schon vor Jahren waren die Zahlen noch nicht so drastisch, aber der Trend erkennbar. Corona und die gesellschaftliche Atmosphäre allein erklären das doch nicht. Sind wir ratlos?
Hammer: Da haben Sie vollkommen recht. Auch das Phänomen Jugendgewalt ist in der Tat nichts Neues. Man ist in der Tat ein Stück weit ratlos und ich glaube, man muss jetzt überlegen, welche Ursachen das hatte. Da muss man entsprechende Expertinnen und Experten ansprechen.
Das, was wir als Gewerkschafter einzubringen hätten, ist, dass die Bildungseinrichtungen in dieser Arbeit gestärkt werden und dass man zumindest mal mehr in Sozial- und Bildungspolitik investiert. Was wir schon seit vielen Jahren auch monieren, ist, dass die Fachkräfte fehlen. Auch die Lehrkräfte brauchen bei ihrer Aufgabe zu unterrichten, aber auch zu erziehen, multiprofessionelle Teams, die sie begleiten.
Konzepte zur Gewaltprävention müssen ausgeweitet werden
SWR1: Manche weiterführende Schulen in Rheinland-Pfalz haben durchaus Ideen zur Gewaltprävention entwickelt. Wie wirksam kann das sein und muss es großflächig angegangen werden?
Hammer: Genau das ist auch mein Ansatz. Sie haben vollkommen recht, es gibt Konzepte, und Schulen haben auch wirklich gute Konzepte entwickelt. Aber es muss großflächiger angegangen werden und man muss wirklich mehr Personal einstellen.
Auf der anderen Seite haben auch die Eltern eine gewisse Verantwortung. Ich glaube, dass es gut ist, wenn auch Schule und Elternhaus enger zusammenarbeiten. Aber auch wenn man in der Schule eine Atmosphäre herstellt, in der ein Kind oder ein Jugendlicher sich traut, darüber zu sprechen, wenn es Probleme gibt. Es hat verschiedene Ursachen, warum jemand aggressiv wird und es gilt, ihnen präventiv zu begegnen.
SWR1: Klingt aber ehrlich gesagt nicht so, als könnte sich da einigermaßen schnell etwas zum Positiven hinbewegen.
Hammer: Das ist ein Problem, was man auch so schnell nicht in den Griff bekommt. Das heißt, da müssen mehrere Personen mit dran arbeiten. Ich denke, dass es auch gut beraten ist, dass man Schulen betreut, begleitet, und Schulen hilft, Konzepte zu entwickeln.
Aber auch, dass die Eltern sich Konzepte überlegen und notfalls auch zu einer Beratungsstelle gehen und sich Hilfe holen. Aber insgesamt bin ich vollkommen bei Ihnen: Es ist ein Problem, was wir so schnell nicht in den Griff bekommen werden.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Claudia Deeg.
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