Pädophilie ist eine psychische Störung, die man kontrollieren kann, sagt Prof. Dr. Beier. Der Sexualwissenschaftler erklärt im Interview, was Betroffenen hilft.
SWR1: Herr Professor Beier, was können wir alle tun, um sexuellen Missbrauch zu erkennen oder auch um ihn zu verhindern?
Klaus Michael Beier: Es gibt zwei Gruppen, die Kinder sexuell missbrauchen. Die eine Gruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass sie eine Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema aufweist. Das nennen wir Pädophilie, das ist der Diagnose-Begriff der Weltgesundheitsorganisation und gilt als psychische Störung. Die andere Gruppe hat diese Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema nicht. Da muss man sich fragen, warum begehen diese Menschen Übergriffe. Das hat verschiedene Gründe. Diese Gruppe erreichen Sie mit eventuellen Maßnahmen praktisch gar nicht. Und erstere Gruppe erreichen Sie, weil die Betroffenen seit der Jugend wissen, dass sie eine solche Ansprechbarkeit haben.
Pädophilie ist eine psychische Störung, die im Jugendalter entsteht
Klaus Michael Beier
Dr. Klaus M. Beier, ist Leiter des Berliner Standorts des Netzwerks "Kein Täter werden" und Direktor des Instituts für Sexualwissenschaften und Sexualmedizin der Charité Berlin. Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden".
SWR1: In welchem Alter merkt ein Mensch, dass er sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlt? Kann sich so etwas auch später noch zeigen als in der Jugend?
Die sexuelle Orientierung darf man keinem vorwerfen - nur das sexuelle Verhalten
Beier: Nein, die sexuelle Präferenzstruktur, also das, was die sexuelle Orientierung verschaltet, ist eine Programmierung im Gehirn. Diese manifestiert sich im Jugendalter, und die sucht sich keiner aus, die darf man keinem vorwerfen. Das ist nichts, was man per se bewerten sollte. Bewerten muss man das sexuelle Verhalten.
SWR1: Das heißt, die sexuelle Orientierung ist im Prinzip gegeben. Die muss man dann auch akzeptieren und annehmen?
Beier: So ist das. Menschen mit Präferenz zum kindlichen Körperschema [Anm.: etwa ein Prozent der männlichen Bevölkerung] muss man so früh wie möglich erreichen, damit sie nicht im Netz Ausschau halten nach Bildmaterial, damit sie nicht beginnen, Kinder zu groomen [Anm.: Kontakt zu Kindern aufzunehmen, in der Absicht, sie sexuell zu missbrauchen].
SWR1: Wenn man den Eindruck hat, der Sohn, der Bruder oder der Freund ist betroffen - wie spricht man den drauf an?
Beier: Betroffene haben die berechtigte Sorge, ausgegrenzt zu werden, sozial erledigt zu sein, sobald bekannt ist, dass diese Ausrichtung besteht. Dabei können sie lebenslang völlig verhaltensabstinent sein und nie nie ein Kind missbrauchen. Das heißt, hier muss man das umdrehen und sagen, es ist wertvoll, wenn man diese Dinge besprechen kann. Es ist wichtig zu wissen, dass es Menschen gibt, die einen nicht ausgrenzen. Das wären zum Beispiel gute Freunde oder Familienangehörige. Und dann kann man mit Sicherheit auf Möglichkeiten hinweisen, diese Verhaltenskontrolle lebenslang zu erwerben und aufrechtzuerhalten.
SWR1: Wie funktioniert das? Wie helfen Sie Männern, die sich bei Ihnen melden?
Beier: Das sind definierte Behandlungsprogramme, die darauf basieren, dass man die Risikofaktoren für die Nutzung von Missbrauchsabbildungen oder Übergriffe auf Kinder kennt und dann diese Situation so durchschreiten lernt, dass keine Gefahr für Kinder besteht. Es ist eine Form des Trainings, eine verhaltenstherapeutische Herangehensweise. Es ist wichtig, dass man ein solches ein Backup hat, dass man weiß, dass Menschen einen nicht fallen lassen. Und es gibt zusätzlich noch medikamentöse Maßnahmen gegen Risikosituationen, die sehr hilfreich sind, um sexuelle Wünsche in ihrer Intensität herunterzuregulieren. Das nutzen wir auch.
SWR1: Gibt es denn auch Frauen, die Täterinnen werden?
Beier: Die gibt es, sie sind aber im Verhältnis zu den Männern eine klare Seltenheit. Und auch hier muss man unterscheiden zwischen denen, die eine Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema im Sinne der Pädophilie haben. Das sind ganz, ganz wenige. Wenn wir uns in unserem Präventionsprojekt über die 15 Jahre die Zahlen anschauen, hatten wir Kontakt zu 3.000 Männern, aber nur zu 30 Frauen. Und von diesen 30 Frauen hatten zwei eine Ausrichtung auf das kindliche Körperschema. Die anderen Frauen hatten Angst, dass sie pädophil sein könnten. Es war eine Angststörung und eine Zwangsstörung, die dem zugrunde lag.
SWR1: Prof. Dr. Klaus Beier, danke für das Gespräch!