Viele Menschen wollen weder auf die Liebe verzichten, noch auf die Karriere. Und so gibt es immer mehr Fernbeziehungen. Diplom-Theologe und Paartherapeut Dr. Peter Wendl erforscht das Thema seit fast 25 Jahren an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Mit SWR1 hat der Experte über Hindernisse, Chancen und Tipps für eine gute Fernbeziehung gesprochen.
Hindernisse direkt zu Beginn besprechen
Grundsätzlich müssen Paare für sich klären: Wie lang soll das denn gehen und warum führen wir überhaupt eine Fernbeziehung? Also nur der Karriere wegen wird die Beziehung spätestens bei der Kinderfrage dann eine Grenze finden. Die Motivation muss geklärt werden, weil meistens einer oder eine mehr Nachteile hat, weil er öfter pendeln muss, mehr Geld ausgibt. Das Zweite: Fernbeziehungspaare brauchen Perspektiven: Wie lange soll das so gehen – in Jahren oder Wochen? Und wie oft können wir uns sehen? Denn das ist ja entscheidend.
Wichtige Regeln für Paare in der Fernbeziehung
Man sollte auch einen erfüllenden Alltag alleine kultivieren können. Wer nur wartet und sehnsüchtig schmachtet, wird langfristig scheitern. Die zweite Seite sind die allgemeinen Themen während der Woche, wenn wir getrennt sind. Da sind andere Voraussetzungen nötig: zum Beispiel Abschied und Wiedersehen kultivieren. Wie bleiben wir uns nahe während der Trennung? Wie streiten wir, wie gehen wir mit Eifersucht um? Wie sind wir ein Paar, obwohl wir nicht zusammen sind vor Ort?
Chance: Die Fernbeziehungen bleiben frisch
Die "Verliebtheitsphase" dauert nachweislich länger. Aber irgendwann beginnt dann doch auch die Erschöpfung und die Sehnsucht überwiegt: Der Blues am Sonntagnachmittag nach der Abreise, den kennen alle Fernbeziehungspaare. Und: Ich kann Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf Distanz doch mal unterscheiden. Einerseits intensive Nähe während des gemeinsamen Zusammenseins und viel Freiheit während des Getrenntseins für Karriere, für Freunde, für das, was mir sonst noch so wichtig ist.
Tipp: Das Wochenende als Trainingslager
Tatsächlich ist das Einmaleins der Fernbeziehung gar nicht so unterschiedlich zur konventionellen Nahbeziehung. Wir brauchen Vertrauen, wir brauchen Liebe, wir brauchen eine erfüllende Erotik, Kommunikation und wir müssen uns aufeinander verlassen können, dass wir entschieden sind: Wir zwei gehören zusammen, ob nah oder fern. Es gibt einen kleinen Trick, der die Fernbeziehung durchaus spannend macht. Ich nenne das ganz gerne "ein Trainingslager für die Liebe". Denn wer regelmäßig am Wochenende zofft, der wird sich fragen: Warum soll ich so weit fahren, wenn wir uns eigentlich beginnen, auseinander zu leben? Ein Fernbeziehungspaar kriegt viel früher gezeigt, wenn es zu kriseln beginnt und da kann man auch tatsächlich nachsteuern. Darin könnte eine Chance liegen, das Beziehungsleben erfüllend zu gestalten.
Tipp: Am Alltag teilhaben lassen
Grundsätzlich ist in Kontakt sein, sich am Alltag teilhaben lassen ganz, ganz wichtig, weil ich sonst nicht weiß: Wer steht am Freitag vor mir? Was bringt sie oder er mit an Traurigkeit, an Erschöpfung, an Ärgerlichkeiten, an dem, worauf ich mich freue? Auch Absprachen sind sehr wichtig in der Fernbeziehung – also sich während des Getrenntseins wissen lassen, dass wir zusammengehören und was in meinem Leben vor sich geht, ist elementar. Aber das hängt auch ein bisschen von den Lebensumständen ab. Wenn ein Fernbeziehungspaar Kinder hat, dann wollen die schon von Mama oder Papa während der Zeit hören, und wollen berichten, was schön war im Kindergarten, in der Schule oder auch sonst. Dann ist regelmäßiger, verlässlicher Kontakt sehr, sehr wichtig. Ich würde sagen bei Paaren, die sich noch nicht lange kennen – unabhängig vom Alter – wird sich das ganz von selbst regeln, weil man nicht genug kriegt voneinander. Wenn sich ein Alltag auch einschleift, dann finden die Paare in der Regel einen gesunden Kontakt, weil: Wenn es zu wenig ist, wird sich eine oder eine auch melden und sagen "Du, da müssen wir nachsteuern".
Gefahr: Zusammenziehen nach langer Fernbeziehung
Das ist tatsächlich die ganz große Klippe. Plötzlich steht man zusammen und ist sehr dicht beieinander in einer Zeit, in der man gewohnt war, viel Distanz zu haben. Ein Paar, das zusammenzieht, muss lernen, wie gehe ich mit der Nähe um? Die Antwort lautet: Ein bisschen noch Fernbeziehungspaar bleiben, damit auch Freiraum für Individualität bleibt. Denn psychologisch passiert da etwas ganz Schlichtes: Endlich sind wir zusammen und kriegen gar nicht mehr genug voneinander. Dann aber erst nach zu steuern und zu sagen "Jetzt brauche ich wieder mehr Luft", das könnte verwechselt werden damit, dass man sagt: "Es ist mir zu viel". In Wirklichkeit ist es ein ganz normaler Ausschlag in die andere Richtung. Man kann sagen: Halten sich Paare ab und an getrennt voneinander auf, erhöht sich das Haltbarkeitsdatum.
Chance: Mehr Vertrauen, weniger Scheidungen
Das Thema "Fremdgehen" spielt auch in Fernbeziehungen eine Rolle. Es ist genauso wie in der Nahbeziehung eine Frage des Vertrauens und des Settings der beiden Partner miteinander. Wie offen wollen wir sein? Wir sprechen von sexueller Exklusivität. Was wir sagen können: Scheidungsquoten sind mitnichten höher bei Paaren, die in Fernbeziehungen leben. Da gibt es eine ganz klare Beruhigung. Wenn sich Paare für einander entschieden haben und sich das auch spüren lassen, dass sie sich vertrauen können, dann spielt Fremdgehen und Vertrauen keine größere Rolle als in jeder anderen Beziehung.
Das Gespräch führte SWR1 Moderatorin Steffi Stronczyk.
Weitere Informationen zu Dr. Peter Wendl finden Sie auf der Webseite der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
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