Jahrzehntelang haben Benny, Björn, Agnetha und Frida abgewunken, wenn sie auf ein Comeback angesprochen wurden. Eine ABBA-Reunion war ungefähr so wahrscheinlich wie der Weltfrieden. Doch zumindest in der Musikwelt gibt’s noch Wunder: Eins davon ist die ABBA-Reunion.
Fast 40 Jahre nach ihrer letzten Platte "The Visitors" (1981), ist das neunte Studioalbum "Voyage" endlich da. Die Musik klingt vertraut, die ABBA-Formel ist nach all den Jahren immer noch die gleiche. Konsequent ignorieren die Songschreiber Björn Ulvaeus und Benny Andersson jegliche musikalischen Trends - Gott sei Dank!
Vertraute Klänge
Stattdessen spielen ABBA auf dem neuen Album die komplette Klaviatur der Stile und Emotionen rauf und runter, die man von ihnen kennt. Da gibt es die fröhlichen Songs wie "When you danced with me" oder "No doubt about", die mal folkig oder mal rockig nach vorne gehen. Die dritte Vorabsingle "Just a notion" hätte genauso 1974 zur gut gelaunten "Waterloo"-Zeit herauskommen können. Schon seit September läuft "Don’t shut me down" im Radio und klingt nach zweimal hören so schön vertraut nach ABBA, als hätte es das Lied schon seit Anfang der 80er gegeben.
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Voyage
Erscheinungsdatum:
05. November 2021
Label:
Universal (Universal Music)
Titelliste:
I still have faith in you
When you danced with me
Little things
Don't shut me down
Just a notion
I can be that woman
Keep an Eye on Dan
Bumblebee
No doubt about it
Ode to Freedom
Traurig können die Schweden
Großartig sind die vier Schweden auf dem neuen Album, wenn sie Pathos oder Melancholie herausholen. Die Frida-Hymne "I still have faith in you", die von der Freundschaft der ABBA-Mitglieder handelt, macht Gänsehaut.
ABBA - "I Still Have Faith In You"
Agnetha singt über Scheidungskinder ("Keep an eye on Dan"), darunter wummert ein 70er-Dance-Beat. Sie rührt in "I can be that woman" mit der Geschichte über ein reifes Ehepaar, das kurz vor der Trennung steht. Besonders in den melancholischen Agnetha-Momenten kriegt das neue ABBA-Album seinen besonderen Glanz. "Wir Schweden können wahnsinnig gut traurig sein", hat Björn mal gesagt. Ja, stimmt!
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Der Anfang vom Ende
"Voyage" ist der Anfang des ABBA-Comebacks und gleichzeitig das Ende. Benny und Björn haben ausgeschlossen, dass es danach nochmal neue Musik der Gruppe geben wird. ABBA-Fans können natürlich wieder auf ein Wunder hoffen - aber das hat keine 39 Jahre Zeit.
Die 10 Songs auf dem neuen ABBA-Album:
When you danced with me
Der Song macht von der ersten bis zur letzten Sekunde einfach Spaß. Da stecken nordische Folk-Klänge drin mit Flötenmelodien und lustig gezupften Ukulelen, dazu ein treibender Rhythmus und eine ansteckend gut gelaunte Melodie. In knapp drei Minuten singen uns ABBA eine nostalgische Geschichte über schöne vergangene Zeiten, in denen junge, verliebte Menschen fröhlich miteinander getanzt haben. Frida trifft im Song ihren hübschen Tanzpartner von einst wieder und erinnert sich an tolle Tage. Das Ganze spielt wohl in Irland, könnte aber genauso im "Midsommar" in Schweden sein. Benny und Björn als Songschreiber sind Meister der Mini-Kinofilme im Kopf - das ist wieder einer.
Little things
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Das ist der erste ABBA-Song, in dem wirklich Weihnachten drin steckt: Glöckchen klingen, am Weihnachtsmorgen hat Santa Claus die Geschenke in die Socken gestopft, lauter kleine Sachen - "Little things". Aber nicht nur materielle Geschenke machen im Song die Menschen glücklich, auch Kinderlachen und die liebe Oma, die ihre Enkel mit Liebe überschüttet. Dazu gibt’s zum Schluss noch einen Kinderchor, der fröhlich einstimmt. Dem einen oder anderen ist es vielleicht eine Spur zu dick aufgetragen, aber zwei Wochen vor Weihnachten passt das bestimmt.
Don’t shut me down
Der Song ist der zweite, der am 2. September 2021 als Single herausgekommen ist und hat alles, was ein ABBA-Song braucht: Eine wunderschöne Melodie, musikalische Überraschungsmomente, die typischen ABBA-Piano-Anschläge und die beiden Stimmen von Agnetha und Frida, die sich zu magischen Harmonien verbinden. Alle Fans waren sich sofort einig - dieser Song hat "das ABBA-Feeling". Dazu schlüpft Agnetha in die Rolle einer Frau, die ihrer alten Liebe nach langer Zeit mal wieder "Hello again" sagt. Die alten Probleme und Unsicherheiten hat sie hinter sich gelassen: "Ich kann jetzt damit umgehen und Liebe und Hoffnung sind der Grund, warum ich hier stehe." Der Song ist jetzt schon ein ABBA-Klassiker.
Just a notion
Schon seit ein paar Wochen ist dieser Song als dritte Single aus dem "Voyage"-Album raus. Im Vergleich zu den anderen Singles klingt der mit dem klassischen 50er-Jahre-Rock-and-Roll-Sound komplett aus der Zeit gefallen. Tatsächlich liegt "Just a notion" als Songdemo schon seit Ende der 70er herum, doch ins Disco-Album "Voulez Vous" (1979) hat er damals einfach nicht gepasst. Eingefleischte ABBA-Fans haben Fragmente daraus schon 1993 in einer Box mit Song-Raritäten hören können. Doch für "Voyage" gibt es 2021 eine komplette Neuausgabe. Das Stück erinnert an ganz frühe ABBA-Hits wie "I Do, I Do, I Do, I Do, I Do" und polarisiert die Fans: manchen klingt er zu altmodisch, andere lieben genau das.
I can be that woman
Es gibt die fröhlichen "Dancing Queen"-ABBA und es ist gibt die traurige späte Phase. So klingt auch "I can be that woman". Das ist ein Meisterstück der Melancholie. ABBA waren immer besonders stark, wenn sie über Beziehungen von Paaren singen, bei denen es schief läuft. Hier ist das wieder so: Ein Wohnzimmer eines entfremdeten Ehepaares nach langen, zermürbenden Jahren. Er hat geheult und flucht vor sich hin, sie fühlt sich mit ihren Gefühlen ziemlich einsam. Streit und Trennung liegen in der Luft. Der Familienhund guckt sich das Drama traurig an. Aber ein Funken Hoffnung kommt auf, dass sich das Paar doch noch versöhnt und von vorn anfängt. Wie schon bei großartigen Songs wie "One of us" oder "The winner takes it all", singt hier Angetha mit manchmal zerbrechlicher Stimme. Nach 40 Jahren klingt noch mehr Schmerz und Lebenserfahrung aus ihrem Gesang. Wen das kalt lässt, muss ein toter Fisch sein. Traurig-schön!
Keep an Eye on Dan
Das ist ein spannender Song. Musikalisch geht’s in Richtung Disco-Beat, doch inhaltlich ist er traurig. Eine Mutter gibt ihren jungen Sohn in die Obhut des Vaters - das erste Mal. "Es ist vorbei", singt Agnetha und will ihren "Dan" vor traumatischen Erfahrungen bewahren. Vom Vater hat sie sich wohl getrennt und der darf den Kleinen übers Wochenende haben. Danach klingt es. Ihre Tränen kann sie gerade so zurückhalten und sie bittet den Ex inständig, auf den Kleinen aufzupassen. Schon ein bisschen loslassen tut weh.
Die Mitglieder der schwedischen Popgruppe «Abba», Benny Andersson (l-r), Annafrid Lyngstad, Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus
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Der Disco-Sound steht im krassen Gegensatz zur Geschichte, Björn Ulvaeus singt als männlicher Part im Hintergrund den Background-Chor. Die eigene Trennungsgeschichte der beiden schimmert durch, auch wenn der Song nicht ihre Geschichte erzählt. Zum Schluss spielt das Piano ein Zitat des ABBA-Songs "S.O.S." - Gänsehaut!
Bumblebee
Frida nimmt uns in dem Song mit in einen Garten, wo die "Bumblebee" - also die Hummel fröhlich fliegt und summt. Der Garten ist ein Rückzugsort, an dem man sie sich frei fühlen kann. Helle Xylophon-Töne, sanfte Keyboards und Flötentöne spielen die Freude, die sie dabei empfindet. Aber so ganz unbeschwert ist die Welt dann doch nicht in der Gartenidylle. Da trommelt das Schlagzeug einen kleinen Marsch-Takt nebenbei, der da so recht nicht hingehört. Im Text deutet sich an, dass die Welt drumherum sich zu schnell verändert und die kleine Hummel darin nicht mehr fliegen kann. "Ich bin traurig für die Menschen, die niemals das Summen einer Hummel hören können", singt Frida leicht betrübt. Auf den zweiten Hinhörer versteckt sich hinter dem harmlosen Garten-Liedchen eine Kritik am Mensch gemachten Insektensterben. Greta Thunberg wäre stolz auf ihre Landsleute ABBA.
No doubt about it
Der Song kommt mit extrem guter Laune daher. Das liegt schon mal daran, dass er irgendwo im klassischen Rock-and-Roll verwurzelt ist. Aber die ABBA-Damen singen musikalisch verjüngt auch übers frische Verliebtsein und einem Kerl, der da nicht so ganz mitspielen will. Das klingt nach etwas, das ABBA auch früh in ihrer Karriere hätten machen können, aber verliebt sein kann man ja mit über 70 noch. Die Gesangsparts von Frida und Agnetha haben ordentlich Tempo, wirken kraftvoll wie eine Frischzellenkur. Deshalb macht das Stück auch so großen Spaß.
Ode to Freedom
Was denn, ABBA machen Streicher-Klänge mit Walzer-Takt? Die "Ode an die Freiheit" klingt für die Schweden ungewohnt und vielleicht sogar ein bisschen schwülstig. Solche Arrangements haben Benny und Björn für ihre Bühnen-Musicals benutzt, aber hier steckt auch etwas Dramatisches dahinter: Zwar sind ABBA nie eine explizit politische Gruppe gewesen, sie haben Botschaften immer ein bisschen uneindeutig verpackt. In diesem Song sind sie ein bisschen deutlicher: Freiheit ist ein hohes Gut, ist aber auch "a fleeting thing", etwas sehr Flüchtiges. Kann schon sein, dass Benny und Björn das Lied im Eindruck von bröckelnden Demokratien in Europa und Donald Trump als US-Präsident geschrieben haben. Aber der Songtext bleibt da dann doch schwedisch-neutral.