Silvia Borowski kehrt mit ihrer Tochter in die Heimat zurück und stellt sich der Vergangenheit. Ein Roman über eine Mutter-Tochter-Beziehung und den Mut, sein Schweigen zu brechen. Ein Buchtipp.
Bild: Autorin Alena Schröder mit ihrem Buch "Bei euch ist es immer so unheimlich still"
Von Westberlin in die schwäbische Kleinstadt lIdingen
Was tun, wenn die Not am größten ist? Silvia reagiert reflexhaft: sie schnappt sich den alten klapprigen Polo ihres WG-Mitbewohners und flüchtet sich nach Hause. Auf dem Beifahrersitz in einem alten Wäschekorb ihre erst wenige Wochen alte Tochter Hannah. Es wird ein langer Weg von Westberlin quer durch die DDR-Transitzone in die schwäbische Kleinstadt. Und so steht sie auf einmal wieder vor ihrem Elternhaus in Idlingen. Die Mutter öffnet. Ihr einziger Kommentar: "Ah. Du bist es." 15 Jahre haben sich die beiden Frauen nicht mehr gesehen. Es fällt kaum ein Wort, auch kein böses und auch keines über das Baby. Der Abend endet mit Schnittchen vor dem Fernseher.
Familiengeheimnisse
Der Titel des Romans "Bei euch ist es immer so unheimlich still" trifft es genau, es ist nämlich viel ge- und verschwiegen worden in der Familie Borowski. Als Jugendliche hat sich die rebellische Silvia aus der spießbürgerlichen Enge nach Westberlin abgesetzt und in der Hausbesetzer-Szene eine neue Heimat gefunden. Freie Liebe, Kiffen und Gelegenheitsjobs inklusive.
Zurück in Ildingen bleibt der Vater, Chirurg am Städtischen Krankenhaus, ein schmaler, ruhiger Typ, der gerne eine Platte mit Mozarts Klavierkonzerten auflegt, aber nachts von Albträumen gequält wird. Zurück bleibt auch Silvias Tante Betti, ein Freigeist, unverheiratet, ungestüm. So manches Mal hat sie Silvia als Kind in schwierigen Situationen den Arsch gerettet, und sie braust zum Schrecken ihrer braven schwäbischen Nachbarschaft wild mit dem Auto durch die Gegend – das wird ihr später zum Verhängnis werden.
Und natürlich Evelyn, Silvias Mutter – eine kluge, disziplinierte und ehrgeizige Frau, die ihren Doktor mit "summa cum laude" gemacht hat, aber als Ärztin in der männerdominierten Medizinwelt der 50er Jahre keine Karriere machen kann. Als sie Silvia bekommt, hat sie dann Hausfrau zu sein.
Fleischwurst, "Lindenstraße" und das Starposter aus der "Bravo"
In "Bei euch ist es immer so unheimlich still" hängt so herrlich viel nostalgischer Mief in der Luft: Schnittchen mit Fleischwurst, dazu die "Lindenstraße", Klosterfrau-Melissengeist und das Starposter aus der "Bravo", die Avon-Beraterin mit ihren Schminkpröbchen, die grüne Seife mit Magnethalter. Der Roman ist wie ein bunte Dia-Show, die einen Blick mal in die 50er, dann wieder in die 80er Jahre wirft. Mit dem Schweigen haben sich jede Menge Missverständnisse angehäuft, Abgründe aufgetan. Gnadenlos stochert Alena Schröder in alten Familiengeheimnissen und zündet lässig eine Bombe nach der anderen. Das ist grandios, unterhaltsam, aber eben auch sehr explosiv.
"Bei euch ist es immer so unheimlich still" von Alena Schröder ist am 1. August 2023 im dtv Verlag erschienen (366 Seiten, gebunden 24 Euro, E-Book 19,99 Euro ).
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