Was hat Sie gereizt, bei der Haupt-Jury für den Deutschen Dokumentarfilmpreis mitzumachen?
Die Wurzeln meines filmischen Erzählens liegen im Dokumentarfilm und sie prägen bis heute meine Arbeit. Ich bin und bleibe unverbesserlich neugierig, Menschen mit ihren Motivationen im gesellschaftlichen Kontext zu erfahren. Das steht immer am Anfang meiner filmischen Reisen. Letztendlich basieren auch die guten fiktionalen Geschichten auf der Wirklichkeit und deshalb freue ich mich sehr, die Arbeiten der Kolleg*innen zu sehen und sie mit den Mitgliedern unserer Jury zu diskutieren. Ich liebe es, mit klugen Geistern über Filme zu sprechen; ich lerne andere Perspektiven kennen und bin zuweilen beeindruckt, wie verschieden man Filme sehen und verstehen kann.
Was zeichnet für Sie einen guten Dokumentarfilm aus?
Neben einem spannenden Sujet und der Virtuosität der Filmemacher*innen beeindrucken mich immer wieder Tiefe und Wahrhaftigkeit, manchmal auch die Unbestechlichkeit, die aus einer Arbeit sprechen. Das kann ebenso poetisch wie sachlich erzählt sein, bruchstückhaft oder halb fiktional. Ob die Filmemacher*innen scheinbar nur beobachtet oder stark eingegriffen haben, in der Komödie oder im Drama unterwegs sind, alles kann großartig sein, wenn der Film eine Haltung hat, die - ohne sich aufzudrängen – die Arbeit durchdringt. Manche Filme werden so zu einem Schatz, den man ein Leben lang mit sich trägt.
Sie stammen aus der DDR. Können Sie beschreiben, wie die unterschiedliche Dokumentarfilmtradition zwischen Ost und West sich auf Ihr eigenes Schaffen auswirkt?
Volker Koepps ‚Wittstock, Wittstock‘, Helke Misselwitz‘ ‚Winter Ade‘ - bis heute unerreicht - oder die Arbeiten von Thomas Heise haben mich im Studium beeindruckt. Dann kamen ‚When we where Kings‘ von Leon Gast oder ‚Searching for Sugarmen‘ von Malik Bendjelloul und noch viele andere dazu. Natürlich ist die jeweils unterschiedliche Machart von der Kultur geprägt, in der sie entstanden sind. Was sie alle verbindet, ist eine direkte, klare Filmsprache, die in die Tiefe geht und eine philosophische Dimension erreicht.
Können Dokumentarfilme etwas in der Gesellschaft bewirken?
Ja, ich habe das erlebt. Und ich wünsche mir von Herzen, dass es bis heute so ist.
Welche Themen, welche Personen locken in Ihnen die Regisseurin?
Mich interessiert immer wieder das Neue, Unbekannte und ich bin begeistert, wenn ich mich in einem Thema wiederfinde und mir gleichzeitig etwas bis dahin Fremdes erobern kann. Ursprünglich komme ich vom gesellschaftlichen Drama, jetzt habe ich mir mit meinem letzten Film IN EINEM LAND, DAS ES NICHT MEHR GIBT… die Freude gemacht, auch komisch zu erzählen. Ich will diesen Weg weitergehen, mir neue Genres erobern, gemeinsam mit Kollegen spannende Themen bearbeiten und mein erzählerisches Potential weiter ausbauen. Deshalb habe ich gerade mit Partnern meine eigene Firma mandrake-pictures gegründet, in der wir Stoffe entwickeln und co-produzieren wollen. Ich bin gespannt, wo die Reise so hingeht.
Sie machen Dokumentar- und Spielfilme – wann wählen Sie das jeweilige Genre? Spielen Sie mit den jeweiligen Genregrenzen?
Das ist schwer zu beantworten, denn Stoffe und Ideen entscheiden selbst, in welcher Form sie erzählt werden wollen. Und wenn wir klug sind und die Freiheit haben, dann folgen wir ihnen. Mein Debüt DIE KINDER SIND TOT wollte ein Dokumentarfilm sein. Fiktional hätte diese Geschichte nicht eine solche Wucht entfalten können. Jetzt geht mir seit geraumer Zeit ein Thema durch den Kopf, das behauptet, erstmal ein Buch werden zu wollen, bevor es zum Film wird. Mal sehen, wie sich der Stoff entscheidet.
Was unterscheidet Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit im Dokumentarfilm?
Wirklichkeit finden wir vor. In dem Moment, indem wir unseren Blick, und später die Kamera darauf richten, gestalten wir diese Wirklichkeit, denn der Ausschnitt, den wir wählen, spiegelt unser Interesse und unsere Haltung wider. Und damit kommt die Frage nach der Wahrhaftigkeit ins Spiel: wie aufrichtig begegnen wir der Welt, die wir vorfinden?