Für ihre Freiheit als Frau und Sportlerin floh Gewichtheberin Yekta Jamali aus dem Iran. Bei Olympia will die Athletin vom AC Mutterstadt zeigen, "wie stark eine Frau sein kann".
Vor zwei Jahren traf Yekta Jamali die wohl mutigste Entscheidung ihres Lebens. Sie ist erst 17 Jahre alt, als sie sich frühmorgens aus ihrem Hotel auf Kreta schleicht. Nur für einen kurzen Moment haben ihre iranischen Bewacher nicht aufgepasst. Als sie bemerken, dass Jamali verschwunden ist, beginnt eine große Suchaktion.
Jamali schafft es zum Flughafen in Athen und steigt in ein Flugzeug nach Frankfurt. Nur Stunden zuvor hatte sie bei den Junioren-Weltmeisterschaften im Gewichtheben die Silbermedaille gewonnen.
“Im Iran hatte ich keine Freiheit. Nicht nur ich - alle Frauen. Und auch im Sport hatte ich keine Freiheit. Gewichtheben ist für Frauen im Iran schwierig, weil manche sagen: Das ist nur für Männer”, erklärt Jamali, als SWR Sport sie im November 2023 beim Training in Mutterstadt besuchte.
Mit Olympia-Teilnahme geht Traum in Erfüllung
“Nicht nur mein Ziel, ich glaube das Ziel aller Sportler ist Olympia”. Nach ihrer Flucht hob sie erst für den Verein Mainz-Laubenheim. Bei einem Wettkampf wurde Stefan Mohr, stellvertretender Vorsitzender des AC Mutterstadt, auf ihr großes Talent aufmerksam.
Bis heute tritt Jamali auf Regional- und Bundesligaebene für den AC Mutterstadt an – mit Riesenerfolg. Parallel dazu arbeitete sie im Bundesleistungszentrum in Leimen fleißig an ihrem großen olympischen Traum, der nun in Paris in Erfüllung geht.
Als eins von 36 Mitgliedern aus dem Geflüchtetenteam des Internationalen Olympischen Komitee (IOC) tritt Jamali am Samstag (16 Uhr) in der Gewichtsklasse bis 81 Kilogramm an. "Unglaublich glücklich, aber auch aufgeregt" sei sie nach der Einladung durch das IOC gewesen, sagt Jamali.
Außer Jamali schafften es keine Gewichtheber von Deutschland nach Paris
Auch der Bundesverband Deutscher Gewichtheber (BVDG), der die Iranerin betreut, hat Grund zur Freude. Nachdem alle anderen BVDG-Athletinnen und -Athleten den Sprung nach Paris verpasst hatten, sorgt zumindest die Iranerin aus Mutterstadt für ein wenig deutsches Flair in der Pariser Arena Süd 6.
In Frankreich will die 19-Jährige jede Sekunde auf der olympischen Bühne nutzen. Zum einen ist da natürlich der Sport, eine neue persönliche Bestleistung das Ziel.
Doch Jamali will auch über den Wettkampf hinaus ein deutliches Signal senden. "Ich möchte zeigen, wie stark eine Frau sein kann, nicht nur körperlich, sondern auch mental", betonte die 19-Jährige.
In Mutterstadt fiebert der ganze Verein mit
"In Mutterstadt sind wir stolz, Yetka in Paris zu sehen", berichtet Stefan Mohr vom AC. Jamali sei von Nationaltrainer Almir Velagic bestens vorbereiten worden. Er hoffe, dass sie in sechs gültigen Versuchen ihre Bestleistung zeigen und sich gut präsentieren wird. Um anschließend richtig durchzustarten.
Der Livestream steht stehe schon bereit. "Das ganze Team fiebert mit, der ganze Verein, wenn nicht sogar ganz Gewichtheber-Deutschland. Schließlich ist sie unsere einzige Starterin."
Dass sie in Paris ohne weitere deutsche Gewichtheberinnen und Gewichtheber antritt, sei ein kleiner Wermutstropfen für Jamali. "Ich hätte mich sehr gefreut", gibt sie zu und wünscht sich, dass es nächstes Mal anders aussieht.
Für Stefan Mohr ist Yekta Jamali eine Medaillenhoffnung für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles. Sie hofft, bis dahin eingebürgert zu sein und die Flagge ihrer neuen Heimat hochzuhalten.
Wenn alles gut läuft, könnte es bereits in einem Jahr soweit sein. "Als deutsche Staatsbürgerin kann Yetka dann richtig durchstarten", freut sich Mohr. Jamali habe gute Aussichten auf einen Platz im Nationalkader und dem Förderprogramm der Bundeswehr.
Sportlerinnen werden in Iran unterdrückt
Mutige Frauen gehen seit über einem Jahr auf die Straßen Irans, um für Ihre Rechte zu demonstrieren. Dabei riskieren sie teilweise ihr Leben. Gewaltsame Festnahmen und Folter stehen laut Menschenrechtsorganisationen auf der Tagesordnung. Auch Sportlerinnen werden unterdrückt.
Keine ausreichenden Trainingsmöglichkeiten, unpraktische Bekleidungsvorschriften und ein Gehalt, das nur einen Bruchteil dessen beträgt, was männliche Athleten erhalten. Selbst wenn sie so erfolgreich sind wie Yekta, die 2021 die erste WM-Medaille für den Iran überhaupt gewann - Bronze bei der Junioren. Eine Kollegin von Yekta bekam umgerechnet nur 90 Dollar für drei Jahre Leistungssport.
Nach der Flucht in der Pfalz Fuß gefasst
Trotz der Sorge um Mutter, Vater und die vier Geschwister, war die Rückkehr für Jamali nie eine Option. In Deutschland fühle sie sich frei und sicher, könne sich nun eine Zukunft aufbauen. Mit der Ankunft in Deutschland begann "ein komplett neues Leben" für Jamali, sie fühlte sich "wie ein neugeborenes Kind".
"Wenn ich hebe, fühle ich mich richtig gut. Ich fühle mich sehr stark. Mein Vater und meine Mutter haben mir immer gesagt: Eine Frau muss stark sein. Beim Gewichtheben fühle ich mich einfach so glücklich", erzählt Jamali.