Wie steht es um das gesellschaftliche Miteinander in Deutschland? Wer sorgt am ehesten dafür, dass dieses Land zusammenhält? Antworten gibt eine exklusive repräsentative Umfrage.
Es steht nicht gut um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle repräsentative Umfrage des Berliner Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag der ARD. Nach der Corona-Krise bestimmen Zukunftssorgen und Verteilungskonflikte das Bild. Seit Amtsantritt der Ampel-Koalition hat sich demnach der gesellschaftliche Zusammenhalt sogar noch verschlechtert. Doch die Sorgen im Großen stärken den Zusammenhalt im Kleinen. Und während Kirchen und Parteien für den Zusammenhalt der Gesellschaft eine kleine Rolle spielen, sehen drei Viertel der Befragten im Vereinsleben den Ort, an dem gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht.
- Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Deutschland
- Zusammenhalt unter der Ampelregierung
- Wer leistet Beitrag für Zusammenhalt in Deutschland?
- Zusammenhalt durch Social Media
- Miteinander im privaten Umfeld
- Konflikte zwischen unterschiedlichen Gruppen
- Debattenkultur in Deutschland
- Sorgen der Deutschen
- Alle Grafiken der Umfrage im Überblick
Ostdeutsche sehen Zusammenhalt stärker gefährdet als Westdeutsche
Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, dass es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Menschen im Land nicht zum Besten steht. 64 Prozent der Befragten halten den Zusammenhalt insgesamt für schlecht. In Ostdeutschland ist die Bewertung mit 74 Prozent noch kritischer. Auch bei den jüngeren Menschen (18 - 34 Jahre) ist die Zahl derer, die den Zusammenhalt in Deutschland als schlecht empfinden, mit 73 Prozent deutlich höher als im Durchschnitt aller Befragten.
Ampel-Koalition kann Zusammenhalt nicht verbessern
Seit Amtsantritt der Bundesregierung in der Ampel-Koalition hat sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland eher verschlechtert. 49 Prozent der befragten Wahlberechtigten in Deutschland teilen diese Einschätzung, weitere 43 Prozent sehen keine große Veränderung seit Dezember 2021, aber nur vier Prozent der Befragten geben an, der Zusammenhalt in der Gesellschaft habe sich seither verbessert. Anhängerinnen und Anhänger der Oppositionsparteien halten die Verschlechterung für besonders drastisch: Bei den Parteianhängern der AfD sehen sogar 83 Prozent eine Verschlechterung des Zusammenhalts seit Amtsantritt des Kabinetts von Kanzler Olaf Scholz (SPD).
Aber auch jeweils etwa ein Drittel der Anhänger der Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sehen eine Verschlechterung des gesellschaftlichen Miteinanders seit vergangenem Dezember. Eine Aussage darüber, ob die politischen Entscheidungen der Bundesregierung oder schlicht die jüngsten Probleme wie Ukraine-Krieg, hohe Inflation und steigende Energiepreise für die wahrgenommene Verschlechterung des Zusammenhalts verantwortlich sind, lässt sich aus der Umfrage allerdings nicht eindeutig ableiten.
Zusammenhalt entsteht im Verein, weniger bei Kirche und Parteien
Auffällig ist, dass Institutionen, die traditionell als wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gesehen werden, sehr unterschiedlich beurteilt werden. Besonders schlecht schneiden Kirchen, Politik und Parteien ab. Die Kirchen spielen laut Umfrage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt heute nur noch eine vergleichsweise kleine Rolle: 27 Prozent der Befragten geben an, die Kirchen leisteten hier einen angemessenen Beitrag. Auch Politik und Parteien tragen für nur 28 Prozent zu einem Miteinander in der Gesellschaft bei.
Den Gewerkschaften attestieren dagegen 49 Prozent der Befragten, den Zusammenhalt zu fördern. Auch in Ostdeutschland, wo der Organisationsgrad der Gewerkschaften geringer ist als in den westlichen Bundesländern, sehen das 45 Prozent der Befragten so. Die mit Abstand wichtigste Institution für das Wir-Gefühl in Deutschland sind Sportvereine, Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Mehr als drei Viertel der Befragten sehen hier den Ort, an dem gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht.
Social Media macht Sorgen größer und die Welt schlechter
Eine Beobachtung, die sich durch alle Fragen zieht: Wer häufig Social Media nutzt, sieht die Konflikte tendenziell bedrohlicher und die Welt schlechter an als andere. So ist die Beurteilung des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei den Befragten, die viel Social Media nutzen, noch kritischer als beim Durchschnitt: 75 Prozent bewerten das Miteinander als schlecht oder sehr schlecht. (Durchschnitt der Befragten: 64 Prozent).
Gleichzeitig sehen jene, die Social Media häufig nutzen, die Debattenkultur noch etwas negativer als die Gesamtheit der Befragten. Intensive Social Media-Nutzerinnen und -Nutzer haben größere Sorgen, wenn es um eine direkte deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg, die steigenden Preise, den Verlust des Arbeitsplatzes oder um Unruhen und Gewalt auf den Straßen wegen steigender Energiepreise geht. Das Miteinander im direkten privaten Umfeld jedoch bewerten häufige Nutzerinnen und Nutzer von Social Media sogar noch etwas positiver als der Durchschnitt der Befragten.
Zeitungen, Fernsehen und Radio genießen Vertrauen - noch
Kritisch, mit einer positiven Tendenz, werden die klassischen Medien Zeitungen, Fernsehen und Radio gesehen. Mit 48 Prozent der Befragten ist der Anteil derer, die der Meinung sind, diese Medien trügen angemessenen zum Miteinander bei, noch vier Prozentpunkte höher als der Anteil jener, die nicht dieser Überzeugung sind.
In Ostdeutschland ist das Verhältnis allerdings umgekehrt. Hier sind 59 Prozent der Befragten der Meinung, die klassischen Medien leisteten keinen angemessenen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dafür sehen die Befragten in den ostdeutschen Bundesländern Online-Medien positiver als im Westen. Insgesamt ist aber in Ost wie West die Mehrheit der Befragten der Meinung, Social Media und Internet leiste keinen angemessenen Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander.
Sorge im Großen, Zusammenhalt im Kleinen
Auffällig ist, dass die Einschätzungen kritischer oder negativer ausfallen, wenn es um das große Ganze geht, im direkten Umfeld dagegen wird der Zusammenhalt deutlich positiver eingeschätzt. So sagen neun von zehn Befragten, in ihrer Familie und im Freundeskreis sei das Miteinander gut. Fast drei Viertel stellen in ihrer Gemeinde ein gutes Miteinander fest. Eine Mehrheit der Befragten gibt an, der Zusammenhalt vor Ort werde durch mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger gestärkt.
Konflikt zwischen Arm und Reich als wichtigstes Thema
In allen Gesellschaften gibt es Gegensätze und Spannungen – auch in der deutschen. Drei Viertel der Befragten sind der Meinung, zwischen Arm und Reich gebe es in Deutschland große Konflikte. Auch hier ist die Einschätzung im Osten Deutschlands mit 85 Prozent kritischer als im Westen. Die Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der Corona-Maßnahmen werden trotz abflauender Pandemie von 72 Prozent als großes Konfliktthema wahrgenommen, gefolgt von der Migration: Fast zwei Drittel der Befragten sehen große Konflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Die Gegensätze zwischen Ost und West oder Stadt und Land sowie das Verhältnis von Alt und Jung werden dagegen als weniger stark ausgeprägt wahrgenommen, so die Studie.
Wenig Interesse an anderen Meinungen, Randthemen bestimmen Debatten
Unterschiedliche Meinungen gehören zu einer pluralistischen Gesellschaft. In Debatten werden sie ausgetauscht, man lernt von der jeweils anderen Seite und am Ende steht ein Kompromiss. Dieser Meinung sind allerdings nur 44 Prozent der Befragten in Deutschland – 48 Prozent sehen das nicht so. Auch hier: in Ostdeutschland sind die kritischen Werte in der Regel höher.
Besonders kritisch wird jedoch in ganz Deutschland die Art und Weise gesehen, wie diese Debatten geführt werden. Fast drei von vier Befragten finden, es gehe in Debatten mehr um Selbstdarstellung als um Inhalte. 51 Prozent geben an, Debatten würden nicht fair und respektvoll geführt, 70 Prozent sagen, an der Meinung der anderen Seite gebe es zu wenig Interesse. Fast zwei Drittel sind überzeugt, diese Debatten über drängende politische und gesellschaftliche Fragen in Deutschland würden sich zu häufig mit Randthemen beschäftigen.
Ukraine-Krieg bringt die Zukunftsangst zurück
Der russische Angriff auf die Ukraine hat massive Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft. Mehr als die Hälfte der Befragten sorgt sich, dass Deutschland direkt in den Krieg mit der Ukraine hineingezogen werden könnte. Mit 67 Prozent der über 65-Jährigen ist die Sorge bei den Älteren besonders groß, aber auch bei den Jüngeren (18 - 34 Jahre) fürchten 57 Prozent eine Ausweitung des Ukraine-Kriegs auf Deutschland.
Die direkten Auswirkungen des Krieges wie steigende Energiepreise und hohe Inflation führen dazu, dass immer mehr Menschen große Sorgen haben, dass sie ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Waren es bei Erhebung für die Umfrage der Themenwoche Ende Oktober noch 54 Prozent, weist der aktuelle Deutschlandtrend für November (in Grafik für diese Frage dargestellt) bereits einen Wert von 66 Prozent aus. 61 Prozent fürchten, dass es auf den Straßen Deutschlands wegen der hohen Energiepreise zu Unruhen oder sogar Gewalt kommen könnte. Dagegen haben aktuell mit 14 Prozent nur wenige Menschen die Sorge, ihren Arbeitsplatz zu verlieren.