Genetische Faktoren und Umwelteinflüsse spielen zusammen, wenn es darum geht wie musikalisch ein Mensch ist. Doch wie genau funktioniert das? Ralf Caspary hat im Wissenschaftsmagazin SWR2 Impuls mit Verhaltensgenetikerin Dr. Miriam Mosing gesprochen.
Genetische Hinweise auf musikalisches Talent
Dr. Miriam Mosing, Verhaltensgenetikerin am Frankfurter Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik: Wir haben die genetische Struktur untersucht und geschaut, ob bestimmte Gene voraussagen können, wie musikalisch ein Mensch ist. Die Ergebnisse sind aber nicht ganz auf dem individuellen Level anwendbar. Wir können nicht bei einem Menschen voraussagen: Dieser Mensch wird einmal musikalisch. Das ist auch nicht die Idee dahinter.
Man kann aber schon sagen, ob ein Mensch verglichen mit anderen genetisch gesehen mehr oder weniger musikalisches Talent hat. Was das für das richtige Leben heißt, ist eine andere Frage.
Vorstudie: Taktgefühl als Indikator für Musikalität
Ralf Caspary: Was heißt im Bezug auf Ihre Studie "musikalisch"?
Miriam Mosing: Wir haben zuerst eine Vorstudie zusammen mit einer amerikanischen Firma gemach. Dabei wurden mehr als 500.000 Amerikaner gefragt, ob diese denken, dass sie zu einem Beat klatschen können. Das ist natürlich eine extrem einfache Frage und vielleicht kein guter Indikator, ob jemand musikalisch ist oder nicht.
Diese Menschen haben uns dann auch ihre DNA zur Verfügung gestellt. Dann haben wir geschaut, ob bestimmte Gene vorhersagen können, ob diese Menschen eher Ja oder Nein auf diese Frage antworten.
Genetischer Score soll Musikalität vorhersagen
Miriam Mosing: Wir haben dann die Studienergebnisse aus den USA genommen und bei 5.000 schwedischen Zwillingen basiert auf deren DNA ein genetischen Score berechnet. Der sollte voraussagen, ob die Menschen denken, dass sie zu einem Beat klatschen können oder nicht.
Diesen genetischen Score haben wir dann benutzt, um auch zu schauen, ob er auch andere Dinge bezüglich der Musikalität voraussagt. Wir haben gemessen, wie gut die Teilnehmenden Tonhöhen, Melodien und Rhythmen auseinanderhalten können und wie gut sie ihren Finger zu einem Rhythmus bewegen können. Abgefragt wurde auch, ob und wie lange die Teilnehmenden Musik spielen, wann sie damit angefangen haben, Musik zu spielen, wie viel sie üben, und sogar, ob sie aktiv im Tanz sind.
Auch Umwelt und Erziehung spielen eine Rolle
Ralf Caspary: Warum wurde die Studie gerade an Zwillingen durchgeführt?
Miriam Mosing: Eineiige Zwillinge sind für uns spannend, weil sie genetisch identisch sind und sie wachsen beide im gleichen Haushalt auf, teilen ihre Umwelt. Und dann, wenn wir Zwillinge benutzen, dann können wir sehr genau Kausalitäten testen. Wir können schauen, ob Kinder, die in einer musikalischen Umgebung aufwachsen, dann auch tatsächlich als Erwachsene musikalischer sind als andere.
Das eine Musiker-Gen gibt es nicht
Ralf Caspary: Wo liegt dieser genetische Abschnitt, den Sie für diese Musikalität identifiziert haben?
Miriam Mosing: Das ist komplett verteilt. Früher hat man gedacht, dass es bestimmte Gene für komplexe Verhalten gibt. Das ist aber nicht so. Man findet Hunderttausende von Genen, die alle einen winzig kleinen Effekt haben. Das ist auch ein Grund, warum wir komplexe Verhalten sehr schwer basiert auf einem individuellen Level vorhersagen können.
Eltern geben Musikalität durch Gene und Erziehung weiter
Ralf Caspary: Würden Sie letztlich vor dem Hintergrund Ihrer Studie sagen, dass musikalisches Talent sehr stark genetisch bedingt ist?
Miriam Mosing: Nein. Das basiert nicht nur auf unserer Studie sondern auch auf anderen Studien, die zeigen, dass ungefähr die Hälfte der Musikalität genetisch bedingt ist und die andere Hälfte umweltbedingt. Wir konnten jetzt aber zum ersten Mal zeigen, dass unsere Umwelt, also Faktoren aus der Kindheit, nicht ganz unabhängig von unseren Genen sind. Das heißt, dass Kinder, die eine Neigung zur Musik haben, auch eine größere Wahrscheinlichkeit haben, in einer musikalischen Umgebung groß zu werden. Das liegt daran, dass die Eltern auch diese genetische Veranlagung haben und diese weitergeben, aber auch dieses Umfeld für ihre Kinder schaffen.
Förderung auch ohne genetische Disposition sinnvoll
Ralf Caspary: Kann man im Umkehrschluss sagen: Wenn diese genetische Disposition nicht vorliegt, dass Frühförderung trotzdem zur Musikalität führen kann durch ein anregendes Umfeld zum Beispiel?
Miriam Mosing: Genau. Wir würden nicht vorschlagen, dass man basierend auf dem genetischen Score entscheidet, ob ein Kind Musik machen darf oder nicht. Es ist eher so, dass Kinder gut selbst auswählen, was für sie gut ist. Man sollte durchaus jeden üben lassen.