2050 soll die Einlagerung hochradioaktiver Abfälle beginnen
So etwas ist wirklich selten: Ohne Gegenstimme haben Bundestag und Bundesrat den Fahrplan für die Suche nach einem atomaren Endlager in Deutschland beschlossen. Tief unter der Erde soll es entstehen. Wo der beste Standort dafür ist, soll bis 2031 nach rein wissenschaftlichen Kriterien auf einer weißen Landkarte festgelegt werden. 2050 kann dann die Einlagerung der hochradioaktiven Abfälle beginnen. So der Plan. Jeder Zwischenschritt soll umfassend begründet und die Öffentlichkeit beteiligt werden.
Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Steffen Kanitz leitet die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) im niedersächsischen Peine. Mit ihren fast 2.000 Angestellten ist sie für die geologischen Erkundungsarbeiten und die Bewertung ihrer Ergebnisse zuständig. Unstrittig ist, dass der Atommüll in den Tiefen massiver Gesteinsschichten endgelagert werden muss. Im ersten Schritt werden alle Regionen von der weißen Landkarte gestrichen, die über gar kein geeignetes Gesteinsvorkommen verfügen.
Granit, Ton oder Salz: Jedes Gestein hat Vor- und Nachteile
Bremen beispielsweise steht auf einem besonders großen Salzstock. Und Salzstöcke galten in Deutschland lange als bester Standort für ein nukleares Endlager. Grundsätzlich kommen aber auch zwei andere Gesteinsarten in Frage: Ton und Granit. Jedes Gestein hat Vor- und Nachteile. Granit ist sehr fest, bildet aber Risse, in die Grundwasser eindringen kann. Ton ist so weich, dass er ausgetretene radioaktive Teilchen fest umschließt; er löst sich nicht in Wasser, leitet aber Wärme schlecht ab.
Salz wiederum ist ein guter Wärmeleiter und so fließend, dass es entstehende Risse eigenständig abdichtet. Doch Salz ist wasserlöslich. Während Finnland, Schweden und Tschechien ihre Endlager im Granit bauen wollen, setzen Frankreich, Belgien, Ungarn und die Schweiz auf Tongestein. In Deutschland sollen seit dem Neustart der Endlagersuche Granit, Ton und Salz gleichberechtigt untersucht werden.
Infrage kommende Landkreise werden Ende September 2020 veröffentlicht
Am 28. September 2020 will die BGE eine Liste der Gebiete veröffentlichen, die nach Anwendung all dieser Ausschlusskriterien noch als Endlagerstandort in Frage kommen könnten. Von den rund 300 deutschen Landkreisen werden mindestens zehn und höchsten 100 auf dieser Liste stehen, sagt Steffen Kanitz, mehr verrät er nicht. Alle Bundesländer könnten betroffen sein, selbst Großstädte. Denn niemand weiß, wie sich Siedlungsstrukturen innerhalb der nächsten Million Jahre entwickeln werden.
Deutschlands größtes Umweltproblem
In Deutschland verlangt das Standortauswahlgesetz aus dem Jahr 2017, dass es nach dem Ende der Einlagerung noch für 500 weitere Jahre möglich sein muss, den nuklearen Abfall aus dem Untergrund wieder heraufzuholen. Wie schwierig das in der Praxis ist, erlebt Deutschland gerade im niedersächsischen Salzbergwerk Asse – schon vor zehn Jahren in einer ZDF-Dokumentation als größtes Umweltproblem Deutschlands eingeordnet.
Von 1967 bis 1978 wurden fast 50.000 Tonnen nuklearer Abfälle in einfachen Metallfässern in die Asse gebracht. Doch schon bald gab es Wassereinbrüche, Fässer rosteten, radioaktiv verseuchte Salzlauge breitete sich aus und Teile des Bergwerks drohten einzustürzen. Schließlich musste der Bundestag 2013 die Rückholung aller Abfälle beschließen. Ein Milliardenvorhaben, das aufgrund technischer Probleme noch immer nicht begonnen hat.
In Finnland herrscht trotz solcher Bedenken überraschende Einigkeit in der Endlagerfrage, selbst unter Umweltaktivisten. Der 35-jährige Klimawissenschaftler Atte Harjanne wurde 2019 als Abgeordneter der Grünen ins finnische Parlament gewählt. Er kann sich sogar vorstellen, dass Finnland künftig auch Atommüll aus anderen europäischen Ländern in Olkiluoto einlagert. Atommüll als Handelsgut? Selbst Juha Aromaa, der Sprecher von Greenpeace Finnland, winkt nicht sofort ab.
Deutschland als Atommüllspeicher für ganz Europa?
Schließlich gibt es in Europa auch Länder, die zwar Atomkraftwerke betreiben, bisher aber überhaupt keine Idee haben, wo sie den damit erzeugten nuklearen Abfall auf Dauer lassen könnten, zum Beispiel die Niederlande. Tatsächlich lässt eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2011 den Export von Atommüll auf Grundlage bilateraler Verträge ausdrücklich zu.
Dass Deutschland von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, wird im Standortauswahlgesetz von 2017 zwar ausdrücklich ausgeschlossen. Doch wenn irgendwann nach einer europäischen Lösung für das strahlende Problem gesucht würde, dann könnte sich aufgrund der guten Geologie der Blick sogar auf Deutschland richten, prophezeit BGE-Geschäftsführer Steffen Kanitz. Kaum denkbar, dass sich so etwas im Land des Atomausstiegs durchsetzen ließe.
Genehmigung für Zwischenlager Gorleben läuft bereits 2034 aus
Derzeit lagert in Deutschland noch ein gutes Drittel aller abgebrannten Brennstäbe in Abklingbecken direkt neben den Reaktoren – auch neben längst stillgelegten. Erst wenn die kurzlebige Strahlung nach rund fünf Jahren niedrig genug ist, werden die Brennstäbe unter Wasser in Castorbehälter verpackt, luftdicht versiegelt und in eines der 16 deutschen Zwischenlager gebracht. 14 befinden sich direkt auf einem AKW-Betriebsgelände, dazu kommen die beiden zentralen Zwischenlager Ahaus und Gorleben. Keines hat eine Genehmigung bis 2050, dem geplanten Zeitpunkt für die Inbetriebnahme eines deutschen Endlagers. In Gorleben läuft die Genehmigung sogar schon 2034 aus.
Die Zwischenlager, in denen sich der Nuklearmüll derzeit befindet, sind jedenfalls nicht als Dauerlösung geeignet. Schon heute bieten ihre meist schlichten Betonwände keinen ausreichenden Schutz vor einem gezielten Terrorangriff. Das wird auf der Website des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit bestätigt. Einige Zwischenlager seien bereits nachgerüstet, Details über das Wo, Wann und Wie sind allerdings geheim.
Zusätzliche Sicherheit für die Zwischenlager und umfassende Beteiligung bei der Endlagersuche – diese Forderungen werden die AKW-Gegner vertreten, wenn die Liste der potenziell für ein Endlager geeigneten Landkreise in wenigen Tagen veröffentlicht und dann vor allem öffentlich diskutiert wird.