Sie begründet diese Aussage in vier Kapiteln mit den Überschriften „Schuld“, „Dankbarkeit“, „Freundschaft“ und „Verletzlichkeit“, um dann im Schlusskapitel zu beschreiben, was nach ihrer Einschätzung ein – wie sie es nennt – „gutes Kind“ kennzeichnet. Ein „gutes Kind“ bemühe sich im Erwachsenenalter um ein konstruktives Miteinander in seiner Herkunftsfamilie und schütze die dort gegebenen Glücksmöglichkeiten, allerdings nicht aus Pflichtgefühl, sondern aus Interesse daran, die einzigartige Beziehung zu den Eltern bereichernd zu gestalten. Man könnte das so verstehen: Wir schulden unseren Eltern und uns gleichermaßen, dass wir uns sorgsam um einander bemühen. Sollte das jedoch keine zufriedenstellenden Ergebnisse zeitigen, so Bleisch, schulden Söhne und Töchter ihren Eltern nur das, was anderen auch zusteht: Respekt. Der erweist sich darin, nicht unnötig zu verletzen oder Vertrauen zu missbrauchen.
Schuldgefühle, aber auch Dankbarkeit belasten das Verhältnis
Besonders wichtig dürften für alle jene, die sich mit Schuldgefühlen herumplagen, die Ausführungen der Autorin zum Thema Schuld sein. Kinder haben nicht darum gebeten, geboren zu werden. Sie können ihren Eltern dankbar sein für ihr Leben, aber sie stehen nicht in deren Schuld, schreibt Bleisch, weil das voraussetzen würde, einen von beiden Seiten bewusst geschlossenen Vertrag einzugehen. Gäbe es einen solchen, müssten darin die Leistungen der Eltern definiert und Mängelrügen statthaft sein.
Aber gerade bei der Frage, was in der gemeinsamen Vergangenheit gut war und was schlimm, liegen die Einschätzungen von Kindern und Eltern oft weit auseinander. Belastende Kindheiten zerstören die Liebe zu Vater und Mutter; sie durch Pflichtgefühle ersetzen zu wollen, führt bloß zu neuem Unglück. Deshalb ist es kontraproduktiv, von Erwachsenen, die sich von ihren Eltern distanziert haben, Dankesschuld oder Pflichterfüllung zu verlangen.
Psychologische Aspekte werden bewusst ausgeklammert
Barbara Bleisch bezeichnet ihr Buch als „philosophische Untersuchung“. Sie möchte Vorurteile auf den Prüfstand stellen und Denkanstöße geben. Nach einem etwas holprigen Beginn ihres schmalen Buches gelingt ihr das gut. Die Stärke ihres leicht zu lesenden Textes liegt in der Konzentration auf säkulare ethische Argumente. In dieser selbstgewählten Begrenzung könnte man allerdings auch eine Schwäche sehen, denn es sind ja vor allem psychologische Aspekte und kulturell tradierte Vorstellungen, die Familienbeziehungen oft so schwierig machen.
Dennoch ist es anregend, dass Barbara Bleisch fragt, ob sich lebenslange Ansprüche von Eltern an ihre Kinder heute noch ethisch begründen lassen. Schon Immanuel Kant hat das verneint. Er forderte, Eltern müssten „ihre unmündigen Kinder so früh wie möglich zur Mündigkeit erziehen und sie unverzüglich in ihre Freiheit als ‚Weltbürger‘ entlassen.“ Bleisch zeigt mit diesem über 200 Jahre alten Zitat, wie haltbar unsere Moralvorstellungen sind. Gleichzeitig haben aber neue Ideen und Erkenntnisse durchaus zu Änderungen in unseren engsten Beziehungen geführt: Körperstrafen, vor nicht allzu langer Zeit noch völlig selbstverständlich, sind heute Gesetzesverstöße.
Warum es gut ist, unsere Moralvorstellungen auch weiterhin in Frage zu stellen, begründet Barbara Bleisch unter anderem so: Nur Familien, die auf Eigenverantwortung und Freiwilligkeit setzen, können das erleben, wonach sich alle sehnen: liebevolle Verbundenheit, die sowohl Halt und Gemeinschaft gewährt als auch Freiheit für Entwicklungs- und Reifeprozesse.
Carl Hanser Verlag
206 Seiten
18 Euro