„Komm! ins Offene, Freund!“, rief einst Friedrich Hölderlin (1770–1843) in seinem Gedicht Der Gang aufs Land, und wie ein Motto scheint dieser Ruf über dem ausgehenden 20. Jahrhundert widerzuhallen.
Das Fragmentarische der Hölderlin‘schen Lyrik, die Verrätselung der Wahrnehmungen und Bezüge, die geradezu mythische Sehnsucht nach dem fern verlorenen Goldenen Zeitalter in einer als chaotisch empfundenen Gegenwart, die romantische Nähe zum Irrationalen – alles dieses prädestinierte Hölderlin offenbar, zur Künstler-Ikone dieser Zeit zu werden.
Zumindest die Komponisten der späten 1970er bis 1990er Jahre berufen sich in ihren Werken wieder und wieder auf den Dichter (u. a. Heinz Holliger, Scardanelli-Zyklus, 1975–1991, Hans Zender, Hölderlin lesen I-IV, 1979–2000, Walter Zimmermann, Hyperion, 1989/90, Georg Friedrich Haas, Nacht, 1996/96), und dies mit einer gewissen Sogwirkung.
Luigi Nonos Streichquartett Fragmente. Stille – An Diotima (1979/80) etwa, in das der Komponist Fragmente Hölderlin‘scher Dichtung hineinschrieb, zog einen ganzen Rattenschwanz neuer, mehr oder minder Hölderlin-verrätselter Streichquartette nach sich.
Ähnlich den Verfahren mancher postmoderner Architektur wird Hölderlins Dichtung vielfach auch zur Fassade vor dem eigentlich Klingenden; scheinen eine Textpassage oder der Werktitel einer Komposition „nach Hölderlin“ dieselbe gleichsam zu adeln, aber nicht unbedingt zu beeinflussen.
Die Frage, ob in manchen Kreisen Komponieren „ohne Hölderlin“ überhaupt noch möglich sei, schien in den 1990er Jahren virulent.
Der Komponist Nicolaus A. Huber antwortete konstruktiv mit einem Kammermusikstück für Kontrabass, Klavier und mindestens zwei Tische: Ohne Hölderlin (1992).