Opernkritik

Erschütternd einfallslose Rameau-Oper in Berlin

Stand
Autor/in
Maria Ossowski
Onlinefassung
Jennifer Silaghiu

Von Maria Ossowski

An der Staatsoper unter den Linden in Berlin feierte am 25. November Rameaus Barockoper "Hippolyte et Aricie" Premiere. Die Interpreten waren hinreißend, die Regie zeigte sich allerdings erschütternd einfallslos, meint Maria Ossowski.

Sänger, Simon Rattle und Freiburger Barockorchester hinreißend

Es ist eine Premiere nach 275 Jahren: der erste Rameau in der Staatsoper. Das hätte eigentlich perfekt passen müssen. Eine Barockoper in einem Barockhaus mit einem Barockorchester und erstklassigen Solisten, einem Stardirigenten und einem weltberühmten Künstler als Bühnenbildner. Was kann da schon schief gehen?

Leider sehr viel, zu viel für drei Stunden und das lag, dies vorneweg, weder an den hinreißenden Sängern noch an Simon Rattle mit dem Freiburger Barockorchester, einem perfekten Chor und hervorragenden Tänzern, sondern allein an der erschütternd einfallslosen Regie der britischen Choreografin Aletta Collins und einem erstaunlich langweiligen Lichttapeten-Bühnenbild des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson in Laserpointer-Ästhetik mit vielfarbigen Scheinwerfern, die durchs Publikum geistern, einer Discokugel, die von der Decke sinkt und dem uralten Trick, den Zuschauerraum zu spiegeln.

YouTube-Video mit Eindrücken aus der Produktion

Handlung hätte bei Netflix keine Chance

Die Story aus der griechischen Sagenwelt hätte bei Netflix keine Chance gehabt. Sie ist ziemlich länglich, die Cliffhanger sind Triller und Septimen, man braucht viel Vorwissen und am besten ein Einser-Abitur auf dem altsprachlichen Gymnasium. Hippolyte liebt Aricie, seine Stiefmutter liebt ihn, Aricie soll Tempelpriesterin der Diana werden, aber zum Schluss kriegen sich die beiden. Nachtigallen zwitschern, Trompeten schallen, alles wird gut.

Vergeigte Premiere

Für solch eine Handlung braucht es entweder saftige Regieeinfälle mit Witz, Charme und viel Barockzauber – wir denken an Barrie Koskys legendäre Monteverdi-Trilogie – oder die Oper läuft ab wie zu Rameaus Zeiten: die Zuschauer essen, trinken, plaudern, flirten, wandeln durch die Gänge und hören zwischendurch immer wieder eine Arie.

Nur eines geht nicht: vor schwarzem Raum in einem Netzwerk aus Scheinwerferstrahlen die Sänger mutterseelenallein ohne besondere Personenregie nebeneinander singen zu lassen und sich nur auf blinkende Paillettenkleider, irrlichternde Scheinwerfer, atomiumartig strahlenden Kopfschmuck oder goldene Glanzfolienkostüme zu verlassen.

Das sieht zwar dekorativ aus, aber nach zehn Minuten ist die Spannung raus, spätestens. Egal, wie herrlich Anna Prohaska und Reinoud van Mechelen sich die Liebe schwören. Es gibt einen Moment, da ist es der hohen dramatischen Kunst der Sopranistin geschuldet, dass die Bühnenlethargie kurz aufbricht. Und zwar, wenn Magdalena Kožená als Phädra Rache schwört und klagt.

Langeweile im Publikum

Kurzum: der olle Provokateur und grandiose Musiker Friedrich Gulda hat das Publikum klassischer Konzerte einmal "Weiheidioten" genannt, Leute, die "nur blödsinnig dasitzen". Bei dieser Inszenierung muss ich ihm recht geben. Eigentlich hätten wir essen, trinken, reden und flirten müssen, um die Langeweile zu überbrücken. Aber das wäre wieder den Sängern und Musikern gegenüber respektlos gewesen.

Also blieb nur das übliche Mittel: donnernder Applaus für Chor, Orchester, Dirigent und Solisten und viele Buhs für die Regie. Der Bühnenbildner, Lichtdesigner und Kostümbildner Olafur Eliasson hat sich nicht gezeigt, er hätte nicht gewusst, dass dies üblich sei, so hören wir später, aber er sei mit der Inszenierung sehr glücklich gewesen. Na, wenigstens etwas ...

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Maria Ossowski
Onlinefassung
Jennifer Silaghiu