Jeder Schlüssel öffnet die Tür zu einer „kleinen Heimat“
Ich habe eine besondere Bindung zu meinem Schlüsselbund. Ich weiß, für die meisten Menschen ist er eher ein Gebrauchsgegenstand, ein Mittel zum Zweck. Aber für mich ist er mehr, ein Symbol für Zugehörigkeit, und mit dieser habe ich lange gehadert. Das ist nichts Neues bei uns Migrant*innenkindern in der dritten Generation.
Mein Schlüsselbund musste sich nie für einen Schlüssel entscheiden. Er musste einzelne Schlüssel wieder abgeben und das tat manchmal weh. Aber dafür bekam er neue und irgendwann war das dann auch in Ordnung. Jeder Schlüssel repräsentierte eine Heimat. Kleine Heimaten, wie das Büro. Größere, wie das Haus meiner Eltern oder die Wohnung, in der ich mit meinem Mann lebe. Heimaten, die ich mir selbst geschaffen habe, wie das Theater, in dem ich mit meinem Autor*innenverein Literally Peace e. V. oder meiner Theatergruppe regelmäßig auftrete.
Der Schlüsselanhänger öffnet das Herz
Orte, in denen ich ein- und ausgehe, in denen ich willkommen bin, in denen ich Menschen vorfinde, die mich nicht fragen, ob ich mir sicher bin, ob ich dazugehöre. Natürlich tue ich das, warum sonst sollte ich einen Schlüssel haben?
Und irgendwo zwischen all den Schlüsseln ein einziger Schlüsselanhänger. Ein Geschenk, das ich in Griechenland erhielt und das ich mit der alten Heimat verbinde. Er öffnet keine Türen, aber dafür mein Herz, wenn ich damit in meiner Jackentasche spiele, oder er mir beim Aufschließen einer meiner vielen Heimaten wieder in den Blick fällt.
Die ganze Insel Samothraki riecht nach Oregano
Die Luft auf der Insel Samothraki, der Heimat meines Vaters, riecht nach Oregano.
Die Insel ist ein Berg, der aus dem Meer ragt. Im Vergleich zum Festland weht hier auch im Hochsommer ein angenehmer Wind und doch ist es warm und trocken genug, dass sich das Oreganogewächs wohl fühlt.
Nach dem Baden im Meer und vor dem Abendessen, wenn die Sonne tiefer stand, sind wir mit der ganzen Familie immer auf den Berg gefahren. Dort haben uns wilde Ziegen begrüßt, die in der Nachmittagssonne grasten und sich selten von uns stören ließen – wir waren immerhin in ihrem Reich. Papa zeigte uns, woran wir die Oreganozweige erkannten, und wir Kinder pflückten sie und stopften sie in Plastiktüten.
Auf der Terrasse in der Sonne wurden die Zweige dann getrocknet und anschließend wurde das Gewürz zwischen den Fingern zerrieben und wieder in Tüten gepackt. Der würzige Geruch begleitete uns den ganzen Sommer lang.
„Zurück in Deutschland wurden die Tüten wie kleine Schätze im kühlen Keller gelagert und der Oregano für die Küche in Dosen abgepackt. Es waren keine kleinen Gewürzdöschen, das würde sich nicht lohnen. Oregano kam bei uns in fast jedes Gericht, es war der Geschmack der Heimat“
Das ist er immer noch. Wann immer ich koche, stecke ich meine Nase in die Dose und atme den Geruch tief ein. Es riecht nach Sommer und Meer, nach Sehnsucht und nach Vertrautheit.