Ein Hörspielpreis wird auf einem Theaterfestival vergeben seit bereits drei Jahren. Das ist nicht selbstverständlich. Theater und Hörspiel sind unterschiedliche Plattformen für performative Kunst. Es geht bei beiden nicht zuletzt auch um die Kunst, unterhaltsam und nützlich für ein Publikum zu sein. Prodesse et delectare, um die „alte“ ars poetica des Horaz auf zwei Stichworte zu verkürzen, die auch für heute gelten dürften.
Dieselben sechs Texte wie beim „Autor:innenpreis“ stehen hier zur Auswahl, geschrieben von drei weiblichen Autoren, einen nicht-binären und zwei männlichen. Naturgemäß sind die Stücke sehr unterschiedlich. „Naturgemäß“, um Thomas Bernhardt zu zitieren, hatten die Jurymitglieder (vier Frauen, zwei Männer) ihre „favourits“. Gemäß den Statuten ist das Preisstück zu produzieren, geteilt werden kann die Preis-Summe nicht. Somit war es vornehme Pflicht der Jury, sich über einen „demokratischen Einigungsprozess“ zusammenzuraufen und am Ende doch mit großer Freude diesen Preis nur einem Text zuzusprechen. Den anderen hier nicht ausgezeichneten Stücken wünschen wir nicht minder Erfolg beim Publikum. Das möchte ich in Namen der Jury ausdrücklich betonen.
Vergessen wir nicht über‘s Geld zu reden: Der Text wird vom Südwestrundfunk angekauft für 5000 Euro, die Kosten der Produktion trägt der Sender, natürlich. Eine Wiederholung innerhalb von drei Jahren wird zugesagt zu einem Honorar von 75% des Preisgeldes; es werden nochmals 3750 Euro fällig. In toto und über die Zeit beläuft sich das Preisgeld somit auf 8750,-- Euro.
Der SWR2 Hörspielpreis 2023 im Rahmen des Wettbewerbs für deutschsprachige, bisher nicht uraufgeführte Werke beim 40. Heidelberger Stückemarkt geht an
„Doppeltreppe zum Wald“ von Lamin Leroy Gibba
Ort des Stückes ist ein in Deutschland gelegener Garten. Ob er ein utopischer oder paradiesischer ist, bleibt offen. Gärten sind nicht zuletzt Rückzugsräume, in denen sich gut feiern lässt. So findet in dem Garten eine Party statt. Zu der sind nur Leute eingeladen, die sich auszeichnen müssen – als Schwarz.
Bei Gibba ist diese Party aber der besondere Ort, an dem die Versammelten sich ungestört über ihr Leben austauschen wollen. Innerhalb ihrer Community, ihrer Gemeinschaft. Sie haben verschiedene Berufe und sexuelle Vorlieben, sie sprechen über ihre moralischen Ansprüche und Lebensentwürfe. Möglichst solidarisch - trotz ihrer Unterschiede. Schließlich haben ihre individuellen Erfahrungen einen gemeinsamen Fluchtpunkt: sie leben als Schwarze Personen in Deutschland. Schnell wird aber auch klar: bei den Versuchen, wirklich miteinander zu reden, kreisen sie zumeist um sich selbst, treten selten wirklich in Kontakt zueinander in diesem „safer space“, den sie beschwören. Nur, weil Menschen eine ähnliche Hautfarbe haben, macht sie noch lange nicht automatisch zu ähnlichen Menschen, die einander bedingungslos verstehen. In diese wohlfeile Annahme sticht Gibbas Text hinein.
Ihm gelingt das Kunststück, das ernste Thema Rassismus gegenüber Schwarzen Menschen mit einer Leichtigkeit und, ja, mit Humor zu schildern, dass es eine Freude ist, den schnell aufeinander folgenden Szenen zu folgen. Die am Ende alle berührt. Denn Gibba kann szenisch schreiben. Pointiert schreiben. Das verlangt Handwerk wie Kunstsinn. Er lässt mit seinen Dialogen Menschen entstehen, die charmant, witzig, lebensliebeslustig und selbstironisch sind, aber ebenso verzweifelt, ernst, abwägend. Leidend. Mühelos jongliert er mit weiteren gegenwärtigen Diskursen, treibt sie sogar auf absurde Spitzen.
„Unterhaltung ist unsere Währung - das ist ein Motto des Stückes. Unterhaltsam und nützlich im besten Sinne und in bester Dramentradition ist Gibbas Theater- und Hörspieltext. So erfüllt er das Postulat aus der „alten“ Horazschen Ästhetik: „prodesse et delectare“ soll die wahre Kunst. Lamin Leroy Gibbas „Doppeltreppe zum Wald“ wünscht die Jury ein großes Publikum.
Heidelberg, den 7. Mai 2023
Die Jury mit Sapir Heller, Manfred Hess, Elvin İlhan, Christiane Lutz, Jürgen Popig und Ulrike Syha