Karl-Sczuka-Preis 1999

Preisträger

Stand

mit seiner Klangkomposition "Topophonia"

Pionier des Originalton-Hörspiels

Dem 1933 geborenen Londoner Hörspielmacher Barry Bermange, der als Dramatiker begann und auch als bildender Künstler arbeitet, ist schon vor drei Jahrzehnten eine Pionierrolle zugefallen. Damals gehörte er zu den ersten, die den Originalton für die künstlerische Arbeit im Radio entdeckt hatten. Und nicht eine Hörspielabteilung spielte dabei die Rolle des Auftraggebers, sondern das Feature Department in der Londoner BBC.

1964 befragte Bermange die verschiedensten Leute über ihre Träume und arrangierte das aufgenommene Material thematisch. Er schlüsselte es nach Motiven auf, die sich aus dem Material anboten: "Angst", "Landschaften", "Farben", "Wasser" und so weiter. - Dann kombinierte er die auseinandergeschnittenen Teile zu imaginären Traumsequenzen. Nicht wer hier träumte, war entscheidend, sondern die Gemeinsamkeit zwischen den Träumenden, die Töne und Untertöne ihrer Stimmen - der kollektive Charakter des Themas, der musikalische Aspekt des Materials. "Träume - Dreams" war die erste von vier Originalton-Montagen, die vor einem Vierteljahrhundert auch Hörspielmacher auf dem Kontinent auf neue Wege lockten.

Das Radio als Nachrichtenlieferant und Schallquelle

Der Zyklus dieser "Four Inventions for Radio" war eben abgeschlossen, als er 1969 nach Baden-Baden kam, um seine erste Arbeit für den SWF zu realisieren: "Neues vom Krieg", - eine sterophone Montage aus Tagesnachrichten und Radiomitschnitten zur Zeit des Vietnam-Krieges. Erstmals hat er hier das Medium seiner Arbeit selbst zum Thema gemacht: das Radio als Nachrichtenlieferant und als Schallquelle. Und schon damals hat es ihn gelockt, die Zufallsergebnisse des Kurzwellenempfangs durch Montage und Mischung in faszinierende Geräuschlandschaften zu verwandeln.

Während sich die Arbeit deutscher Hörspielmacher mit dem Originalton seit den siebziger Jahren zunehmend auf das (eher an Themen als an Formen orientierte) Feature zubewegte und heute tatsächlich eher in Feature- als in Hörspielprogrammen ihren Platz gefunden hat, ging der Londoner Pionier Barry Bermange einen anderen Weg. Er setzte auf den direkten Gefühlsausdruck von Geräuschen und Originaltönen, auf akustische Signale, die - wie die Musik - keine Übersetzung brauchen. So in "Radioville", 1987 mit dem Karl-Sczuka-Preis ausgezeichnet und entstanden aus einem Auftrag des WDR für ein Portrait der Stadt, in der er lebt. Das Ergebnis war keinerlei akustisches Sightseeing, keine kommentierte Begehung Londons, sondern eine Komposition aus konkreten und synthetisch erzeugten Klängen und Geräuschen, zu Klangflächen gemischt: das Portrait eines dunklen, unwirtlichen Molochs.

Beharren auf Mono-Technik

Während andere die neuen Digitaltechniken für rauschfreie Aufnahmen und exakteste Montage-Präzision nutzen, befürchtet Bermange die Sterilität einer rein technisch determinierten Medienkunst. Er beharrt eigensinnig auf der Mono-Technik seiner Anfänge. Und er verzichtet auf geläufige Rauschunterdrückungs-Systeme, die uns - wie er sagt - von der natürlichen Wahrnehmung entfernen, in der es keine unvermischten und rauschlosen Höreindrücke gibt. - Der ökologische Weltzustand hat für ihn auch seine akustische Seite, auf der die reinen Klänge der Kunst nur über den akustischen Müllberg hinwegtäuschen, der uns umgibt - und längst bedrohliche Ausmaße annimmt.

Darum jedenfalls, um den konzentrierten Ausdruck eines globalen Zustands, ging es 1993 auch in dem Schallspiel "Opera Mundi", das als Auftragswerks für den Südwestfunk entstand und inzwischen in einer CD-Edition vorliegt (New Edition: Winter & Winter). Eine Komposition von Geräuschfolgen, die ohne ein Wort auskamen. Eine verstummte Welt mit "Klangfenstern" nach draußen. Keine beschauliche und geschönte Klanglandschaft tat sich hier auf, sondern eine verwüstete. Als "Oper der Welt" war der Titel zu verstehen, aber auch als "Arbeit der Welt" an der eigenen Zerstörung.

Bermange hat die meisten seiner Radioarbeiten für ARD-Anstalten realisiert. Dabei haben sich drei Werkzyklen herausgebildet: neben Originalton-Kompositionen wie den genannten entstanden die kollektiven "Hörwerke für Stimmen", die auf zeitgeschichtlichen Dokumenten beruhen (darunter die WDR-Produktion "Warcries", 1981 ebenfalls mit einem Sczuka-Preis ausgezeichnet) und schließlich die "Artworks", vielstimmige Umsetzungen von Texten der literarischen Moderne.

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SWR