Landkreis-Partner von Freudenstadt betroffen

Nazi-Vergangenheit eines ehemaligen Landrats ans Licht geholt

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Autor/in
Peter Binder
Peter Binder ist Reporter für Hörfunk, Online und Fernsehen beim SWR im Studio Tübingen.

Seit 2002 sind Freudenstadt und Tomaszowski in Polen Landkreis-Partner. Jetzt offenbart ein Buch: Ein Freudenstädter Landrat war dort in der NS-Zeit für Gräueltaten mitverantwortlich.

Helmut Weihenmaier war von 1960 bis 1971 Landrat in Freudenstadt. Er galt als ordentlicher, sozial engagierter und kulturell interessierter württembergischer Verwaltungsbeamter. In Freudenstadt wusste man nicht, dass er während des Krieges NS-Kreishauptmann in Zamość gewesen war, außerdem Leiter der dortigen SA.

Als Kreishauptmann war Weihenmaier in der NS-Zeit auch zuständig für das Gebiet des heutigen Landkreises Tomaszowski in Südostpolen. Somit war er mitverantwortlich für Massenerschießungen und Massenvertreibungen; das Vernichtungslager Belzec lag gewissermaßen vor seiner Haustür, schreibt Ralf Bernd Herden in seinem jetzt erschienenen Buch über Helmut Weihenmaier.

Beim Landkreis-Partner in Polen Erschreckendes entdeckt

Buchautor Herden war Anfang der 2000-er Jahre Bürgermeister von Bad Rippoldsau-Schapbach und gehörte zu einer Delegation aus Freudenstadt im Partnerlandkreis, als ihm das Ortsschild von Belzec auffiel. Er wusste, dass die Nationalsozialisten dort ein Vernichtungslager eingerichtet hatten und recherchierte weiter. Im damals jüngst erschienenen "Personenlexikon des dritten Reiches" entdeckte er, dass der Name Weihenmaier sowohl mit Belzec, als auch mit Freudenstadt verbunden war. Denn Weihenmaier muss von Erschießungen dort gewusst haben - und später war er dann Landrat in Freudenstadt.

Ralf Bernd Herden hält im Stadthaus Freundenstadt sein neues Buch in der Hand. Er hat sich mit der Biografie von Helmut Weihenmaier beschäftigt.
Ralf Bernd Herden mit dem Ergebnis seiner jahrelangen Recherchen zu Helmut Weihenmaier am Abend der Buchvorstellung in Freudenstadt

Dass der Kreis Tomaszowski im Jahr 2002 Landkreis-Partner von Freudenstadt wurde, war zunächst reiner Zufall. Schwäbisch Hall war zu der Zeit auch dabei, eine Partnerschaft mit einem polnischen Kreis einzugehen, die Landräte unterhielten sich, und es hieß, der Nachbarkreis suche auch Freunde in Deutschland. So habe die Partnerschaft begonnen, erzählt Landrat Klaus Michael Rückert.

Regenwetter im August im Nordschwarzwald, aber die jungen Sportler aus dem polnischen Partnerkreis sehen zufrieden aus. Walter Trefz trägt seinen Försterhut und lacht herzlich.
Eine Kreis-Partnerschaft nicht nur auf dem Papier: Hier eine Delegation junger Sportler aus Polen 2006 auf dem Lotharpfad an der Schwarzwaldhochstraße. Links der legendäre Förster Walter Trefz.

Es sei eine echte Freundschaft daraus geworden, sagt Rückert. Die Feuerwehren tauschen sich aus, die Schulen, man besucht einander, mag einander. Als Rückerts Amtsvorgänger Peter Dombrowski überraschend starb, kam eine Delegation aus Tomaszowski zur Trauerfeier. Mit dem Flugzeug, denn für eine Busfahrt war keine Zeit. Für einen der Gäste, einen ehemaligen Landrat, war es der erste Flug seines Lebens. Er litt unter Flugangst. Trotzdem wollte er dem deutschen Freund die letzte Ehre erweisen.

Zuc und Dombrowski, beide lächelnd, überreichen einander ihre Urkunden. So hat die Freundschaft zwischen den Kreisen Tomaszowski in Südostpolen und Freudenstadt im Schwarzwald angefangen.
Der Beginn einer echten Freundschaft: Die Landräte Edward Zuc (Tomaszowski, links) und Peter Dombrowski (Freundenstadt, rechts) 2002 bei der Unterzeichnung des Partnerschaftsvertrags

Wie aber geht man den neu gewonnenen Freunden gegenüber mit dieser verhängnisvollen historischen Verflechtung namens Weihenmaier um? Man könnte ja geneigt sein, sie zu verschweigen, um die Freundschaft nicht zu gefährden. Das, meint Landrat Klaus Michael Rückert, wäre aber kein verantwortungsvoller Umgang mit der Geschichte gewesen.

Der Weg muss sein, dass man das professionell aufarbeiten lässt, und dann offen auch mit den Freunden dort darüber spricht und dann auch Wert darauf legt, dass die Schlüsse daraus gezogen werden. Nämlich vor allem ein 'Nie, nie wieder'!

Für Buch über Landrat Entnazifizierung überpüft

Ralf Bernd Herden hat zwei Jahrzehnte lang nach Feierabend und an Wochenenden recherchiert, hat alle möglichen Archive durchforstet und ein Buch über Helmut Weihenmaier geschrieben. Vieles ist nicht mehr eindeutig zu belegen. Herden hat aber Indizien dafür gefunden, dass bei der Entnazifizierung nach dem Krieg nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein könnte.

Zwei Entlastungszeugnisse zum Beispiel scheinen auf derselben Schreibmaschine getippt zu sein, obwohl sie von unterschiedlichen Personen stammen. Fest steht aber wohl, dass Weihenmeier einem kommunistischen Schul- und Jugendfreund aus Bad Urach geholfen hat, aus dem Konzentrationslager frei zu kommen.

Ein württembergischer Preuße, der bitter geblendet und getäuscht worden ist, und erst viel zu spät gemerkt hat, dass er durch das, was er tut, große Schuld auf sich lädt.

Herdens Buch "Helmut Weihenmaier. Vom NS-Kreishauptmann in Polen zum Landrat im Schwarzwald" ist jetzt im Kohlhammer-Verlag Stuttgart erschienen. Landrat Rückert will es auch den Schulen im Kreis zur Verfügung stellen. Denn Geschichtsunterricht wird viel greifbarer, wenn er sich zuhause verorten lässt.

Vor einer Partnerschafts-Fahne Tomaszowski-Freudenstadt und einer Flagge des Kreis Freudenstadt (mit dem Auerhahn) stehen Landrat Rückert, Autor Herden und Lektor Kritzinger.
Bei der Buchpräsentation in Freudenstadt (v.l.n.r.): Landrat Klaus Michael Rückert, Autor Ralf Bernd Herden, Lektor Peter Kritzinger (Kohlhammer-Verlag)

Die Aufarbeitung ist also soweit geleistet, wie es bei der derzeitigen Quellenlage möglich ist. Die polnischen Freunde haben, so Landrat Rückert, positiv reagiert. Sie seien zuerst auch schockiert gewesen. Sie betonten demnach, dass das furchtbar sei, und dass sie nicht vergessen könnten, was Deutsche in jener Zeit durch Gräueltaten bei ihnen angerichtet haben. Aber an der Freundschaft mit den Menschen, die jetzt im Landkreis Freudenstadt aktiv sind, wollten sie festhalten.

Keine schöne Geschichte - aber eine hoffnungsvolle

So betrachtet könnte man das alles auch als versöhnliche Geschichte lesen. Früher war Schuld, heute ist Freundschaft. Freudenstadts Landrat Rückert kann es aber nicht schön finden, sagt er. Noch nicht.

In der grausamen Tragik dieses Zufalls, den ich bis heute nicht begreifen kann, liegt eine riesengroße Chance, das gemeinsam mit unseren polnischen Freunden zum Anlass zu nehmen, die Freundschaft und die europäischen Beziehungen noch zu vertiefen. Und wenn das gelingt, dann ist zumindest ein Aspekt von 'schön' auch mit dabei.

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