Cyberstalking: jährlich 20.000 erfasste Fälle
Jahr für Jahr erfasst die Polizei um die 20.000 Stalking-Fälle, nachdem die Opfer Anzeige erstattet haben. Cyberstalking wird in der Statistik bisher noch nicht explizit ausgewiesen. Wie viele davon betroffen sind, ist daher unklar. Nur bei einem Bruchteil der Anzeigen kommt es überhaupt zu einer Verurteilung.
Seit Februar 2022: Meldepflicht für Drohungen – direkt ans BKA
Im Februar 2022 trat eine neue Meldepflicht in Kraft: Soziale Netzwerke sollen Androhungen von Mord und Vergewaltigung sowie andere schwere Hassdelikte nicht mehr nur löschen, sondern auch dem Bundeskriminalamt (BKA) melden. Ein Jahr danach hat SWR2 Wissen beim Bundeskriminalamt nachgefragt und erfahren: Die Diensteanbieter Google, Meta, Twitter und TikTok haben bisher keine einzige Meldung von strafbaren Inhalten gemacht, stattdessen aber gegen das Gesetz Klagen eingereicht.
Mittlerweile ist es ein ganzes Gesetzespaket, das Parlament und Regierung gegen Hass im Netz und digitale Gewalt geschnürt haben. Doch die neuen und verschärften Paragrafen haben noch Lücken. Messenger-Dienste wie Telegram werden nicht erfasst. Ein europäischer Digital Services Act, der die Plattformen regulieren soll, steht noch aus.
Größtes Defizit liegt in den Internetplattformen selbst
Fachleute geben vor allem zu bedenken: Diese neuen Gesetze müssen in der Praxis auch angewandt werden. So wie Josephine Ballon, Leiterin der Rechtsabteilung von HateAid, einer Organisation, die Opfern hilft, sich gegen digitale Gewalt zu wehren. Ballon sieht das größte Defizit darin, dass die Ermittlungsbehörden auf die freiwillige Mitwirkung der Social-Media-Plattformen angewiesen sind – dies oft ohne Erfolg.
Ermittlungsbehörden können sich alternativ dazu jedoch einer sogenannten Open-Source-Recherche bedienen, indem sie selbst das Netz nach Hinweisen auf den Täter durchsuchen.
Außerdem tue sich die Justiz in Cyberstalking-Fällen schwer, sagt Josephine Ballon. Häufig würden die Staatsanwaltschaften diese Ermittlungsverfahren im Netz nicht ernst nehmen. Die Verfahren würden schließlich eingestellt. Das führte bisher sogar dazu, dass Betroffene keine Strafanzeigen mehr erstatten, so Ballon.
Anlaufstellen: Beratungszentren und Stalking-Expertise finden
Einige Polizeidienststellen setzen sich jedoch intensiv mit digitaler Gewalt auseinander, beraten speziell zu Stalking und verfügen über eigene Abteilungen für Cyberkriminalität. Dazu zählt das "Kommissariat für Verhaltensorientierte- und Technische Prävention und Opferschutz" im Münchner Polizeipräsidium.
Wenn beispielsweise eine Frau den Verdacht hat, dass sie von ihrem Ex-Partner über ihr Handy ausgespäht wird, kann sie zur Polizei in die Münchner Ettstraße gehen. Oder zu FRIEDA, dem Berliner Beratungszentrum für Frauen, gefördert unter anderem von der Senatsverwaltung Berlin. Auch der Verein "Deutschland sicher im Netz" kann wichtiges Wissen im Umgang mit digitalen Medien vermitteln.
Fachleute sind sich zudem einig: Auch die Gefährder brauchen Unterstützung, je früher umso besser. Niedersachsen beispielsweise hat damit begonnen, Beschuldigte umgehend nach Eingang einer Strafanzeige direkt anzusprechen und ein Gewaltschutzprogramm anzubieten. So kann auch die therapeutische Arbeit mit den Tätern zu einem Schutz der Opfer verhelfen.
SWR 2022 / 2023