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"Der Preis war sehr hoch" - Der schmerzhafte Weg von Freiburgs Rekordspielerin Hasret Kayikçi

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Autor/in
Johannes Seemüller
Johannes Seemüller, SWR-Sportjournalist

Nach ihrem dritten Kreuzbandriss ist die sportliche Zukunft von Hasret Kayikçi ungewiss. Die Kapitänin des SC Freiburg spricht mit SWR Sport über ein Leben mit Schmerzen und ihre Liebe zum Bolzplatz.

Sie lacht viel während des Gesprächs. Dabei sind es keine leichten Themen, über die wir reden. Schwere Verletzungen, das drohende Karriereende oder persönliche Diskriminierungen. Aber Wegducken gilt bei ihr nicht. "Ich bin erwachsener geworden“, sagt sie selbstbewusst. Hasret Kayikçi ist kürzlich 33 geworden. Sie hat schon 17 Jahre Profifußball in den Knochen und in dieser Zeit viel erlebt. Die Sportlerin ist zu einer starken Persönlichkeit gereift. Womöglich insbesondere durch die erlebten Rückschläge. 

Ein Rückschlag, wie an diesem Sonntag im August 2024. In zwei Wochen soll die neue Bundesliga-Saison losgehen. Die Frauen des SC Freiburg bestreiten in St. Leon-Rot ein Testspiel gegen Gastgeber TSG Hoffenheim. In der 40. Minute geht Kayikçi, Leaderin und Rekordspielerin der Freiburgerinnen, plötzlich zu Boden. Ohne gegnerische Einwirkung. "Es war bei einem Richtungswechsel", erinnert sie. "Eine Bewegung, die ich bestimmt schon 5.000 Mal in meinem Leben gemacht habe. Für mich war überraschend, dass es mein gesundes linkes Knie war, an dem ich noch nie eine Verletzung hatte."

Der dritte Kreuzbandriss in ihrer Karriere

Bei ihren sechs vorhergehenden Knieverletzungen hatte es sie jeweils rechts erwischt. Jetzt also erstmals das linke Knie. Aufgrund ihrer vielen unschönen Vorerfahrungen wusste die Stürmerin sofort, was passiert war und was das für sie bedeutete. Kreuzbandriss - schon der dritte in ihrer Karriere. "Mein letzter Kreuzbandriss war vor zwölf Jahren. Eigentlich hatte ich diese Phase in meinem Leben hinter mir gelassen. Deshalb war es schwer, wieder in eine solche Situation zurückgeworfen zu werden."

Es begann eine längst vergessen geglaubte Tortur. Erst die Operation in Markgröningen (bei Ludwigsburg), danach die Reha in den Räumen im Freiburger Stadion. Die erste Phase der Reha hat sie hinter sich gebracht: den Schmerz rausbekommen, Beweglichkeit herstellen und Kraft aufbauen. Jetzt beginnt die zweite Phase. Dabei geht es vor allem um die Athletik und um erste Laufversuche.

"Ich bin mit dem bisherigen Verlauf zufrieden," sagt sie. Vor allem ist sie froh, in der Nähe der Mannschaft sein zu können. Trotzdem sei es "nicht ganz leicht", wenn die Teamkolleginnen zur Aktivierung zwar gemeinsam mit ihr im Kraftraum seien, dann aber raus gingen auf den Trainingsplatz. Kayikçi bleibt allein zurück in der Reha-Welt. "Das sind Momente, in denen ich traurig bin", gesteht sie.

Gelegentlich kommen Zweifel hoch, ob sie überhaupt noch einmal die Rückkehr ins Team schaffen wird. "Wenn ich sehe, wie die Mädels nach den Spielen in die Fankurve gehen, frage ich mich manchmal: Werde ich das noch mal haben?" Klar, sie sei im reiferen Fußballalter etwas lockerer geworden und nicht mehr so verbissen wie früher. "Aber die Reha ist für mich mit meiner Geschichte kein schöner Ort."

Hasret Kayikçi: "Jeder Tag in der Reha ist ein Tag zu viel"

Gemeinhin benötigen Fußballprofis nach einem Kreuzbandriss gut sechs Monate, um wieder auf den Rasen zurückzukehren. Auch Kayikçi konnte nach ihren ersten beiden Kreuzbandrissen "zeitnah wieder spielen." Aber da war ihr Körper noch jünger. "Als Spielerin will ich so schnell wie möglich zurückkommen. Jeder Tag in der Reha ist für mich ein Tag zu viel."

Deshalb ist noch völlig unklar, wie es für sie weitergeht. Die elfmalige deutsche Nationalspielerin will das erst nach Rücksprache mit ihren Ärzten entscheiden. Wird sie auf den Rasen zurückkehren? Wenn ja, wie lange? Oder beendet sie ihre Karriere? Sie will diese wegweisende Entscheidung nicht aus der Emotion heraus treffen.

Ich habe ein Szenario in meinem Kopf. Aber drei Kreuzbandrisse ist eigentlich einer zu viel.

Auf keinen Fall möchte das ehrgeizige Energiebündel als "schlechte Spielerin" zurückkommen. "Dafür bin ich nicht der Typ", erklärt sie kämpferisch.

Ganz gleich, wie es beruflich für sie weitergehen wird. Klar ist, dass permanente Schmerzen sie auch in Zukunft begleiten werden. "Irgendwie gewöhnt man sich an die Schmerzen im Körper", sagt sie tapfer. "Es ist zwar nicht so, dass ich aus dem Bett aufstehe und nicht mehr laufen kann. Ich weiß aber, dass ich wegen meiner vielen Knieverletzungen später mehr machen muss als andere. Ich hoffe, dass ich im Alltag gut klarkommen werde." Sie hofft auf Fortschritte in der Medizin. "Vielleicht kann ich später ein ganz normales Leben führen."

Ich weiß gar nicht, wie es sich anfühlt, mit zwei gesunden Knien zu leben.

Es sind schwierige Wochen und Monate für die ausgebremste Offensivspielerin des SC Freiburg. Dennoch oder gerade deswegen klingt aus ihren Worten eine große Dankbarkeit für die Unterstützung, die sie in in dieser Zeit erhält. "Meine Familie und meine guten Freunde, die ich seit der Kindheit kenne, haben mich schon durch viele Lebensphasen getragen. Auch die Mannschaft hat mir immer sehr geholfen."

In Freiburg ist das Herz der Deutsch-Türkin zuhause. Zwar liebt sie auch ihre Geburtsstadt Heidelberg über alles. Dort ist sie aufgewachsen, dort wohnen ihre Familie und die Freunde ihrer Kindheit. Aber Freiburg ist, nachdem sie vor 13 Jahren aus Duisburg zum Sport-Club wechselte, längst ihre Heimat geworden. "Ich liebe den Verein, die Stadt und die Leute hier." In Freiburg spüre sie eine große Wertschätzung von allen Seiten.

An einem Ort zu sein, wo du als Mensch geliebt wirst, ist besonders.

Die Werte, die der SC Freiburg vertritt, passen zu ihr. Sie spricht von einem "perfect match". Deshalb kann sich die Rekordspielerin auch gut vorstellen, nach ihrem Karriereende nicht nur in Freiburg wohnen zu bleiben, sondern auch einen Job im Verein zu übernehmen. "Wir sind im Austausch", sagt sie.

Kayikçi gilt als eine der letzten Straßenfußballerinnen in der Bundesliga. Als Kind und Jugendliche zockte sie in Heidelberg oft mit Jungs auf dem Bolzplatz. Wenn sie hoffentlich bald wieder fit ist, will sie auf jeden Fall wieder als Botschafterin der Freiburger Initiative "Sport-Quartiere" auf die Bolzplätze der Stadt gehen.

Ich bin zwar jetzt 33. Aber wenn ich Fußball spiele, bin ich immer noch ein kleines Kind.

Als Fußballprofi mit Migrationshintergrund will sie Vorbild sein. "Ich wünsche mir eine Welt, in der nicht geurteilt wird und in der es vollkommen egal ist, woher die Menschen kommen. Für mich als Hasret war es immer schwerer als für eine Lina oder Lena. Darum ist mir dieses Thema so wichtig." Die Frau muslimischen Glaubens will aktiv eine Gesellschaft mitgestalten, in der das Gemeinsame wieder mehr im Mittelpunkt steht als das Trennende.

Sie selbst hat schon zu oft dieses Trennende erlebt. Beispiel: Wenn sie anfing, Englisch zu sprechen, waren plötzlich alle überrascht. Hasret konnte Englisch? "Dabei bin ich hier geboren und war zwölf Jahre in der Schule, wie jede andere. Das soll kein Vorwurf sein. Aber vielen ist offenbar nicht bewusst, dass sie mit einer Hasret anders umgehen als mit einer Lena oder Lisa."

Ganz gleich, ob bei ihrer Sprache, bei der Wohnungs- oder Jobsuche oder selbst im Fußballgeschäft: "Ich hatte immer das Gefühl, dass ich als Hasret anders gesehen wurde als andere Spielerinnen."

Deshalb hat sie sich auch schon Gedanken gemacht, welche Namen sie später ihren eigenen Kindern geben möchte. Denn Kinder möchte sie auf jeden Fall. "Ich würde mir überlegen, ihnen einen 'neutralen' Namen zu geben. Ich will nicht, dass es aufgrund des Namens eine Voreingenommenheit gibt."

Hasret Kayikçi: "Meine Persönlichkeit ist durch den Fußball gereift"

Zum Schluss sprechen wir noch über ihre persönliche sportliche Bilanz. Sie bedauert am meisten, dass sie mit dem SC Freiburg nie einen Titel erringen konnte. 2023 war sie mal ganz nah dran am Gewinn des DFB-Pokals. Kayikçi hatte den Sport-Club mit ihrem Tor in der Nachspielzeit des Halbfinalspiels bei RB Leipzig (1:0) ins Finale geschossen. Dort aber unterlagen die Freiburgerinnen gegen Favorit Wolfsburg (1:4).

Auch wenn noch nicht ganz Schluss ist, zieht sie bereits ein Karriere-Fazit: "Der Preis war sehr hoch mit den vielen Verletzungen, aber ich liebe den Fußball. Deshalb hadere ich auch nicht mit meinem Schicksal. Ich habe eine unglaublich schöne Zeit. Ich habe viele Freunde im Fußball gewonnen, die ich zu meiner Familie zähle. Und, meine Persönlichkeit ist durch den Fußball gereift."

Diese Persönlichkeits-Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen. Kayikçi ist erst 33. Sie will und wird noch viel bewegen - nicht nur im Fußball.