Vorfall bei TusSies Metzingen

"Machtlosigkeit ist schwierig" - Sportpsychologin zu versteckten Kameras bei Handballerinnen

Stand
Interview
Kira Rutkowski

Sportpsychologin Jeannine Ohlert forscht an der Deutschen Sporthochschule in Köln zum Thema "Sexualisierte Gewalt im Sport". Im Interview mit SWR Sport ordnet sie den Fall der versteckten Kameras bei der TuS Metzingen ein.

Jeannine Ohlert, hat Sie der Fall beim TuS Metzingen überrascht?

Jeannine Ohlert: Es ist jetzt schon noch mal eine andere Qualität. Wir sprechen die ganze Zeit schon von sexualisierter Gewalt im Sport, bei der wir uns eher damit beschäftigt haben, was passiert innerhalb der Sportmannschaften. Und das ist jetzt ein Fall von Voyeurismus, bei dem die Person aus dem direkten Team-Umfeld ist. Ich bin jetzt seit sechs Jahren im Thema, das ist mir so das erste Mal begegnet, insofern fand ich das schon spannend. Bei dem ersten Fall war es so, dass sie das scheinbar entdeckt hatten, bevor da was passiert ist, weil es irgendwie seltsam war. In Metzingen weiß man jetzt nicht, wie lange die Kameras da schon waren. Das ist natürlich dann schon ein blödes Gefühl, auch für die Betroffenen.

Welche Rolle spielt es, dass die tatverdächtige Person eine direkte Vertrauensperson aus dem Umfeld der Mannschaft ist?

Ohlert: Das Problem haben wir tatsächlich öfter, dass bei sexualisierter Gewalt, also auch bei anderen Gewaltformen, die wir tatsächlich in Studien schon häufiger nachgewiesen haben, dass es überwiegend Menschen sind, mit denen man sonst auch arbeitet. Und das ist immer total schwierig für die gesamte Organisation, dann damit umzugehen. Also in dem Fall scheint es wirklich relativ eindeutig gewesen zu sein. Und dann ist auch klar, die Person muss direkt gehen. Dann haben die Betroffenen immer noch das Problem, 'Das kann jetzt theoretisch jederzeit wieder passieren, aber zumindest bin ich nicht mehr in Kontakt mit der Person'.

Schwieriger ist es, wenn es ein ungeklärter Fall ist. Bei dem dann vermeintliche Vertrauenspersonen irgendwie betroffen sind, ich aber trotzdem den Kontakt noch habe. Und dann finde ich es noch schwerer. Also dadurch, dass dort jetzt ein klarer Strich drunter gemacht wurde und klar ist, der Mensch arbeitet da jetzt nicht mehr, dann ist es leichter abzuhaken. Aber wenn ich immer wieder in den Kontakt gehe mit dieser Person, die mir was angetan hat, was ich nicht möchte, dann wird es noch schwerer.

Warum sind ausgerechnet Sportlerinnen betroffen?

Ohlert: Also wir wissen, dass der Sport einfach spannend ist für potenzielle Täter und Täterinnen. Man darf das nicht unterschätzen, die gehen da sehr strategisch vor. Sie suchen sich natürlich ein Umfeld, wo sie möglichst leicht an mögliche Opfer rankommen. Das ist im Sport deswegen gegeben, weil wir ehrenamtliche Strukturen haben. Wir haben den Körper im Mittelpunkt. Dadurch haben sie auch schneller eine Ausrede für Anfassen, für Umarmungen, für solche Geschichten. Durch das Ehrenamt sind viele überfordert, es guckt eben niemand so richtig hin, und da freuen sich natürlich die Täter und sagen, dann suche ich mir das doch aus. Das heißt, sie suchen sich auch gezielt Vereine aus, wo sie wissen, da wird nicht hingeguckt.

Die Frage, die sich auch die Sportlerinnen stellen, warum machen das Menschen, also warum installieren die diese Kamera in der Umkleide?

Ohlert: In dem konkreten Fall jetzt, mit dem Voyeurismus kann ich es nicht so genau sagen. Häufig geht es bei sexualisierter Gewalt gar nicht so um die Sexualität, sondern es geht um Macht. Also es sind Menschen, die sich selbst in ihrem Umfeld als nicht so besonders sozial erfolgreich erleben. Das wissen wir aus Studien mit Tätern. Sie versuchen dann, sich über diesen Weg Macht über andere Menschen wiederzuholen. Indem sie jemanden heimlich beobachten, haben sie natürlich schon Macht darüber. Bei den ganzen Gewaltformen, die wir erleben, das ist eigentlich immer so, dieser Sammelbegriff, auf den alles wieder rausläuft.

Welche Rolle spielt es, dass die Sportlerinnen durch die Bundesliga auch in der Öffentlichkeit stehen?

Ohlert: Ich glaube, dass ist in dem Fall gar nicht so zentral. Also klar, wenn jetzt derjenige oder diejenige die Videos gerne im Netz weitergeben wollte, vielleicht findet das jemand besonders toll, wenn er dann sagen kann: ja, ich habe hier Videos nicht von irgendwem, sondern das sind aktive Bundesliga-Spielerinnen. Ansonsten ist es so, dass wir im Prinzip sexualisierte Gewalt in allen Bereichen sehen. Also das hat jetzt nichts mit dem Leistungsniveau zu tun.

Wie können sich die Sportlerinnen vor versteckten Kameras schützen?

Ohlert: Gute Frage. Also was wir grundsätzlich vorschlagen gegen sexualisierte Gewalt allgemein ist, dass wir sagen, die Vereine brauchen alle ein Schutzkonzept. Das heißt, sie sollten sich mit dem Thema auseinandersetzen, sie sollten es zum Thema im Verein machen, dass der Verein ein klares Statement abgibt: 'Das wollen wir nicht. Sexualisierte Gewalt ist bei uns, egal in welcher Form, einfach nicht erwünscht. Wir gehen gezielt gegen Menschen vor, die das machen.'

Das schreckt die Täter dann schon ab. Sie gehen dann da nicht hin, weil sie wissen, da wird eben hingeschaut. Wir sagen, es soll eine Kultur des Hinsehens entwickelt werden. Ich weiß jetzt nicht, ob das gegen diese konkrete Voyeurismus-Geschichte helfen würde, aber es ist schon was, bei dem wir aus der Forschung wissen, dass das gegen sexualisierte Gewalt allgemein hilft. Wenn alle hinschauen.

Jetzt gibt es auch Handballerinnen oder generell Sportlerinnen, die berichten, es würden ihnen Dick Pics (Penisbilder) zugeschickt. Es gibt die Diskussion um die Werbung auf dem Po. Wie ordnen Sie das ein? Wie steht das in diesem Zusammenhang?

Ohlert: Das ist alles im Grunde der gleiche Hintergrund. Früher hat man das so hingenommen als Frau, da sagten die Frauen: ja, kenne ich schon, das bin ich gewohnt, und man tut es dann weg und kümmert sich nicht weiter darum.

Aber so ist es zum Glück heute nicht mehr. Also es hat sich schon ein bisschen was verändert, auch in der Gesellschaft, dass jetzt die Frauen aufstehen und sagen: Leute, das geht so nicht. Und es ist genau richtig, weil das sind auch Formen von sexualisierter Gewalt, wenn ich ungewollt irgendwelche Bilder von Geschlechtsteilen zugeschickt bekomme. Das ist sexualisierte Gewalt. Und genauso die Frage, kann ich entscheiden, ob ich auf meinem Hintern jetzt Werbung trage oder nicht? Der Sport ist im Frauenbereich insgesamt sexualisiert insofern, dass das als Verkaufsmerkmal genommen wird. Aber das ist halt eigentlich nicht Sinn der Sache, sondern die Sportlerin sagen, sie möchten für meine Leistung wahrgenommen werden und nicht dafür, dass sie jetzt irgendwie gut aussehen. Darum geht es nicht.

Wie können es die Sportlerinnen jetzt hinbekommen, den Fokus wieder auf das Sportliche zu richten?

Ohlert: Also schwierig an dieser ganzen Situation ist diese Machtlosigkeit, dass man das Gefühl hat, man ist so ausgeliefert. Also sie haben jetzt keinen Einfluss darauf: Gibt es schon Bilder, die irgendwo im Netz sind? Und das ist natürlich diese Unsicherheit, die schon zu Problemen führen kann. Wichtig ist wirklich, das die Spielerinnen jetzt die Chance haben, darüber zu reden, über ihre Ängste zu reden. Und es hilft natürlich auch, wenn das Ganze irgendwie aufgearbeitet und abgeschlossen wird. Das heißt also einmal der Schritt, dass diese Person bekannt ist, dass sie aus dem Verein entfernt wurde. Das ist natürlich schon ein hilfreicher Schritt, um das Ganze abschließen zu können. Aber dann ist es natürlich wichtig, dass weiter aufzuklären, damit die Spielerinnen das im Kopf für sich hinkriegen - auch loslassen können und wissen, es sind keine Bilder von mir ins Netz gekommen. Das wäre natürlich sehr erleichternd. Und ansonsten gibt es eben therapeutische Möglichkeiten, wie man das angehen kann, wenn jetzt jemand feststellt, dass er da längerfristige Probleme hat. Dann sollte das auf jeden Fall in Anspruch genommen werden."

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