Polizist hält eine Dienstwaffe

Einsatz von Schusswaffen bei Polizeieinsätzen

Interview: Wann bei der Polizei Mannheim geschossen wird - und wann nicht

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AUTOR/IN
Patrick Figaj
SWR Journalist Patrick Figaj

In Mannheim gab es in den vergangenen Jahren mehrfach Polizeieinsätze, bei denen Beamte scharf schossen. Mit tödlichem Ausgang. Doch wie ist der Waffengebrauch geregelt?

Wieder ein Schuss. Wieder aus einer Polizeiwaffe. Und wieder ist der Schuss am Ende tödlich. Zuletzt starb bei einem Polizeieinsatz in der Universität Mannheim ein 31-jähriger Mann. In den vergangenen Jahren gab es mehrere Einsätze, bei denen Schüsse aus Polizei-Dienstwaffen am Ende den Einsatz entscheidend prägten. Alle Einsätze waren unterschiedlich. Die Aufarbeitung ist komplex und jeder Fall anders gelagert. Dennoch steht die Frage im Raum, wann es eigentlich zum Schuss kommt. Und ob es nicht andere Möglichkeiten für die Polizei gibt. Auch in Mannheim.

Auf eine SWR-Anfrage hat die Polizei Mannheim jetzt mit einer ausführlichen Antwort reagiert. Daraus geht hervor, wie die Polizei den Umgang mit Dienstwaffen allgemein und im Besonderen regelt. Wie sie schult. Und wie andere Optionen abgewogen werden.

SWR Aktuell: Wann ist überhaupt der Zeitpunkt, an dem es nur noch eine Möglichkeit gibt - nämlich die Waffe zu ziehen?

Polizei Mannheim: Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind tagtäglich mit kaum vorhersehbaren, mitunter potentiell lebensgefährlichen Lagen konfrontiert. Die übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns ist - bei der Lagebewältigung - die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel. Oberstes Ziel des polizeilichen Einschreitens ist dabei eine möglichst gewaltfreie Konfliktbewältigung.

Der Einsatz der dienstlichen Schusswaffe erfolgt als Ultima Ratio unter Beachtung der strengen gesetzlichen Vorgaben.

Wann Polizistinnen und Polizisten die Waffe ziehen - und wann nicht

SWR Aktuell: Wenn Polizistinnen oder Polizisten zur Waffe greifen - wie ist das formal geregelt?

Polizei Mannheim: Die Voraussetzungen für die Anwendung des Schusswaffengebrauchs sind im Polizeigesetz Baden-Württemberg geregelt. Der Schusswaffengebrauch ist nur zulässig, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs vorliegen. Und wenn einfache körperliche Gewalt und verfügbare Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder mitgeführte Hiebwaffen erfolglos angewandt worden sind. Oder deren Anwendung offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Auf Personen darf erst geschossen werden, wenn der polizeiliche Zweck durch Waffenwirkung gegen Sachen nicht erreicht werden kann.

SWR Aktuell: Es wird immer wieder diskutiert, ob es nicht besser wäre, nur in die Beine oder auch Arme zu schießen. Ist das überhaupt möglich? Gibt es diese Vorgabe?

Polizei Mannheim: Der Einsatz einer Schusswaffe unterliegt - in besonderem Maße - dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Deshalb entscheiden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, welche Maßnahmen erforderlich und angemessen sind und ob und in welcher Form ein Schusswaffengebrauch in Betracht kommt. Fest definierte Mindestabstände zum Angreifer gibt es hierbei nicht.

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Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten in Mannheim hat zugenommen

SWR Aktuell: In den vergangenen Jahren haben sich Einsätze gehäuft, in denen auch Schusswaffen eingesetzt worden sind. Haben Angriffe auf die Polizei im Bereich des Polizeipräsidiums Mannheim zugenommen, in denen es Gefahr für Leib und Leben der Beamtinnen und Beamten gab?

Polizei Mannheim: Die Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte nahm auch im Jahr 2023 beim Polizeipräsidium Mannheim zu. Sie stieg gegenüber dem Vorjahr um 8,5 Prozent.

Bei den Taten wurden 333 Beamtinnen und Beamte leicht verletzt, drei von ihnen schwer.

Obwohl es einen Zuwachs in der Tatverdächtigengruppe der Jugendlichen um 10,7 Prozent und der Heranwachsenden um 18,8 Prozent gab, blieben Erwachsene mit einem Anteil von 84,1 Prozent an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen die dominierende Gruppierung. Alkohol spielte bei der Tatbegehung eine signifikante Rolle. So standen 46,7 Prozent aller Tatverdächtigen bei der Tat nachweislich unter Alkoholeinfluss. Das Land Baden-Württemberg und das Polizeipräsidium Mannheim weisen jeweils ein Fünf-Jahres-Hoch aus.

SWR Aktuell: Warum werden keine Gummigeschosse oder Taser eingesetzt anstelle von scharfer Munition?

Polizei Mannheim: Der Einsatz von sogenannten Distanz-Elektroimpulsgeräten - umgangssprachlich Tasern - ist in Baden-Württemberg seit dem 1. März 2007 (ausschließlich) für die Einsatzkräfte der Direktion Spezialeinheiten beim Polizeipräsidium Einsatz zugelassen. Taser können in Einzelfällen sowie unter günstigen Rahmenbedingungen polizeiliche Zugriffsmaßnamen wirksam unterstützen. Dazu zählen insbesondere statische Einsatzlagen gegen bewaffnete Personen. Allerdings ist der Einsatz von Tasern mit einem hohen Trainingsaufwand verbunden.

Bei akuten, hochdynamischen lebensbedrohlichen Angriffen auf Einsatzkräfte sind Taser grundsätzlich nicht geeignet.

In einer solchen Situation muss eine deutliche Distanzunterschreitung zu einer bewaffneten Person erfolgen, wodurch der Selbstschutz der Einsatzkräfte deutlich eingeschränkt wird. Eine landesweite Einführung des Tasers ist aktuell nicht vorgesehen - das bewertet das Innenministerium immer wieder neu.

SWR Aktuell: Und wie sieht es bei Gummigeschossen aus?

Polizei Mannheim: Der Einsatz von Gummigeschossen oder Gummischrot ist aus anderen europäischen Ländern, beispielsweise beim polizeilichen Vorgehen gegen gewalttätige Ausschreitungen bei Ansammlungen, bekannt. Das Abfeuern von Gummigeschossen geht dabei mit einer hohen Verletzungswahrscheinlichkeit des polizeilichen Gegenübers einher. Bezogen auf eine für die Bevölkerung und Einsatzkräfte der Polizei akut lebensbedrohliche Situation bieten Gummigeschosse nur einen begrenzten Schutz gegen bewaffnete Störer.

Waffeneinsatz wird immer wieder trainiert

SWR Aktuell: Wie werden Polizistinnen und Polizisten auf Einsätze vorbereitet, in denen sie eventuell schießen müssen?

Polizei Mannheim: Angehenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte der Polizei Baden-Württemberg wird in der Ausbildung zunächst Theoriewissen im Fach Waffenkunde unterrichtet. Das Führen einer dienstlichen Schusswaffe erfolgt zu Beginn ohne Munition - mit einem Handhabungs- und Trockentraining. Daneben werden die erforderlichen Rechtskenntnisse gelehrt. Darauf aufbauend erfolgt ein Training mit tatsächlicher Schussabgabe - vom Grundlagentraining bis hin zum einsatzmäßigen Schießen. Im Anschluss findet analog die Ausbildung mit der dienstlichen Maschinenpistole statt.

Jede Polizistin und jeder Polizist in Ausbildung muss bis zum Ende der Ausbildungszeit zum mittleren Polizeivollzugsdienst, beziehungsweise des Studiums zum gehobenen Polizeivollzugsdienst, die vorgeschriebenen praktischen Kontrollübungen für die Pistole und Maschinenpistole erfolgreich absolvieren. Zudem erhalten sie während der gesamten Ausbildungsdauer ein umfangreiches Grundlagentraining und einsatzmäßiges Schießtraining mit der Pistole und der Maschinenpistole.

SWR Aktuell: Werden diese Trainings auch nach der Ausbildung fortgesetzt?

Polizei Mannheim: Auch nach Ausbildung und dem Studium trainieren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte regelmäßig den Umgang mit der dienstlichen Pistole und der Maschinenpistole. Zum Führen der jeweiligen Dienstwaffen müssen alle Polizistinnen und Polizisten jedes Jahr Kontrollübungen erfolgreich absolvieren.

Durch ein fundiertes, regelmäßiges und verpflichtendes Einsatztraining werden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten befähigt, Einsatzanlässe mit hoher Professionalität, konfliktmindernd und situationsangemessen zu bewältigen.

Zu diesem Zweck werden angehenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auch die notwendigen psychologischen Kenntnisse für den Umgang mit gewaltbereiten Personen sowie taktische und situationsadäquate Handlungsalternativen bei der Bewältigung konfrontativer Begegnungen vermittelt.

SWR Aktuell: Immer wieder steht auch die Frage nach Bodycams im Raum. Häufig gibt es keine Aufnahmen. Sind in Mannheim regelmäßig Bodycams im Einsatz?

Polizei Mannheim: Die Beamtinnen und Beamten des Polizeipräsidiums Mannheim sind und werden im Umgang mit der dienstlich zugeteilten Bodycam umfassend und regelmäßig geschult und führen diese im täglichen Dienst im gesamten Zuständigkeitsbereich mit. Die Vorschriften zum Starten einer Aufnahme sind vereinfacht: Außerhalb von Wohnungen muss die Aufnahme zum Schutz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten oder anderen Personen vor einer konkreten Gefahr erforderlich sein. Innerhalb von Wohnungen gilt, dass die Aufnahme zum Schutz von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten oder anderen Personen vor einer dringenden Gefahr für Leib oder Leben erforderlich sein muss.

SWR Aktuell: Was bedeutet das für den konkreten Einsatz?

Polizei Mannheim: Daraus folgt, dass eine Bodycam ein zusätzliches Hilfsmittel sein kann. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass diese durchgehend eingesetzt werden kann.

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